Schwarzfahren und auf den Boden Schauen

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Hin und her Schwanken. Licht und Schatten auf dem Gesicht. Rausgucken und Abwarten.

Anders stand in der Straßenbahn. Er blieb irgendwie immer stehen, wenn er schwarz fuhr. Denn das schlechte Gewissen und die Unruhe waren es ihm anscheinend wert, die zwei Euro zu sparen.
Aber eigentlich hatte er ja ne Dauerkarte, also. Er hatte sie halt nur nicht dabei. Mal wieder.

"Weisst du, heute Vormittag war doch da der Typ mit der orangen Mütze.."
"Ja?"
"Wo ich gesagt hab: 'Der hyperaktive Typ macht sein Bier auf und es schäumt so sehr, also auch noch hyperaktives Bier."
"Haha, ja das war so herrlich!"
"Aber ich meine das kann man sich doch denken, wenn man sich vorher so viel bewegt."
"'Hopp, hopp. Wer nich hüpft, der is für Kohle! Hopp, hopp. Wer nich hüpft, der is für Kohle!!'"
"Oder wo der bei 'Kohle? Aus! Kohle? Aus!-'"
"'-Kohle, Kohle, Kohle? Aus, aus, aus!!'"
"Jah, wo der da so abgedanced ist!"
"Selfconfidenceüberschuss."
"Ja.."
"Hach."
"Einfach nur zu geil für diese Welt."

Dann schwiegen die beiden Mädchen die vor ihm saßen für einen Moment.
Anders schaute jetzt resigniert aus dem beschlagenen Straßenbahnfenster ins dämmrige Leipzig und staunte mal wieder wie schnell es dunkel werden konnte.
Da gab es Leute, die gingen auf Demos um das Klima zu retten, und er fuhr zwar immerhin mit nem öffentlichen Verkehrsmittel, gab aber dafür nicht die zwei Euro her.

Anders fühlte sich definitiv nicht zu geil für diese Welt.
Auch wenn er das ändern könnte.
Gedankenverloren malte er mit den Fingern eine Sonne auf die Fensterscheibe.
Die Tropfen sammelten sich und ein paar flossen langsam aber irgendwie ruckartig nach unten. Die Sonne schmolz.
Anders dachte an Polkappen und Gletscher und dass er von alldem nichts mitbekam.

"Ich frag mich wie der Typ heisst. Für mich sieht er irgendwie aus wie ein... Fritz."
"Oder Emil. Oder Paul."
"Ja genau, sowas. Kurz und deutsch. Sodass man ihn bequem anschnautzen kann."
"'Fritz-Emil-Baul nimm dir gefällischst ne Bommesgabl sonst krischste widdr fettsche Finger! Und nee, das is mir jetz egal dass das Blastik is!'"
"Haha, ja, der Pommesinsider wird auch nie alt."

"Nächste Station: Marktplatz Lindeau."
Da stieg Anders aus.
Und ging seinen Weg.

Er fragte sich, ob er jemals so sehr mit jemandem auf einer Wellenlänge sein würde wie sie zwei Mädels miteinader.

Und er fragte sich, ob sein Denkmuster überhaupt eine Welle war.

Und warum um alles in der Welt seine Mutter ihn Anders genannt hatte.

Wie weltfremd und wellenlängs konnte man denn nur sein.

Fritz, Emil, Paul... es gab so viele Namen!
Und er hiess - Anders.

'Hi, ich bin Anders.' geht nicht.
'Haha, ja, wir sind doch alle anders!'

Oder:
'Ich heiss xy und du?'
'Ich heisse Anders.'
'Wie denn?'
'Anders.'
'Ja! Aber wie?!'
'...Mein Name ist Anders.'
'Ahahah das ist ein Name? Ha, wie cool!'

'Andi.', nannte er sich meistens.
Und die Meisten nannten ihn dann auch so.
Deshalb war er es auch gewöhnt ab und zu mal auf Andreas reagieren zu müssen.

Nur ein Buchstabe mehr und zwei vertauscht.
Aber nein. Er hiess Anders.

Eigentlich konnte das ja richtig cool sein, so ein Name.
Aber nicht wenn man auch noch anders aussah, und redete, und war.
Das war dann einfach irgendwann zu viel.

Das Straßenlaternenlicht wellte sich in den Pfützen sodass es so typisch schön aussah, und einen an alte Urlaube und schöne Abende erinnerte.

Anders fühlte sich in der Dunkelheit meist etwas wohler, doch trotzdem zog er als jemand an ihm vorbeilief seine Kaputze reflexartig tiefer ins Gesicht, jedoch nicht ganz so tief wie sonst.

Straßenlaternenlicht in Pfützen.
Kaugummis auf Gullideckeln.
Kronkorken in im Sommer einst weichgewordenem Teer.

Anders kannte all das, besser als andere vielleicht.

Aber die komischsten nie identischen, doch eingentlich so unreal schönen Wolkenformen. Die sich so schnell so sehr verändern konnten,
Reflektierende Hausdächer, verbogene Fernsehantennen und wackelnde Baumäste im Gegenlicht.
Oder einfach nur die Gesichter von Menschen.
Irgendwie auch so komisch, unidentisch und eigentlich so unreal schön. Auch mal sehr veränderlich. Das kannte Anders nicht so gut wie andere vielleicht.

So war das, wenn man ständig Caps trug und immer auf den Boden schaute.

Ganz einfach. Man stolperte nie. Und musste sich nicht auf so viele Reize konzentrieren.
Nie blendete einen die Sonne.
Und man trat nicht auf kleine Tiere, oder in das was etwas größere Tiere auf dem Gehweg hinterließen und deren Besitzer nicht wegräumten.
Man konnte um Müll und runtergefallenes Essen immer einen gekonnten Bogen machen, und man fand Dinge wie Schlüsselanhänger, Schmuck und Haargummis, Kinderwagenspielzeug oder Schals. Und Kleingeld.
Man hatte Blick auf die eigenen Lieblingssneakers, Socken und die einzig wahren forever Jeans mit Löchern, welche alle ihre eigene Geschichte hatten.

Manchmal wenn Anders in einem zu steilen Winkel auf den Boden guckte und zügig lief, kam es ihm nach einer Weile vor als würde er auf einer Kugel rennen.
Die Straße sah dann richtig gebogen aus, wie sie unter seinen Schuhen entlangflog.
Es erinnerte ihm daran, dass die Erde auch bloß eine Murmel war die durchs Universum kullerte, jedoch auf der Stelle und nur um sich selbst.

Anders dachte manchmal zu viel nach.
Doch er wollte das nicht, denn wenn man viel denkt denkt man auch viele komische Sachen. Wenn es ihm zu merkwürdig wurde hörte er meistens einfach auf. Mit der Zeit war er wirklich gut darin geworden.

Er konnte nicht verstehen, wie man sich seinem Gehirn freiwillig hingeben konnte.

Aber irgendwann verstand er es doch.

Ernst und AndersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt