Zigaretten

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Am nächsten Morgen wachte Anna, neben Vanessa liegend auf. Der Abend war schnell vergangen, sie hatten gegessen, Vanessa hatte geredet und sie waren schnell eingeschlafen. Im Zimmer war es warm, die Sonne knallte aufs Fenster und ein Vogel sang überaus motiviert seine Symphonie. Anna horchte in sich und kam zum Entschluss, dass es ihr gut ging. Neben ihr schlug Vanessa die Augen auf, gähnte, streckte sich und teilte Anna mit, dass sie los müssten. Gemächlich zogen sie sich um, frühstückten und stiegen in den Bus, welcher komplett leer war.
"Wir kommen zuspät." murmelte Anna.
"Passiert." quetschte Vanessa durch ein Gähnen hervor.

Sie kamen wirklich zuspät, zweiunddreißig Minuten um genau zu sein und ernteten dafür diverse böse Blicke. Doch Anna interessierte das nicht, heute zumindestens. Sie war zu verwirrt von ihrem Leben, hing ihren Gedanken hinterher und ignorierte ihre Umwelt. Vanessa machte Anstalten neben ihr einzuschlafen und Anna beobachtete sie dabei. Sie beobachtete sie solange, bis es an der Tür klopfte, eine Sekretärin reinkam und sie hinausrief. 
"Dein Papa ist da, deine Tante ist gestorben. Tut mir sehr leid, er wartet draußen." War alles was sie ihr sagte, während sie Anna zur Tür begleitete. Anna hatte keine Tante. Das Gefühl der Schwerelosigkeit verschwand und die Realität verschaffte sich gnadenlos zutritt in ihre Magengegend. Sie konnte nicht reden, nicht atmen, eigentlich konnte sie sich nicht einmal bewegen, weshalb die Sekretärin sie weiterschob.
"Ein Todesfall ist immer traurig. Kanntest du sie gut?" fragte sie sie, während sie mit ihren langen Wimpern klimperte.
"Nein." keuchte Anna. Sie woltle diese Schule nicht verlassen.
"Naja, nach der Beerdigung wird es dir bestimmt besser gehen." sagte sie, während sie sie aus der Schule stieß.
Draußen schien die Sonne, es war ein schöner Tag. Ein leichter Wind wehte Anna Rauch ins Gesicht und sie bekam eine Gänsehaut. 
"Da bist du ja." hörte sie die rauhe Stimme ihres Vaters, während er schmerzhaft ihr Handgelenk packte und sie zu seinem Auto zog. Das Auto war ein schwarzes Monster, stinkend und heiß. Drinnen stand der Rauch.

Anna quetschte sich auf ihren Sitz, machte sich so klein wie möglich zu machen und versuchte sich wegzudenken. Doch der Rauch machte ihr das Atmen schwer, minderte ihre Denkfähigkeit und die Angst übernahm das Ruder.
"Wolltest weglaufen ja?" murmelte ihr Vater, während er seine Zigarette ausdrückte.
"Wolltest weglaufen, wie deine Mutter ja?" knurrte er, während er sich eine neue anzündete.
"Bist gestern nicht nachhaus gekommen, wo warst du?" fragte er jetzt, direkt an sie gerichtet. Anna quetschte sich in ihren Sitz, versuchte seinen Blicken auszuweichen und wünschte sich fort. Ihr Vater legte eine Vollbremsung ein, beugte sich zu ihr rüber und wiederholte seine Frage noch einmal. Diesmal schreiend. Speichelfetzen flogen ihr ins Gesicht und der Gestank aus seinem Mund verstärkte ihre Übelkeit. Doch sie sprach nicht. Nicht, dass das ein höchstrebellischer Akt gewesen sei, sie hatte lediglich Angst. Er packte nach ihren Haaren, zog dran und schrie sie weiterhin an. Anna weinte. Sie spürte eine Zigarette auf ihrem Arm, spürte wie sie sich einbrannte und hörte noch einmal die Frage, diesmal geraunt. Doch sie schwieg. Weinte, schrie, aber sprach nicht.
Sie sprach auch die nächsten zwei Tage nicht, welche sie im Keller verbrachte. Ohne Essen, ohne Trinken, ohne Toilette. Gelegentlich kam ihr betrunkener Vater runter, schmiss Sachen nach ihr, schrie sie an, schlug sie oder wollte sie nötigen. Doch Anna konnte sich irgendwie entwinden, ihren Körper zierten unzählige Blutergüsse. 
Einmal hörte Anna die Klingel klingeln, Vanessa nach ihr Fragen und ihren Vater von einem Krankenhaus in einer entfernten Stadt erzählen. Auch da schwieg Anna. Erst als sie Glas splittern hörte, Autosirenen losheulen und ihren Vater schreien hörte, regte sie sich. 

VanessaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt