Im Wartezimmer

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An einem heißen Sommertag saß ich im Wartezimmer meines Kieferorthorpäden und wartete wiedermal eine Ewigkeit, bis ich aufgerufen wurde.

Ich war ziemlich spät dran, mit meinen Brackets, deshalb war ich so ziemlich die älteste der Wartenden...

Darum war die Überraschung umso größer, als plötzlich ein mir ein klein wenig bekannter Junge ins Zimmer trat und mir gegenüber Platz nahm. Er sagte nichts, tat nichts und schaute sich auch nicht im Raum um. Er interessierte sich nur für sein Handy in seiner Hand. Seine Daumen flitzten über das Display.

Ich dachte angestrengt nach, woher ich ihn denn kennen könnte. Mir wollte es einfach nicht einfallen.
Doch dann kam die Erinnerung. Natürlich! Es war mein Partner vom Tanzkurs! Es war schon ewig her und außerdem haben wir nur den einen Abend miteinander zu tun gehabt. Darum ist es mir nicht direkt eingefallen.

Das Mädchen neben mir wurde aufgerufen und verschwand mit ihrer Mutter im Arztzimmer.
Übrig blieben die alte Dame in der Ecke, die geräuschvoll ihre Klatschzeitschrift umblätterte, ihr Enkel, dessen Musik man hören konnte, obwohl er Kopfhörer trug -ich kannte den Song und sang gedanklich mit-, die Schwester, die etwas in ihren Rechner eintippte, und der Typ vom Tanzkurs, dessen Finger auf sein Handy hämmerten.

Das Mädchen mit seiner Mutter kamen aus dem Arztzimmer, vereinbarten einen neuen Termin, und verschwanden.

Als der Junge mit lauter Musik aufgerufen wurde, musste man ihn persönlich abholen, da weder er durch seine laute Musik, noch seine scheinbar etwas schwerhörige Oma den Aufruf gehört hatten.

Schließlich verschwand auch die Schwester mit einem schweren Ordner in ein Zimmer.

Stille breitete sich im Raum aus, in dem nun nur noch der Junge und ich saßen.
Der Junge hat es wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, dass wir alleine waren. Er kratzte sich an seinem Hinterkopf und wischte weiter über sein Handy.

Ich betrachte ihn nun, da ich keine Zuschauer mehr hatte, genauer. Seine kastanienbraunen Haare waren lässig verstrubbelt, was mir sehr gefiel. Er hatte ein markantes Gesicht mit hohen Wangenknochen, wohl geformten Augenbrauen und einem schönen Mund. Wenn er in sein Handy grinste, bildeten sich auf seinen Wangen kleine Grübchen.
Unter seinem Pulli zeichneten sich kräftige Muskeln ab, und auf seinen Armen konnte man seine Adern sehen, was auf mich sehr attraktiv wirkte.

Allgemein war er von seinem äußeren her sehr attraktiv. Er hatte sich seit unserer letzten Begegnung sehr verändert.
Damals war er ein sehr netter und charmanter Junge, aber für meinen Geschmack noch zu unreif. Das hat sich, nach seinem äußeren zu urteilen, geändert.

Wenn ich genügend Mut gehabt hätte, hätte ich ihn vielleicht angesprochen. Ich hätte gefragt, ob er mich noch kannte. Genügend Zeit hätten wir ja gehabt, die Schwester ist erst nach fünf Minuten wiedergekommen.
Wir wären ins Gespräch gekommen.
"Schön dich mal wieder zu sehen!" "Machst du immernoch Tanzkurs?" "Was machst du nach der Schule?" "Wie lange hast du deine Spange schon? Wann bist du fertig damit?" "Findest du den Kieferorthorpäden hier auch eine totale Abzocke?"

Es hätte so viele Möglichkeiten gegeben, ihn anzusprechen. Keine einzige habe ich genutzt.
Stattdessen starrte ich ihn weiter an, unfähig meinen Mund aufzumachen. Bis ich aufgerufen wurde und er immernoch nicht nach oben schaute.

Als ich wieder zurück kam, saß er immernoch genauso da, wie vorher. Ich machte einen neuen Termin aus und drehte mich um. Ich schaute ihn nochmal lange an, in der Hoffnung, er würde doch noch nach oben schauen und mich erkennen. Nichts.

Dann wurde er aufgerufen, er erhob sich, als wäre er in Trance, und starrte selbst den Weg zum Arztzimmer über auf sein Handy. Er lief an mir vorbei -ich war erstaunt, dass er mich nicht überlief- und beachtete mich immernoch nicht. Die Tür schloss sich hinter ihm.
Ich seufzte, nahm endgültig meine Tasche, und ging.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 15, 2017 ⏰

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