Rosen für Mia

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Weiße Rosen, Tor

Das rostige Tor quietschte beim Öffnen und Marianne betrat gesengten Kopfes den einsamen Friedhof. Jedes Mal, wenn sie an diesen Ort kam, legte sich ein undurchdringlicher Schleier um ihr Herz und zog sich immer enger um sie. Die Kieselsteine unter ihren Füßen gaben ein knirschendes Geräusch von sich, wobei sie nicht verhindern konnte, an ein knochiges Skelett zu denken, welches seine schlackrigen, dünnen Finger nach ihr ausstreckte. Schnell schob Marianne diesen Gedanken fort und bewegte sich auf die zwei Gräber zu, welche etwas außerhalb lagen.
  Allmählich begann es zu nieseln und die einzigen Tropfen hefteten sich an ihren Körper. Mit dem Strauß weißer Rosen in der Hand, erblickte sie schließlich die zwei leichten Hügel. Gestern war sie schon einmal hier gewesen und hatte den Strauß auf dem Grab ihres Mannes aufgefrischt. So wie sie es jeden Donnerstag...der Wochentag, an dem er gestorben war, tat.
Bei dem Gedanken an den plötzlichen und ungeklärten Unfall, der ihren geliebten Ehemann vor vier Monaten in den Tod gestürzt hatte, wanderte ihr Blick unwillkürlich auf die linke Seite, das kleinere Grab. Seid zwei Monaten suchte Marianne nun auch dieses Grab auf.
Mia, ihre fünfjährige Tochter, hatte Rosen geliebt. Marianne konnte die Schwärmerei ihrer jungen Tochter nicht erklären, doch die Kleine hatte sich immer schon angezogen von den edlen Blumen gefühlt.
Ein wehmütiges Lächeln trat bei dieser süßen Erinnerung auf ihr Gesicht und sie strich mit ihrem Finger über die zarten Blüten einer lächelnden Blume.
Sie wollte sich gerade bücken, um sie in die mintfarbene Vase zu stellen, die ein Stück weit in die feuchte Erde eingegraben war. Mitten in der Bewegung gilt sie inne. Ihr stockte der Atem und die Finger um den Strauß verkrampften sich.
  Die alten Blumen steckten nicht mehr in der Vase. Anstelle der lieblichen Blüten klebte ein kleiner Zettel an dem Vasenrand. Mariannes Herz begann immer schneller zu klopfen und sie wagte es kaum, die mit blutroter Tinte geschriebenen Worte zu lesen, die ihren Platz auf dem Grab ihrer Tochter gefunden hatten. Ein Dorn der Rosen, die sie so fest umklammert hielt, bohrte sich ihr in die Hand.
„Du bist die Nächste."
Noch ehe sie in ihrem großen Entsetzen die Reichweite dieser Worte verstehen konnte, spürte sie eine kalte Hand an ihrem Mund, die sich von hinten um sie schlang. Das Blut gefror in ihren Adern, als sie mit mysteriöser Gewalt von dem verlassenen Friedhof gezerrt wurde.

Ein bisschen Schokolade für's HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt