Nähe

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Ich spürte Castiel's Finger, die behutsam über die Narbe an meinem rechten Oberam strichen und wusste nicht, ob ich ihn davon abhalten oder ihn gewähren lassen sollte. Schweigend presste ich meine Lippen aufeinander und ließ es einfach zu, ohne eine Miene zu verziehen. Selbst wenn ich irgendeine mimische Reaktion zeigen würde, könnte er das gar nicht sehen, denn durch seine Umarmung ruhte mein Kopf an seiner Brust. Zum ersten Mal seit Noah's Tod genoss ich die Nähe eines anderen Menschen und war froh, hier nicht allein zu sitzen. Ich war froh darüber, dass Castiel bei mir war. Auch wenn ich diesen Gedankengang noch vor kurzer Zeit für unmöglich gehalten hätte. "Ihr seid zusammen mit dem Motorrad verunglückt, habe ich recht?" Castiel's Stimme war ungewohnt ruhig und, wenn ich mich nicht irrte, sogar ein wenig sanft. Ich verstand nicht, wieso ihn das noch immer so brennend interessierte, jedoch nickte ich stumm. Wieso sollte ich lügen? Dazu gab es keinen Grund. Und im Prinzip hatte ich das sowieso schon verraten. "Erzähl' jemandem, was gerade passiert ist, und ich mache dich fertig." Wechselte er dann das Thema und entlockte mir ein leichtes Schmunzeln. "Ich werde schon Keinem verraten, dass du auch nett sein kannst. Aber sagmal.. Wie kamst du auf die Idee mit dem Boot?" Langsam löste Castiel die Umarmung und ich setzte mich wieder aufrecht hin. Eine kurze Welle der Enttäuschung kam in mir auf, seine Wärme fühlte sich so gut an.. Jedoch bekam ich so die Möglichkeit, mich in seinem tiefgrauen Blick zu verfangen und beinahe zu vergessen, dass ich auf seine Antwort wartete. Bisher konzentrierte ich mich immer darauf, seinen Blicken auszuweichen oder ihm aus dem Weg zu gehen, doch jetzt nahm ich mir die Zeit und musterte sein Gesicht. Wie die roten Haare sein Gesicht perfekt umschmeichelten, die grauen Augen waren auf mich fixiert und - "Meine Mutter hat das früher immer gemacht, wenn irgendjemand gestorben war." "Hm?" Ich sah ihn an und fand erst nach einigen Momenten wieder den Anschluss an das Gespräch. "Achso." Ich nickte zusätzlich. Castiel grinste, anscheinend bemerkte er, dass ich abgelenkt war. "Lass' uns zurück gehen." Er stand auf und ich erhob mich ebenfalls, um ihm, wieder schweigend, zu folgen. Ich konnte mir selbst nicht helfen.. War ich verliebt in Castiel? Oder war es im Moment lediglich eine kurze Verbundenheit, weil er mir geholfen hatte? Es fühlte sich anders an, als bei Noah. Nicht intensiver oder besser.. Einfach anders. Aber wie sollte ich diese Gefühle einordnen? Ich war verwirrt, das stand fest. Jedoch war das die einzige Tatsache, die ich mit Sicherheit bestätigen konnte. "Ist alles in Ordnung?" Rosalia lief uns entgegen und begann schon von Weitem mich zu mustern, das erkannte ich an ihren Augen. Sie huschten nach oben und unten, richteten sich kurz auf Castiel und erwiderten dann meinen Blick. "Ja." Sagte Castiel knapp und wirkte schon wieder genervt. Vermutlich wegen Rosa's Überfürsorglichkeit. "Trotzdem bringe ich Mura nach Hause, ich glaube, das war alles ein bisschen zu viel heute." Ich legte die Stirn in Falten, sagte aber nichts. Natürlich war ich etwas erledigt und wollte eigentlich nur nach Hause, aber mir ging es gegen den Strich, dass über meinen Kopf hinweg entschieden wurde. "Ok, das ist wohl besser so. Ich sage Lysander gleich Bescheid." Rosalia drückte mich zum Abschied, kurz darauf folgte ich Castiel wieder. "Kein Widerspruch? Ich bin beeindruckt." Witzelte er unter'm Gehen. "Dazu bin ich zu müde." Schließlich lief ich neben ihm her und schielte nach unten, zu seiner Hand. In mir brannte das Verlangen sie zu ergreifen, um ihm näher zu sein, aber gleichzeitig hatte ich Hemmungen davor. Ich wollte schreien, so verwirrt war ich. Castiel hingegen verhielt sich wie immer. Er schenkte mir nicht mehr Blicke als vorher, widmete mir nicht mehr Aufmerksamkeit und schien auch nicht so angestrengt nachzudenken, wie ich. "Gehst du dann wieder zurück zur Party?" Fragte ich, um meine Gedanken zu verscheuchen. "Ja, wieso?" "Nur so." Wow. Innerlich applaudierte ich mir selbst für dieses einfallsreiche Gespräch, das ich zudem echt lange fortführen konnte. "Oder willst du, dass ich noch mit rein komme?" An meiner Stelle nahm Castiel das Gespräch nun in die Hand, jedoch hätte er, meiner Meinung nach, echt eine andere, einfachere Frage stellen können. Ratlos verhandelten meine Gefühle miteinander, ob ich ablehnen oder zustimmen sollte, kamen aber zu keinem Ergebnis, was ein leichtes Schulterzucken zur Folge hatte. Beste Antwort. Ich hörte den Rotschopf unterdrückt lachen, äußerte mich dazu aber nicht. Castiel sagte ebenfalls nichts mehr zu dem Thema.

Der Weg erschien mir viel zu kurz, an meiner Haustür blieb ich stehen und wünschte mir, dass wir ewig hier stehen bleiben würden. Wir schwiegen zwar und waren uns nicht sonderlich nah, aber dennoch genoss ich seine Anwesenheit. Alles an ihm fing an, mir mehr und mehr zu gefallen, als hätte sich von jetzt auf gleich ein Schalter umgelegt, der mir eine neue Perspektive gab. Ich konzentrierte mich nicht mehr nur auf meine Trauer, sondern gab Anderen die Chance, einen neuen Platz in meinem Leben einzunehmen. "Sind deine Eltern da?" Castiel durchbrach mit seiner Frage die Stille. "Mein Vater kommt erst morgen, meine Mutter.. Ich denke, sie ist feiern gegangen. Also nein, ich glaube nicht." "Bist du da die ganze Nacht allein?" Ich nickte. "Ist aber normal bei uns. Ich habe keine sehr gute Bindung zu meinen Eltern." "Dann komm' ich mit rein." Ein angenehmer, kurzer Blitz huschte durch meinen Bauch. "Wieso?" "Falls dieser Spinner von Schülersprecher hier auftauchen sollte, um sich wieder zu entschuldigen." Etwas besseres war ihm auf die Schnelle wohl nicht eingefallen. "Lysander hat es dir erzählt?" Auf sein Nicken wandte ich mich dann der Tür zu und nahm den Ersatz-Schlüssel aus einem Blumentopf auf dem Fensterbrett. "Der Klassiker." Grinste Castiel und betrat hinter mir das Haus. "Meine Mutter vergisst ihren Schlüssel meistens, wenn sie zu einer Probe muss." "Achja, sie spielt ja in 'ner Band, oder?" "Ja, aber nicht mehr in der von früher. Da wurde sie rausgeschmissen." Ich verdrehte die Augen und ging nach oben in mein Zimmer. "Hast du keine Angst?" Ich setzte mich auf mein Bett und sah zu Castiel. "Nein, wovor denn?" Der Rothaarige folgte mir und stützte seine Hände auf meinem Bett, jeweils links und rechts von meinen Oberschenkeln, ab, um mir mit seinem Gesicht ziemlich nah zu kommen und meinen Puls in die Höhe zu treiben. "Dass ich irgendwas unanständiges mit dir vorhabe?" Ich hob eine Augenbraue und versuchte, so normal wie möglich zu reagieren. "Ich habe zwei gesunde Knie, mein Freund. Wem sollte also lieber die Angst in's Gesicht geschrieben stehen, hm?" Castiel drückte meinen Oberkörper auf die Matratze und schob ein Knie zwischen meine Beine, um mich in meinen Bewegungen einzuschränken. Darauf beugte er sich über mich und hielt mich mit Leichtigkeit an der Schulter unten. "Eindeutig dir." Er grinste mich an, mittlerweile war mir aber nicht mehr nach Lachen zumute. Mir wurde plötzlich warm und ich konnte förmlich das Blut in meinen Adern pulsieren spüren, als es mir in den Kopf schoss. Ich sah ihn direkt an und bekam keinen keinen Ton mehr heraus. "Ich nehme an, dass ich gewonnen habe?" Castiel lachte und ließ wieder von mir ab. Ich blieb liegen und atmete unauffällig durch, ehe ich mich wieder aufsetzte. "Hast du Filme da?" Ich deutete auf das CD-Regal, welches er beim letzten Mal ja schon gründlich unter die Lupe genommen hatte. "Daneben im Schrank." Informierte ich ihn und krabbelte nun richtig auf mein Bett, um meinen Kopf auf eines meiner drei großen Kissen fallen zu lassen. "Der DVD-Player ist angeschlossen, musst den Film nur einlegen und den Fernseher einschalten. Achja, und umschalten musst du dann noch." Wies ich ihn an, da ich zu müde war, um die Fernbedienung zu holen, die beim Fernseher auf dem Schrank lag. Zwischendurch schloss ich meine Augen und lauschte seinen Schritten, die von einem Ort im Zimmer zum anderen wanderten, bis irgendwann mein Bett nachfederte und ich zu ihm sah. Er saß am Rand und stellte mit der Fernbedienung alles für den Film ein. "Welchen hast du genommen?" Ich gähnte und zuckte zusammen, denn der Film begann mit irgendeinem kreischenden Weib. "Irgend' so'n Horrorstreifen." Schief grinste er mich an. "Ach, wirklich?" Sarkasmus-mode activated. Castiel ließ es sich nicht nehmen, mich an den Bettrand zu ziehen, damit er sich hinter mich legen konnte. Ich bewegte mich nicht und schielte zu ihm nach hinten. Zwischen uns war noch Platz, den ich am liebsten überbrücken wollte. "Komm' her." Er hob einen Arm und deutete neben sich. "Du hast doch Angst bei solchen Filmen, oder?" Ich hörte sein Grinsen schon fast, spielte aber mit. "Ja, ich schrei' immer mit." Ich stieg in sein Grinsen mit ein und rutschte etwas zurück, bis mein Rücken von seinem Oberkörper gewärmt wurde und sein erhobener Arm sich um meine Taille schloss. "Wag es dir, das auch nur einmal zu tun, und du fliegst vom Bett." Ich grinste weiterhin und sah dann still zum Film. Natürlich zuckte ich bei Jumpscares ab und zu zusammen, jedoch verstärkte sich sein Griff um mich jedes Mal für einen kurzen Moment, als würde er verhindern wollen, dass ich die Flucht ergriff. Mit einem leichten Lächeln überkam mich nach und nach die Müdigkeit und schickte mich in einen ruhigen Schlaf.


Danke für's Lesen :) 

The other side of me (Castiel FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt