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Der Tag, an dem meine Welt unterging, war ein milder und windiger Frühlingstag. Es war einer dieser Tage, wie ich sie liebte: Der Himmel war von einem silbernen Wolkenschleier verdeckt und ein warmer Wind wehte durch die Straßen meiner Heimatstadt.

Nikolas bekam von dem schönen Wetter nicht viel mit. Mit 39 Grad Fieber und geröteten Wangen lag mein Bruder in seinem Bett. Während ich ihn mit heißem Tee und Fiebertabletten fütterte, versicherte ich ihm Dutzende Male, dass er heute nicht zur Schule müsse.
"Aber wir schreiben eine Arbeit in Mathe."
"Du gehst auf keinen Fall so in die Schule."
"Ich will nicht nachschreiben."
"Du bleibst im Bett."
"Bekomme ich noch mehr Tee?"
Entnervt warf ich einen Blick auf meine Uhr. Unsere Eltern schliefen um diese Zeit noch.
Sie hatte gestern wieder eine Nachtschicht im Krankenhaus geschoben und würde bis Mittag im Bett bleiben.
Er arbeitete immer bis spät abends an seinen Artikeln für die örtliche Zeitung und konnte es sich deshalb leisten, etwas länger zu schlafen.
Ich war daran gewohnt, jeden Morgen als Erste aufzustehen und Nikolas in die Grundschule zu bringen. Ich selbst ging in die neunte Klasse des Gymnasiums in der Nachbarstadt und fuhr deshalb mit dem Bus.
"Ich muss jetzt los. Du bleibst hier liegen und versuchst zu schlafen. Mama kocht dir dann mittags Suppe."
"Darf Orthos mit ins Bett?"
Er meinte den Welpen, den wir vor einigen Monaten auf der Straße gefunden und gesund gepflegt hatten. Mein Bruder hatte ihn Orthos getauft - ein total unpassender Name für einen kleinen verspielten Mischling, aber Nikolas bestand darauf.
"Nein, darf er nicht."
"Bitte."
"Nein."
"Bitte!"
"Von mir aus."
Er grinste glücklich und ich hob das Fellknäuel aus seinem Körbchen und legte es neben ihn.
"Danke."
"Schlaf jetzt."
Ich eilte aus seinem Zimmer, warf mir meinen Rucksack über die Schulter und lief schnell auf die Straße.

World of Mystic Special - Léandra Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt