Ich spürte Sonne auf meinem Gesicht. Sie prickelte wohlig warm auf meiner Haut, begleitet von einer sanften Brise, die mich liebevoll umwehte. In meiner Nase hing ein erdiger Geruch und abgesehen von leisem Summen und Vogelgezwitscher war es wunderbar ruhig und friedlich um mich herum.
Moment...Sonne, Wind, Erde, Vögel? Wo zur Hölle war ich?
Ich schlug die Augen auf und blickte in einen strahlend blauen Himmel, der nur vereinzelt von schneeweißen Schäfchenwolken bedeckt war. Die Sonne stand genau über mir.
Langsam setzte ich mich auf und ließ meinen Blick schweifen. Ich war herrgottnochmal ein verdammter Freak! Um mich herum reihten sich Gräber auf, die zum Teil frisch bepflanzt, teilweise aber auch ziemlich verwest aussahen. An ihren oberen Enden thronten weiße, schwarze, anthrazitfarbene und marmorne Grabsteine. Ich war auf einem Friedhof aufgewacht. In meinem zunehmend verwirrten Hirn kramte ich nach Erinnerungen, die mir zu verstehen helfen würden, warum ich auf einem Friedhof genächtigt hatte. Ich meine, mal ehrlich, es gibt weitaus schönere Schlafplätze. Selbst die Parkbank erschien mir von meinem jetzigen Standpunkt aus eine tolle Bleibe.
Als ich an mir herunterschaute, fielen mir zwei Dinge auf: erstens hatte ich nicht bloß auf einem Friedhof, sondern obendrein auch noch direkt auf einem frisch aufgehäuften und liebevoll bepflanzten Grab geschlafen und zweitens trug ich wirklich abartig freizügige Klamotten. Dabei mochte ich rot an mir noch nicht einmal.
Rot. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Der Club. Mein Auftritt. Mein Chef (der Penner). Die Erinnerungen an jenen Abend kehrten unaufhaltsam zurück, selbst wenn ich sie gerne im Sanktnimmermannsland gelassen hätte. Mein letzter Abend im Club war selbst für Clubverhältnisse abgrundtief scheußlich gewesen. Ich erinnerte mich mit einem Mal viel zu gut an den widerlichen (und äußerst seltsamen) Kerl, der mir in den Lagerraum gefolgt war und mich einfach so geküsst hatte. Ich konnte fast noch den bitteren Geschmack auf meinen Lippen wahrnehmen, den sein Kuss hinterlassen hatte. Ich erinnerte mich an meinen Chef, der mich mehr oder weniger erpresst hatte, damit ich Elviras Tanzauftritt vertrat. Ich dachte an die 300 Kröten, die er mir dafür noch schuldete. Doch dann war da nichts mehr. Ein taubes Gefühl verdrängte alle weiteren Erinnerungen und ein Kopfschmerz machte sich breit. Je mehr ich versuchte, sie wieder hervorzurufen, desto schlimmer wurde das Pochen in meinem Schädel, bis ich es schließlich aufgab. Hatte ich mich etwa betrunken, um die Ereignisse des Abends zu verdrängen und wurde nun mit einem fiesen Kater bestraft? Himmelherrgott (tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen, Gott), das wurde ja immer besser.
Ich beschloss, dass es wohl das Beste war, erstmal von dem Friedhof herunter zu kommen und zuhause eine heiße Dusche zu nehmen. Ich wollte jedenfalls auf keinen Fall schlaftrunken auf einem Grab hockend gesehen werden. Ich meine, ich bin doch kein bekloppter Emo oder so!
Ich stand auf und klopfte die Erde von dem Kostüm. Zu meiner Verwunderung hatte der rote Stoff keinerlei Flecken, obwohl die Erde feucht und frisch war. Ein Blick auf die Bepflanzung zu meinen Füßen versicherte mir, dass ich mit meinem Gewicht nicht die schönen Blumen ruiniert hatte und somit hätte ich einfach möglichst unauffällig verschwinden können, hätte ich nicht den überaus großen Fehler gemacht und mir den Namen auf dem Grabstein vor mir angeschaut.
Ich erstarrte. Also wirklich, das hier war entweder ein wirklich beschissener Traum oder aber ein ganz übler Scherz. Es war wie eine von diesen Horrorvisionen, in denen man an seinem eigenen Grab steht und sich fragt, warum eigentlich sonst niemand zum Trauern gekommen ist. Natürlich fragte ich mich das nicht, als ich auf meinen eigenen Namen am Kopf des Steines starrte und mehrmals die Augen zusammenkniff, um auch ja sicher zu gehen, dass ich mich nicht verguckt hatte. Doch da stand er: mein Name. Darunter zwei Daten, Geburts- und Todestag, mein Geburtstag und das Datum meines letzten Arbeitstages. Das wusste ich deshalb so genau, weil sich die verhassten Tage, an denen ich im Club arbeiten musste, immer besonders stark in mein Hirn einbrannten.
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Exposed
Teen Fiction"Es würde viel weniger Böses auf Erden geben, wenn das Böse niemals im Namen des Guten getan werden könnte." (Marie von Ebner-Eschenbach) Der Kampf um die Seelen der Menschheit ist ein ewig andauernder, der niemals ein Ende finden wird. Und doch mus...