34 - Dienstag, 30. Mai

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Lebt euer Leben!
Genießt euer Leben!

Ich habe es versucht, vielleicht mehr als so viele - aber es nicht geschafft. Oder zumindest nicht genug.

Wenn ich die Nachbarskinder draußen spiele sehe, habe ich das Gefühl, etwas zu verpassen.
Wenn ich die Abiturienten sehe, werde ich neidisch, weil ich so etwas nie erleben darf.
Wenn ich eine verwelkte Blume sehe, dann rinnen mir die Tränen über die Wangen, weil so mich an mein Schicksal erinnert.

So viele Menschen merken erst, wie besonders und einzigartig, wenn es fast vorbei ist. Jeder, der Selbstmord begeht, wird das nie wissen. Aber die, die leben, können versuchen, etwas zu verändern in ihrem Leben.

Das mag jetzt vielleicht komisch klingen, aber man muss sogar solche Dinge wie eine langweilige Biologiestunde genießen - wer weiß - vielleicht war es euer letztes Mal, das ihr das in dieser Form durftet/konntet.

Vor mehr als einem Monat ist ja mein Onkel gestorben; heute habe ich zum ersten Mal seit langem wieder sein Grab besucht. Ich stand meinem Onkel sehr nahe - er war so etwas wie ein Ersatzvater für mich, wenn meine Eltern mal wieder keine Zeit hatten. Er hat mir Fahrradfahren beigebracht, mich oft bei der Chemo unterstützt,... All diese Erinnerungen sind bei dem "Besuch" wieder hochgekommen. Die Wunden, die sein Tod in meine Seele geschnitten hat, sind wieder frisch aufgerissen.

Ich habe still vor mich hin geweint. Ich hatte das erste Mal fast wieder das Gefühl, mit ihm alleine zu sein. Ich saß sicher eine Stunde vor dem Grab und habe geschluchzt. Und dann...
Ich habe so etwas noch nie erlebt. Eine junge Frau, vielleicht 25 Jahre alt, wollte offensichtlich das Grab neben mir besuchen. Als sie mich da weinend hat sitzen sehen, ist sie zu mir herüber gekommen und hat mich einfach still in den Arm genommen. Normalerweise fände ich das total komisch und wäre gegangen, aber in diesem Moment... vielleicht lag es an der Trauer, die uns beide verbunden hat. Sie hat sich dann neben mir auf den Boden gesetzt und mich gefragt, um wen ich weinen würde. Erst habe ich gezögert, dann habe ich ihr ausführlich von meinem Onkel erzählt - sie mir dann auch anschließend von ihrem Freund, der seit 3 Jahren hier liegt. Er ist früh an - und dann habe ich wieder hemmungslos begonnen, zu weinen, weil es mir so bewusst gemacht hat, dass ich auch bald hier liegen werde - Krebs gestorben.

Lange saßen wir einfach nur da und haben zusammen getrauert. Irgendwie hat das gut getan, mit ihr meine Trauer zu teilen - weil sie mich eben trösten konnte und nicht auch um dieselbe Person getrauert hat. Am Ende haben wir uns einfach wieder getrennt, ohne den Namen des anderen zu kennen. Eine einmalige Begegnung.

Lebt euer Leben!
Genießt euer Leben!

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