Kapitel 1 (Jacky)

75 2 2
                                    

Das ist es also. Mein neues Zimmer im City College of New York. Es ist klein und die Wände, die mich umgeben, sind kahl und weiß. Ein bedrückendes Gefühl macht sich in mir breit und ich wende mich schnell wieder meiner eigentlichen Tätigkeit zu. Meine Mitbewohnerin Liz hat mich dazu überreden können, sie zu einer Studentenparty zu begleiten. Wie ich mir das vorstelle? Schrecklich. Erhöhter Alkoholkonsum, betrunkene und aufdringliche Jungs, die versuchen ihre Probleme in dem Alkohol zu ertränken und Mädchen, die dazu gehören wollen und dafür auch ihre Schamgrenze übertreten. Es ist nicht einfach dazuzugehören und besonders ich weiß, was es heißt, ein Außenseiter zu sein. Vielleicht bin ich auch deswegen so nervös und würde am liebsten einfach hier auf dem Zimmer bleiben, den Tag in Ruhe ausklingen lassen und mich auf das einstellen, was mich in der nächsten Zeit erwartet. Ich betrachte mich im Spiegel und sehe ein unsicheres Mädchen mit einem dezenten Make-Up. Ich bin nicht unsicher, weil ich schüchtern bin, sondern weil ich Angst habe, auch hier wieder die Außenseiterin zu sein. Mein Outfit ist schlicht und bequem, nicht zu auffällig. Lediglich ein etwas tieferer Ausschnitt als normal ziert meinen Oberkörper und ist für mich damit definitiv Partytauglich genug. Ich nehme mir im Gehen meine Tasche und werfe sie mir um. Liz läuft vor mir nach draußen zum Taxi und ich folge ihr schweigend. Die kühle Abendluft umgibt mich und ich ziehe die Jacke enger an meinen Körper. Vielleicht wird diese Party gar nicht so schlimm, wie ich es mir die ganze Zeit in Gedanken ausmale. Vielleicht lerne ich ein paar nette Leute kennen und kann mich mit ihnen anfreunden. Ich versuche mir genau das immer und immer wieder einzureden und halte an diesen positiven Gedanken fest. Der Taxifahrer öffnet uns die Türen und ich lasse mich neben Liz auf die Rückbank fallen. Sie scheint wirklich nett zu sein und ich bin froh, dass ich wenigstens eine Person habe, mit der ich mich hier unterhalten kann. Das Taxi fährt los und ich richte meinen Blick aus dem Fenster, um die ganzen Eindrücke der Stadt in mich aufzusaugen. Während der Fahrt ist es still, nur das Radio spielt leise Musik vor sich hin und ich kann für einen Moment meine Gedanken und all meine Sorgen abschalten. Wir bezahlen den Taxifahrer und steigen aus. Das Haus, in dem die Party stattfindet, ist groß und voll von ausgelassenen Studenten, die den Abend ihres Lebens zu haben scheinen. Ich glaube, ich kann einfach nicht loslassen. Ich denke zu viel nach, mache mir zu viele Sorgen und plane alles viel zu genau um so unbeschwert zu sein, wie alle anderen hier. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich anders bin als alle anderen. Ich weiß nicht, ob das schlecht ist, aber zumindest dieser Gedanke lässt mich schlecht fühlen. Vielleicht sollte ich den heutigen Tag als Neuanfang sehen und das was passiert ist hinter mir lassen. Der Beginn des College ist ein neuer Lebensabschnitt und ein großer Schritt für mich selbst in Richtung eines eigen bestimmten Lebens. Rote Pappbecher liegen überall verteilt auf dem Rasen, der für eine Studentenverbindung wirklich unnatürlich perfekt aussieht. Ein Mädchen steht eng umschlungen mit einem Jungen an einer Mauer und küsst ihn. Sie ist betrunken, genauso wie er und ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Wie kann man sich nur so von dem Alkohol bestimmen lassen? Eine andere Gruppe von Studenten sitzt auf dem Rasen und spielt Flaschendrehen. Aus allen Ecken hört man lautes Lachen und man sieht nur gut gelaunte Menschen. Gut gelaunt, weil der Alkohol sie dazu macht. Wahrscheinlich sind die beiden Knutschenden unglücklich vergeben und voller Liebeskummer und die anderen, die Flaschendrehen spielen, alle nur auf der Suche, nach der oder dem Richtigen. Der Alkohol verschleiert die Sicht auf die Menschen, sodass man ihr eigenes Gesicht gar nicht mehr erkennt. Ich folge Liz und bekomme drinnen angekommen sofort einen der roten Becher in die Hand gedrückt. Eine süßlich riechende Flüssigkeit befindet sich darin und ich sehe der Person nach, von der ich den Becher bekommen habe. "Danke..", murmle ich in mich rein und wollte eigentlich freundlich ablehnen. Was soll's. Ein kleines Bisschen von dem Alkohol wird nicht schaden und vielleicht werde ich dadurch auch etwas lockerer. Nur ein kleines Bisschen, nur so viel, dass ich endlich mal abschalten kann.

Der Strom der Menschen führt mich in das Wohnzimmer oder besser gesagt den Hauptpunkt des Hauses. Mir ist es hier viel zu voll und ich suche mir eine etwas ruhigere Stelle. Ich lehne mich an eine Wand und lasse meinen Blick über die Partygäste schweifen. Als meine Lippen von dem Alkohol benetzt werden, verziehe ich zunächst das Gesicht. Die Flüssigkeit brennt und ich spüre wie sie sich ihren Weg durch meinen Hals macht. Doch ich muss feststellen, dass der Nachgeschmack gar nicht mal so schlecht ist, sondern fruchtig und ziemlich süß. Ich lecke mir über die Lippen und bin etwas verwundert darüber, dass der Alkohol mir schmeckt. Vielleicht hatte ich doch einen falschen Eindruck davon? Doch als eine Gruppe von Mädchen, die auf den Tischen tanzen, meine Aufmerksamkeit gewinnt, wird mir wieder klar, warum ich nie wirklich Alkohol trinke. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich Liz völlig aus den Augen verloren habe und ich seufze. "Na, bist du alleine hier?" Ich wende mich dem Jungen zu, der direkt vor mir steht und ziehe meine Lippe zwischen die Zähne, eine Angewohnheit von mir. "Oh, uhm...ja, heute ist mein erster Tag am College", lächle ich ihn an und versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie fehl am Platz ich mich zwischen all diesen Leuten eigentlich fühle. Er scheint bereits einen gewissen Alkoholpegel erreicht zu haben und redet ungebremst weiter auf mich ein.
"Und, wie gefällt es dir? Nette Party oder? Hast du bock auf einen Drink?"
Ich werfe einen Blick in meinen Becher und muss verdutzt feststellen, dass er fast alle ist. Beim Beobachten der Leute muss ich immer wieder davon getrunken haben. Es wäre demnach falsch zu behaupten, dass es mir nicht schmecken würde.
"Ja, wieso eigentlich nicht?", gebe ich ihm als einzige Antwort, denn auf die Frage, wie es mir hier gefällt, will ich lieber nicht antworten. Ein zweiter Becher wird auch nicht schaden, noch fühle ich gar nichts und so wie diese ganzen Mädchen hier sind, bin ich auch nicht und werde ich auch nicht sein. Ich kenne mich schließlich und weiß, wo meine Grenzen sind. Er macht sich auf den Weg, um uns einen neuen Drink zu besorgen und ich rühre mich nicht von der Stelle.
"Bitteschön die Dame.", grinst er gut gelaunt und reicht mir den Becher.
"Vielen Dank.", erwidere ich freundlich und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Es ist nett, dass er mir überhaupt etwas zum Trinken anbietet.
"Ich bin übrigens Jacky.", füge ich hinzu und nippe an dem Becher.
"Ich freu mich dich kennenzulernen, Jacky." Das Grinsen auf seinen Lippen wird nur noch breiter und er stößt seinen Becher vorsichtig gegen meinen. Ich nehme erneut einen großen Schluck und habe mich langsam an den Geschmack gewöhnt, sodass sich das Brennen im Hals zu einem angenehmen Kribbeln im Bauch verwandelt. Ein großer Typ mit braunen Haaren zieht den Jungen, mit dem ich mich eben noch unterhalten habe, unsanft von mir weg. Seine Arme sind mit Tattoos bedeckt, aber ich kann sie in dem gedämmten Licht nicht richtig erkennen. Ich spüre wie mein Herz schneller schlägt und suche das Weite. Was will er von..? Wie heißt er eigentlich? Er hat mir nicht mal seinen Namen verraten. Ich hebe den Becher an meine Lippen und nehme einen weiteren Schluck zu mir. Während ich versuche den Weg nach draußen zu finden, spüre ich, wie mir langsam wärmer wird und das Verlangen nach frischer Luft immer größer . Ich setze mich auf die Mauer im Garten und stelle den leeren Becher neben mir ab. Mein Blick driftet wieder zu den Studenten und ich mustere sie still. Der einzige Wunsch, der mir dabei durch den Kopf geht, ist hier reinzupassen. Nach einer Weile verspüre ich ein komisches Gefühl, irgendetwas passiert mit meinem Körper. Ich muss ein paar mal blinzeln, um die Leute um mich herum zu erkennen und mir ist ganz schwummrig. Krass ist die Mauer hoch. Ich senke meinen Blick und hefte ihn auf den Boden. Wie bin ich hier überhaupt rauf gekommen?! Ich zucke zusammen, als ein Junge neben mir auf die Mauer springt und öffne erstaunt den Mund. Wie schafft er es, so hoch zu springen?!
"Bist du im Leichtathletikteam?"
"Geht's dir gut?"
Er beantwortet nicht meine Frage und sieht mir stattdessen tief in die Augen, schnell wende ich meinen Blick ab und beiß mir auf die Lippe.
"Ich habe einen Freund, also versuch bloß nicht mich zu küssen, nur weil ich etwas getrunken habe."
Mir entweicht ein leises kichern und ein Gefühl von Unbeschwertheit macht sich in mir breit.
"Ach, und wo ist dein Freund heute?"
Das Grinsen, welches auf seinen Lippen entsteht, ist kaum zu übersehen und ich muss lächeln.
"Er ist Zuhause.", erwidere ich und drifte mit meinen Gedanken zu ihm ab.
"Er geht auf ein anderes College."
Meine Konzentration schwindet und ich schwanke nach vorne, gefährlich nahe über die tiefen Schlucht, die sich vor mir aufgetan hat.
"Vorsicht, fall nicht!", höre ich ihn erschrocken sagen und spüre im nächsten Moment schon seine Hände an meinen Schultern, um mich vor dem Sturz, der vielleicht mein Leben gekostet hätte, zu bewahren.
"Upsi, Danke.", kichere ich und mustere dabei sein Gesicht.
"Du bist schön, weißt du das?", blubbert es nur so aus mir heraus und ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Anstatt auf mein Kompliment einzugehen, fragt er mich tausende von Fragen, die alle gar keinen richtigen Wert zum nachdenken haben.
"Ist dir vielleicht schwindelig? Siehst du irgendwelche Sachen oder hörst du irgendwelche Farben?".
"Wie kann man denn Farben hören?", kichere ich erneut und finde das Gespräch mit ihm sehr amüsant. Er ist schön, aber ziemlich verrückt.
"Vielleicht irgendwelche Regenbögen? Einhörner? Rosa Elefanten?", sein Lachen erfüllt die kühle Abendluft und ich zeige mit einem Finger über mir in den Himmel.
"Du hast recht! Da oben!", kichere ich nur noch erfreuter und beiße auf meiner Lippe rum. Er holt aus seiner Tasche ein Feuerzeug und eine Zigarette, steckt sie sich zwischen die Lippen und zündet sie an. Neugierig sehe ich ihm dabei zu, wie er den Qualm ausbläst und kann meinen Blick nicht von seinen Lippen nehmen.
"Also..wie heißt du eigentlich?", fragt er mich und ich antworte desinteressiert, da meine Aufmerksamkeit voll und ganz dem Qualm gewidmet ist.
"Mhm..Jacky. Wonach schmeckt das?", antworte ich und deute auf die Zigarette.
"Mhm..nach Nikotin.", lacht er und pafft mir einen Ring ins Gesicht. Kichernd wedle ich den Rauch weg und verliere dabei das Gleichgewicht. Schon in nächsten Moment befinde ich mich auf dem Boden und bleibe einfach lachend auf dem Rücken liegen. Autsch, das tat weh. Anstatt weiter damit Zeit zu verschwenden, mir über die schmerzende Stelle an meinem Po Gedanken zu machen, will ich viel lieber selber an der Zigarette ziehen.
"Darf ich mal probieren?"
Der Schock über meinen Sturz ist ihm ins Gesicht geschrieben und er springt von der Mauer zu mir runter. Man sieht, wie sich Erleichterung in ihm breit macht, als er merkt, dass es mir gut zugehen scheint. Er hockt sich zu mir auf den Rasen und steckt mir die Zigarette in den Mund. Ich lege meine Lippen um den Filter und sehe ihn mir großen und fragenden Augen an.
"Einmal tief einatmen.", antwortet er leise auf meine in Gedanken gestellte Frage.
Ich nehme einen langen und tiefen Zug von der Zigarette, atme den Rauch ein und huste ihn ein paar Sekunden später schon wieder aus. Das brennen in meinem Hals ist unerträglich und ich habe das Gefühl, als würde ich Feuer trinken. Kann man Feuer überhaupt trinken? Ich versuche mich an der Mauer hochzuziehen und kann mich kaum auf meinen eigenen Beinen halten. Er reagiert schnell und nimmt mir die Zigarette ab, legt seine Hand an meinen Rücken und stützt mich.
"Hey, tut mir Leid. Soll ich dich nach Hause bringen oder so?"
Seine Stimme ist leise und angenehm anzuhören, neben dem ganzen schrillen Lärm, der meine Ohren füllt und in meinen Schläfen pocht. Ich nicke und muss ein paar mal blinzeln, um wieder eine klare Sicht zu erlangen. Ich halte mich an ihm fest und schlucke schwer.
"Ich habe kaum was getrunken..", murmle ich mit einem komischen Gefühl im Bauch. Im nächsten Moment wird alles schwarz um mich herum und ich spüre, wie meine Beine mich einfach nicht mehr halten können.

Dark AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt