Jonas 2
Das Klingen des Weckers holte Jonas am nächsten Morgen aus seinem unruhigen Schlaf. Er war im Sessel eingeschlafen und streckte sich nun, um wieder Gefühl in seinen Körper zu bekommen.
Der Biergeschmack im Mund ekelte ihn an und auch von seinen Achseln ging ein unangenehmer Geruch aus. Nach einer schnellen aber gründlichen Dusche und einem Kaffee zum Frühstück stellte er sich auf seinen kleinen Balkon und schaute hinunter.
Die Luft war kühl und leichter Nieselregen fiel auf sein Gesicht, als er hoch blickte. Gegen die Müdigkeit war es genau das Richtige. Jonas dachte nochmal an Marvins Eltern und ihre ständigen Anrufe bei ihm. 'Wann kapieren sie es endlich? Warum können sie mich nicht in Ruhe lassen?'
Alles, was er wollte, war vergessen. Seufzend strich er sich über das Gesicht und ging wieder rein.
Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, doch er ignorierte die Stiche. Er suchte sein Portemonnaie und seine Schlüssel zusammen, um sich auf den Weg zur Arbeit zu machen. Da es noch früh war, war es wahrscheinlich, dass er wieder mal der Erste vor Ort war und Frau Braun antreffen würde.
Er zog die Tür hinter sich ins Schloss und hielt einen Moment inne. Jonas hob seinen Arm und roch an seiner Achsel. 'Nein, ich bin es nicht...'
Da er sich nicht erklären konnte, von wo der Geruch herkam, tippte er auf den Nachbarn unter sich, der des öfteren den Müll vor die Tür stellte.
Er zog die Tür hinter sich zu und ging die Treppe runter. Zwar konnte er im Treppenhaus keinen Müll sehen, doch der eklige Geruch lag ihm deutlich in der Nase. Als hätte jemand lange nicht geduscht und stattdessen in Müll gebadet...
An der frischen Luft vergaß er den Gestank schnell und mit in die Hosentaschen gesteckten Händen und hängendem Kopf machte er sich auf den Weg zur Arbeit. Er schlug seinen Jackenkragen hoch, damit ihm der Regen nicht in den Nacken tropfte.
Als er die Straße entlang ging, dachte er über den Verlauf seines Lebens nach, wie drastisch es sich durch einen Tag verändert hatte. Schon seit Monaten hatte er immer den gleichen Tagesablauf.
Morgens früh aufstehen, zur Arbeit gehen, nach der Arbeit auf dem Sessel einschlafen und die Nacht mit Albträumen hinter sich bringen, nur, um am nächsten Tag wieder demselben Kreislauf zu folgen. Leben konnte man das kaum mehr nennen.
Es war vielmehr ein Dahinvegetieren. Wenn er versuchte, sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal etwas mit einer anderen Person unternommen hatte, fiel ihm nichts ein.
'Wozu das alles?' Die Frage kam und ging.
Jonas war klar, dass er sich selbst bestrafte für das, was er seinem besten Freund angetan hatte. Auch wenn er gewollt hätte, er wäre wohl nicht mehr dazu in der Lage, ein normales Leben zu führen.
'Das kann doch nicht alles gewesen sein! Soll ich in zehn, zwanzig Jahren immer noch vor mich hin existieren?' Jonas wurde wütend. Eine unbändige Wut, die sich über die letzten drei Jahre in ihm angestaut hatte, versuchte sich einen Weg zu bahnen.
Plötzlich blieb er stehen und schlug mit der Faust gegen einen Zigarettenautomaten, der an einer Wand hin.
"Scheiße!" Er bebte, doch die Wut verflog genauso schnell, wie sie gekommen war. Was für ein Recht hatte er, wütend zu sein, wo doch er allein Schuld an seinem jetzigen Dasein hatte. Genau deshalb machte er sich so wenig Gedanken wie möglich.
Schnell kesselte er sich und seinen Verstand wieder hinter den Mauern ein, die ihn umgaben und vor den Erinnerungen beschützten.
Als er hoch sah, stellte er fest, dass er falsch gegangen war. 'Seit Jahren das erste Mal.' Sonst tickte er wie ein Uhrwerk. Vermutlich zu sehr mit sich und seinen unterdrückten Sorgen beschäftigt, hatte er eine Abzweigung zu spät genommen und war in Richtung Felder gegangen, in deren Nähe eine kleine Industrieanlage anschloss.
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Im Blick des Todes
Fantasy"Der Tod betrifft uns nicht. Solange wir da sind, ist er nicht; und wenn er da ist, sind wir nicht mehr."