2. Kapitel

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Ertappt schauten wir auf und ließen uns von einer belustigten Frau Malone mustern. Sie fuhr sich schnippisch mit der Zunge über ihre Zähne und verschmierte ihren dort platzgefundenen Pinken Lippenstift bis zum linken Eckzahn. Panisch versuchte ich ein prusten zu unterdrücken, doch trotzdem hievten sich tränen die Bahn frei und ließen meine Augen wässrig werden. Jetzt schaute unsere Schulleiterin abwechselnd und verwirrt von mir zu Till. Dann wieder von Till zu mir und so ging das weiter. Kopfschüttelnd ließ sie uns wie erbärmliche bettelnde zurück. Ich dachte nur daran wann sie um die ecke gestöckelt sein musste, denn nun viel ich lachend um und hielt mir meinen Bauch. Tränen rannten mir über die Wange und mein Magen fing an zu krampfen. Till hockte neben mir und nur verschwommen konnte ich sehen wie er belustigt dem Spektakel zu schaute.

Nach einer weile verstummte mein Lachen und unsere Zweisamkeit wurde vom schweigen überkommen. Es war kein unangenehmes Schweigen. Es war eher wie eine dritte Person die sich zu uns setzte. Till, Ich und das Schweigen.

Ich fragte mich was durch seinen Kopf schoss. Für gewöhnlich schwiegen wir nicht. Jetzt war es schön. Die Stille auf dem Schulflur und nur unser beider Atem. Meiner immer noch schwer vom vielen lachen. Till war einer dieser Menschen, die viel Lebensenergie in sich trugen. Meistens hatten diese Menschen schon schwere Zeiten gehabt, über die sie hinweg gekommen waren. So hatte auch Till welche.

Ich schaute jetzt wieder auf um sicher zu gehen das alles in Ordnung war. Ich konnte ziemlich gut zu ordnen, anhand seines Gesichtsausdruckes, was er fühlte. Oft hatte ich ihn nur angestarrt. War es wenn er schlief und mir gegenüber lag oder im Zug wenn wir mal wieder seine Granny besuchten. Dann waren wir aufs Land heraus gefahren und Till hatte am Fenster gesessen. Schnell huschte die Landschaft hinter ihm vorbei und das Licht schien ihm hell auf den Rücken. Oder wenn er sich nass wie ein Hund aus dem Pool hievte und seine Augen so feuerrot waren, weil er nur tauchte anstatt schwamm. Ich kannte sein Gesicht in und aus wendig. Da waren diese Zwei kleinen Muttermale unter seinem linken Auge, die nur schwach pigmentiert waren. Wenn man näher an ihn heran trat dann sah man sie ganz deutlich. Sonst war sein Gesicht rein. Ohne Sommersprossen oder erste Barthaare. Nichts der gleichen. Auch keine Pickel oder Warzen. Es war einfach nur klar und weich. Wahrscheinlich hatte er die allseits gewollte super Haut.

Ein kleines, fast überhörbares Geräusch weckte mich aus meinen Gedanken. Ich schweifte herüber auf eine kleine Nasse stelle neben mir auf dem kühlen grauen Boden. Eine kleine Träne schwepperte neben Till herab. Unsere Blicke trafen sich und Tills wässrige Augen schlossen sich für einen Moment. Eine weitere Träne presste sich hervor und rannte nun über seine Wange. Bekümmert rückte ich näher an ihn heran und legte einen Arm um ihn.

Till weinte selten. Er weinte nur wenn es wirklich schlimm war und das war ich nicht gewohnt. Menschen weinten, aber Till weinte nur einmal in drei Jahren. Ganz einfach weil er es sich nicht erlaubte. Schon oft hatte ich ihm gesagt wie wichtig es war zu weinen. Es hatte doch irgendwie eine Bedeutung. Wenn man weinte, dann wegen Trauer, Wut, Verzweiflung oder gegensätzlich wegen Freude, Bewegtheit und dem Lachen. Wenn man weinte nahmen Tränen alle Sorgen, Gedanken oder Gründe mit heraus. Sie liefen unsere Wangen entlang, über den Kiefer, prallten an unserem Schlüsselbein ab oder klebten an unseren Haaren. Manche verharrten dann an unserem Körper und blieben dort. Manche fielen auf den Boden und ließen uns allein.

Tills Tränen fielen nun auf meinen Oberschenkel und nun stiegen mir die Tränen in die Augen. Die Stille die bei uns saß ließ nur das schwache schluchzen zu Wort kommen was Till von sich gab.

"Mein dad!" Hauchte er flüstern und erklärend in meine Richtung. Tills dad war abgehauen. Feige hatte er Till und seine Mum alleine gelassen. Für ein neues Leben. Eingetauscht für eine jüngere Frau und weitere Kinder. Vor sieben Jahren war das passiert. Till hoffte immer noch das er zurück kam. Aber er kam nicht zurück, doch Tills Hoffnung blieb. Und das schon seit 7 Jahren.

"Er...er lebt nicht mehr." Stutzend starrte ich auf das Gemälde was gegenüber neben dem Spind hängte. Ein kleines schwarzes Männchen stand auf einem Hügel und schaute auf die hell leuchtende Stadt. Er sah viele kleine Lichter, Häuser und vielleicht sogar Menschen. Wahrscheinlich beobachtete er seine Freunde, doch ebenfalls sah er das dunkle Hinterland. Es barg Hügel und dichte Wälder die nur im Mondschein an manchen stellen erkenntlich wurden. Er sah nicht nur das licht der Stadt, er sah auch das dunkle einsame außerhalb des hellen.

Tills Dad lebte nicht mehr. Wie sehr mich ein satz traf war mir bis zu diesem Moment nicht bewusst. Ich schluckte und sofort war mein Mund trocken. Mein Mund war leer und trocken doch dagegen füllten sich erneut meine Augen mit Wasser. Diesmal nicht aus Freude, sondern aus tiefsten Mitgefühl. Till war meine bessere Hälfte und deswegen traf mich diese Tatsache genau so sehr.

Ich schaute ihn jetzt an und wollte nichts sagen. Manchmal verstand man sich auch ohne Worte. Das glaubte ich jedenfalls in diesem Moment. Ich zog ihn sachte an mich und legte ihm schützend meine Arme um den Hals. So saßen wir hier auf dem Schulflur. Erst lachend, jetzt trauernd und weinend. Ich hielt ihn lange und ich hoffte das half ihn.

Doch ich konnte ihm nicht helfen, denn sein dad war tot.

Langsam und nach einer weile lösten wir uns und sahen uns an. Till schaute beschämt auf seine Hände die er von meinem Rücken gezogen hatte.

"Seit wann?" Fragte ich leise und bemerkte wie ruhig wir waren. Wie still alles um uns herum war. Vorhin erst hatten wir im Unterricht gesessen. Ich voller Belustigung weil Till von Mary verfolgt wurde und hochrot ins Klassenzimmer gestapft kam.

Er zuckte nur mit den Schultern und wischte sich über sein Gesicht: "Mary hatte mich schon längst gefangen und mir die Kaugummis aus den Taschen gerissen, da rief mich meine Mum an. Sie meinte sie wollte mich sofort abholen, aber ich wollte nicht. Ich wusste das irgendwas passiert war. Sie erzählte mir weinerlich das mein dad gestorben war und da wurde ich wütend. Ich weiß das war dumm von mir. Wer ist schon sauer auf seinen gestorbenen Vater, richtig?" Er schnaufte ungläubig und schüttelte den Kopf. Anscheinend wartete er auf eine Antwort, doch mir fiel keine ein. Ich wusste nicht was ich zu ihm sagen sollte, weswegen ich mir von der Stille den Mund zu halten ließ.

"Er hat uns alleine gelassen und jetzt ging er endgültig? Das hat mich unglaublich wütend gemacht. Dann bin ich zurück in die Klasse gegangen und habe beschlossen das ich nicht wegen ihm traurig sein würde." Er schob die Wut vor, anstatt die Trauer. Ich dachte, das taten sicher viele Menschen, es kommt mir nicht unbekannt und befremdlich vor.

"Jetzt Trauer ich wohl doch." Sagte er abschließend und ließ sein Gesicht in seine Hände fallen. Wir saßen dort neben den Schließfächern auf dem grauen Boden. An diesen stillen Ort. Es war in Ordnung und wir ließen es zu. Wir ließen die Traurigkeit zu und das für den Rest des Tages.

Unsere kleine große StadtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt