1. Kapitel

11 1 0
                                    

Unsere Stadt war sichtlich klein. Sie umgab kleine Wälder und kurze Feldwege. Die Häuser in denen wir wohnten waren schmal und der einzige Supermarkt der Stadt hatte die meiste Zeit geschlossen. Der Marktplatz war das Zentrum der Stadt. Dort saßen wir oft in den Pubs oder Cafes. Und dann gab es noch eine einzige Schule, die groß genug war um die ganze Jugend der Stadt zu beherbergen. Sie bat nicht viel, unsere Stadt, aber wir machten sie groß. Wir und alle um uns herum, mit ihren Geheimnissen und Intrigen, ließen die Stadt riesig und weitläufig wirken.
Unsere kleine große Stadt.

Mary Cooper stand an ihrem Spind und suchte nach Kaugummi. Man sagte sie hätte immer 2 Packungen in der Tasche und sollten diese mal aufgebraucht sein, wäre sie diejenige die den Kaugummi unserer Schulcafeteria leer kaufte. Ich machte mir nur einen Spaß daraus und nahm ihn ihr gelegentlich weg. Mary wurde dann ganz wütend und versuchte krampfhaft an neuen Kaugummi heran zukommen. Ich beobachtete wie sie jedes Schulbuch zweimal heraus nahm, nur um sicher zugehen das nicht doch noch ein alter vergilbter Kaugummi dahinter klebte.
"Sie wird keine finden." Belustigt drehte ich mich zu Till, der mir grinsend seine Hand entgegenstreckte. Mary sank jetzt langsam und dramatisch auf den Boden und fing an zu wimmern. Ihre Blonden Locken hingen ihr Schweißverklebt in ihr kleines Gesicht und ließen sie krank aussehen.
"Hey Mary!" Rief ich zu ihr rüber und wusste das ich keine sofortige Reaktion erwarten konnte. "Maary!". Ich lachte ihr entgegen und winkte sie zu mir rüber. Mit roten Augen und laufender Nase schlürfte sie auf uns zu und wirkte wie ein kleines Häufchen Elend als sie wiederwillig "Ja?" antwortete. Ich nickte zu Till herüber und schaute vielsagend in Marys Gesicht. Ihre blauen Augen bekamen eine ganz neue und intensivere Farbe wenn sie weinte, weshalb ich sie mir gerne ansah.
"Verschwinde Mary!" Zischte Till und obwohl er genug Mut aufbrachte Marys Kaugummis zu klauen und sie mir voller stolz zu zeigen, wirkte er jetzt eher wie ein kleiner schüchterner Welpe. Auf Marys unsicheren Blick antwortete ich zustimmend nickend und grinste Till an.
Ich schnalzte mit der Zunge und lies die beiden alleine. Kurze Zeit später hörte ich laute Schritte und Gebrüll den Gang entlang traben. Mary war schnell, das war mir jedenfalls bekannt aus unserem Sport Unterricht. Was sie haben wollte, bekam sie auch und das musste Till nun wohl oder übel auch feststellen.

Manchmal kam mir die Schule größer vor als unsere Stadt. Sie war lauter, stürmischer und aufregender. Abgesehen vom Unterricht passierten hier spannendere und unterhaltsame Dinge. Manche Schüler hatten bereits hier übernachtet, Parties geschmissen oder zusammen in der Mensa gekocht. Hier kamen alle zusammen und manchmal hatte ich das Gefühl das die Schülereinheit hier das Sagen hatte. Eine gewisse Frau Malone wirkte nicht wie eine schlagfertige Schulleiterin, sondern wie eine Frau die in einer midlife Crisis steckte und versuchte Freundschaftlichen Kontakt mit ihren Schülern zu hegen. Es ging soweit das sie auf einer unserer Parties letzten Sommer auftauchte und versuchte heimlich mit zu feiern. Ihr Sohn John Malone hatte sie damals voller Scham abgeführt und kein einziges Wort mehr über den Vorfall verloren. Die Jährlichen Sommerparties waren Tradition und niemand außer vielleicht eine Mary Cooper ließen sie sich entgehen.

Der Englisch Unterricht plätscherte so vor sich hin, bis Till mit schwerem Atem im Türrahmen stand. Mit hochrotem Kopf und bedeckt mit 26 musternden und überaus belustigten Blicken marschierte er auf seine Bank zu. "Sorry." Knurrte er in Frau Millers Richtung und war sich sichtlich bewusst das sie es nicht hörte. Unsere Englisch Lehrerin war knappe 60 und hatte ein Gehör wie ein Fisch. Nächstes Schuljahr würde sie wohl weg vom Fenster sein und mit offenen Armen die Rente begrüßen. Den Rest der Stunde krakelte sie noch etwas unleserlich an der Tafel herum und bemerkte kaum wie die halbe Klasse kurz vorm ende der Stunde abhaute.

"Ich dachte immer Mary bewege sich im Schneckentempo." Till schlürfte immer noch sichtlich geschafft neben mir her. Ich lachte auf, denn jeder wusste das er die lahmste Ente auf dem Schulhof war. "Das kommt doch ganz darauf an wen sie verfolgt." Er verdrehte die Augen und rückte seine Brille zurecht. Mein bester Freund hatte sichtlich das Zeug dazu den allseits bekannten nerd zu verkörpern und er stand dazu. Er trug schon in jungen Jahren eine Brille und und nach einer Zeit entdeckte er Flanellhemden für sich und sein Look stand ihm gut. Er verkörperte sein Image mit Haut und Haar und stand zu allem was er war oder sagte. Till aß jeden Tag eine Banane und war fest davon überzeugt sich damit gegen Depressionen zu immunisieren. Aus Neugier tat ich es ihm für einen Monat lang gleich. Leider verflog meine Depression basierend auf Mathematik und dessen Tücken und hinterhältigen Aufgaben nicht, weswegen ich wieder zu meinen alten Essgewohnheiten überging.
Till und ich schlenderten die langen kahlen Gänge entlang. Durch große Runde Fenster an der Decke schien die Sonne hinein und warf Kreisschatten auf den Boden. Till sprang von einem zum anderen und sah dabei aus wie ein Kind. Stimmte das Gerücht das Jungs immer ein Jahr zurück liegen was ihre Entwicklung betrifft? Till war in meinen Augen eindeutig 15 anstatt 16 und insgeheim glaubte ich das er es gerne war. Ein bisschen Kind, und wenn es drauf ankam ein 16 jähriger pubertierender der verantwortungsbewusst und erwachsen sein wollte wenn es von ihm verlangt wurde.
"Na los." Herausfordernd funkelte er mich an. Ich sprang auf einer der Schatten und lachte. Jetzt sahen wir sicher beide aus wie Kinder, aber das machte nichts denn mit Till fühlte es sich an wie als wäre es das normalste der Welt.
...

Unsere kleine große StadtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt