Schlafkönig

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Camila schnaubte.

Im Klassenraum herrschte das einzige Chaos, doch Lauren blieb wie eine Statue versteinert sitzen. Ihre Arme lagen zusammengebetet auf dem Tisch und ihr Kopf war in ihnen gekuschelt. Camila konnte nur ihre Haare sehen. Sie schlangen sich wie ein Vorhang um die Bühne ihres Gesichtes.

Es war der letzte Tag vor den Sommerferien und die Nerven der jungen Grundschullehrerin waren bis zum Ende strapaziert. Sie dachte, mit einer Runde Schlafkönig könne sie etwas Ruhe ins Chaos bringen. Leider hatte sie die Rechnung ohne die 1. Klässler gemacht.

Alles war erlaubt. Schreien, Kitzeln, Erschrecken - es gab keine Regel, die eine von diesen oder anderen Methoden verbot. Die einzige Grenze war die Kreativität der Kinder.

Bald schon war aus dem ruhigen, schlafenden Klassenzimmer das reinste Schlachtfeld geworden. Kinder jagten andere Kinder, weil sie sie zum Aufwachen gebracht hatten, Stühle und vereinzelt Tische flogen runter, Schreie wie hin und wieder Gelächter erklangen; inmitten dieses Chaos war eine Lehrerin, die nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Deshalb ließ sie es gleich bleiben und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.

Der Klassenraum der 1b machte wirklich ein großartiges Exemplar für Chaos her - außer die rechte hintere Ecke.

In dieser saß Lauren Jauregui, die Schlafqueen. Sie gewann jedes Mal - wirklich jedes einzige Mal. Die anderen Kinder versuchten nicht Lauren zu wecken. Sie wussten, dass es unmöglich war.

Doch Camila Cabello liebte Herausforderungen, besonders unmögliche. Es wurde Zeit, dass die Queen von ihrem Thron gestoßen wurde.

Camila sah auf den schwarzen Schopf vor ihr. Lauren hasste es, wenn man ihre Haare anfasste. Sie selbst spielte andauernd mit ihnen. Insgeheim hatte sich Camila schon oft gefragt, ob ihre Haare so weich waren, wie sie aussahen.

Camila bemerkte nicht, dass sie ihre Hand ausgestreckt hatte, bis sie knapp über Laurens Haaren hing.

"Ich fass gleich deine Haare an!", verkündete das Mädchen laut, auch wenn niemand außer Lauren sie hören konnte. "Ich mach's wirklich!"

Keine Regung.

Camila stapfte mit ihrem Fuß. Sie ließ ihr keine andere Wahl.

Mit einer schnellen Bewegung war Camilas kleine Hand in der schwarzen Mähne von Lauren vergraben. Ihre Hand war vollständig vom Haar verdeckt wie die Nacht von Sternen.

Camila wartete. Sie war sich nicht sicher worauf. Vielleicht darauf, dass Lauren aufsprang und sie anschrie, dass sich das Mädchen verkrampfen würde oder zumindest, dass sie sich leicht weg lehnen würde.

Doch nichts passierte.

Camila würde nie Laurens Lächeln sehen.

Die Hand fuhr durch die Haare, verzweifelt, eine Reaktion aus dem Mädchen zu locken. Gleich wie sehr Camila ihre Fingerkuppen gegen Laurens Kopfhaut kreiste, wie sehr sie einzelne Strähnen um ihre Finger wickelte und wie sehr sie die Haare verwuschelte, die Queen rührte sich nicht.

Es war unfassbar frustrierend.

"Lo!"

Das Lächeln wurde breiter, doch noch immer sah Camila nur den Hinterkopf des Mädchen. Lauren sah nur Dunkelheit. Sie spürte alles. Jede Faser ihres Körpers brannte vor Intensität.

Jede Zelle von ihr spürte, wie Camila ihr T-Shirt leicht anhob und ihre Hand Lauren vorsichtig am Bauch kitzelte. Lauren musste breiter lächeln. Sie war nur am Fuß kitzelig. Aus ihr unerklärlichen Gründen kitzelte ihr Bauch trotzdem bei Camilas Berührung. Es war anders als das Kitzeln am Fuß, irgendwie besser - es kribbelte mehr, als es kitzelte.

Es war die Freude, wenn Lauren endlich die erste in der Schlange für Eis und ihr Mund schon wässrig war. Wenn ihre Eltern sie ganz fest in den Armen hielten und sie sich geborgen fühlte. Die Schmetterlinge, die in ihrem Bauch flatterten, wenn Lauren Camila verstohlene Blicke zuwarf.

Das Kribbeln war erste in der Schlange zu sein, mit ihren Eltern zu kuscheln und Camila aus dem Geheimen zu bewundern. Es war das neue Lieblingsgefühl von Lauren, weil es all das vereinte, was sie am meisten liebte.

Camilas Berührung war ihr neues Lieblingsgefühl. Sie würde nie wissen, dass ihre Hand bei der Berührung genauso kribbelte.

Nachdem Camila aufgegeben hatte und sich eine neue Strategie auszudenken versuchte, wurde das Kribbeln zu einem sanftem Streicheln.

Plötzlich spürte Lauren einen kalten Hauch an ihrem Ohr. Sie biss auf ihre Lippe, um ein Grinsen zu unterdrücken. Camila roch nach Bananen. Lauren sah, wie Camila sie aß, und manchmal fragte sie sich, ob sie eine Banane mit ihr teilen würde.

Das Hauchen hörte auf. Camilas Augenbrauen waren leicht zusammengeszogen. Warum hatte nichts funktioniert?

Langsam fing sie an zu glauben, dass Lauren einfach unschlagbar war. Vielleicht war das ihr Talent, bewegungslos zu bleiben. Wenn das so war, hatte sie gar keine Möglichkeit das Mädchen vor ihr zum Verlieren zu bringen. Das wäre das gleiche, wenn sie Flash zu einem Wettrennen herauszufordern würde - hoffnungslos.

Gerade als Camila aufgeben wollte, kam ihr die Idee des Jahrhunderts. Die Art wie ihr Vater ihre Mutter an ihren Hochzeitstagen weckte. Es funktionierte immer.

Camila war froh eine Ausrede zu haben Laurens weiche Haare wieder anzufassen, dass sie mehr als nötig und mehr, als ihr Vater es immer tat, zu Seite schob. Laurens Nacken war jetzt komplett entblößt.

Ihre Haut war so blass. Camila erinnerte sich noch an ihre Angst vor Lauren, weil sie dachte, sie sei ein Vampir. Am ersten Schultag hatte das blasse Mädchen mit ihr spielen gewollt, aber Camila war schreiend davongerannt. Manchmal fragte sie sich, ob sie jetzt Laurens beste Freundin wäre, wenn sie sich an jenem Tag wie ein normaler Mensch benommen hätte.

Camila schüttelte den Kopf. Sie musste sich konzentrieren, sie war auf einer Mission.

Es war nur ganz kurz. Nur für einen kurzen Augenblick presste Camila ihre Lippen gegen Laurens Nacken. Es war kurz, unschuldig und brachte Lauren zum Aufzuspringen.

Sie schaute Camila aus großen Augen an, noch immer viel zu erschrocken von der Berührung, um ihre Niederlage zu erfassen.

Lauren brachte ihre Hand zu ihrem Bauch. Er kribbelte wie Camilas Lippen.

"Du hast verloren."

Camilas Stimme war sanft und leise, sie war nur für Lauren bestimmt. Eigentlich hatte sie vor, einen Freudestanz aufzuführen oder wild durch die Klasse zu schreien - aber in die Augen vor ihr zu schauen war besser.

Lauren fuhr durch ihre Haare und öffnete ihren Mund, doch das laute Schreien kam nicht von ihr.

"Es reicht!" Aus dem Schlachtfeld wurde eine Schweigeminute. "Schaut euch an, was passiert ist!"

Shawn lag weinend mit einem blutendem Knie auf dem Boden. Um ihn herum war eine Schar von Kindern versammelt.

Die Lehrerin seufzte tief. Sie massierte sich ihre Schläfe und sie schien um einiges ruhiger, als sie in die hintere rechte Ecke blickte.

"Lauren, Camila, ihr ward die einzigen, die nichts damit,", sie deutete vage auf das ganze Klassenzimmer. "zu tun hatten. Ihr könnt schonmal in die Pause gehen und spielen. Frau Lovato ist mit ihrer Klasse auf dem Hof, sie wird auf euch aufpassen."

Die beiden Mädchen nickten und gingen in den Hof, nicht ohne, dass Camila eine Banane aus ihrer Tasche griff.

Wie so oft fragte sich Lauren, ob Camila mit ihr teilen würde. Camila fragte sich, ob sie wieder ihre Hand durch Laurens Haare wuscheln durfte.

Es war das erste Mal, dass sie ihre Fragen laut stellten.

Laurens Bauch und Camilas Haut kribbelten die ganze Zeit lang.

Meine Queen (Mini-Series)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt