Meine Queen

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Für eine Zeit lang funktionierte es. Camila vergaß alles um sich. Sie dachte an absolut nichts. Ihre komplette Aufmerksamkeit war der Hebung und Senkung ihres Bauchs gewidmet. Sie war einfach nur Mensch.

Langsam schlichen sich Gedanken in ihren Kopf. Erinnerungen, Ängste, Lauren. Vor allem Lauren. Es war als gehöre Camilas Verstand gar nicht ihr, als wäre er nur dazu da, um die Existenz Laurens wertzuschätzen. Camila dachte an die Zeit zurück, als sie Kind war, als sie nur Lauren sah. Schon damals haben ihre Augen immer den Weg zu Lauren gefunden.

Sie dachte an die Zeit, als sie im Schulstress und ihren Elterns Anforderungen versunken war. Lauren hatte in ihren Gehirnkammern gespuckt. Camila hatte nichts dagegen tun können. Jeden Abend hatte sie von diesen grünen Augen geträumt. Jeden Abend war sie mit einem Lächeln eingeschlafen, das noch am Morgen auf ihren Lippen gezeichnet war. Wie groß ihr Stress gewesen sein mochte, das Grün heiterte sie auf.

Es war immer schon Lauren gewesen.

Camila lächelte. Keine Lachfältchen, keine Freude. Es war das Lächeln eines Veteranen, der in Nostalgie schwelgte. Camila war ein Veteran. Sie hatte sich endgültig entschieden, diesen verlorenen Krieg aufzugeben.

Plötzlich erschrillte der laute Klang der Klingel.

Camila atmete einmal noch tief ein. Sie schloss ihre Augen. Als sie sie wieder öffnete, loderten Flammen der Entschlossenheit in ihnen. Sie wusste lange schon, was sie tun musste und jetzt, jetzt hatte sie endlich die Kraft gefunden es zu tun.

Lauren raffte sich vom Boden auf. Ein tiefer Seufzer verließ ihre Lippen. Sie hatte die ganze Zeit über gehofft, dass Camila doch den Garten aufsuchen würde. Lauren schüttelte ihre Sorge weg; Camila würde sicherlich zur nächsten Stunde gehen.

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"Lauren?" Die Genannte drehte sich um und traf nervöse, braune Augen. "Können wir reden?"

Lauren nickte. Sie schwang sich ihren Rucksack über die Schulter und ging aus dem Klassenraum in eine ruhigere Ecke im Flur. Ihre Mitschüler alberten fröhlich herum, lästerten ach so geheimnisvoll und ließen sich vom Strom nach draußen tragen.

Lauren beneidete sie um ihre Sorglosigkeit. Sie wünschte, Camila wäre unter ihnen.

"Ich weiß, ich wollte dir Zeit geben, aber du bist mir wirklich wichtig," Brads Stimme hing in der Luft, erreichte Laurens Gehirn, nicht ihr Herz, und schmelzte in die anderen Stimmen im Flur ein. "Und ich will, dass du das weißt. Wenn du dem Date am Freitag zustimmst, würde ich dich wirklich gut behandeln."

Lauren fuhr durch ihre Haare. Sie hatte nichts gegen Brad. Aber er war nicht Camila. Sein Lächeln brachte ihr Herz nicht zum höher Schlagen, sie verlor sich nicht in seinen Augen, seine Stimme erreichte nicht ihr Herz.

"Freitag geht leider nicht." Die warme Stimme Camilas kennzeichnete das Ende die Zweisamkeit. Laurens Herz raste. "Wir haben unseren Filmabend."

Lauren fand ihren Kopf nickend zu Camilas Aussagen. Es war keine Lüge. Der Filmabend ging vor. Vielleicht, dachte Lauren, kann ich wieder mit Camzi kuscheln.

"Aber Samstag würde gehen, oder, Lo?"

Laurens Kopf blieb mitten in der Bewegung stehen. Die Zeit stoppte. Jegliches Leben stoppte. Lauren fühlte so viel in diesem Moment.

Sie fühlte beißende Schuld. Sie sah Brads Augen mit Hoffnung aufleuchten und wusste, er würde zutiefst traurig und enttäuscht werden.

Sie fühlte Trauer und Schmerz. Sie spürte Camilas Hand auf ihrer Schulter. Ihr warmer Atem an Laurens Ohr brachte ihren Bauch zum Kribbeln. Doch jener selber Atem zeriss mit seinen Worten ihr Herz.

Doch Lauren wollte Mut fühlen. Sie wollte den Mut fühlen, Camila gegen den Spind zu pressen und ihre Lippen so lange zu küssen, bis sie geschwollen waren. Sie wollte ihre Babyhaare um ihre Finger wickeln. Sie wollte Camila.

"Nein, eigentlich nicht."

Laurens Stimme hallte fremd in ihren Ohren wieder. Sie war monoton und emotionslos. Ihre Augen flogen hoch zu Brad. Lauren sah die Enttäuschung, aber an ihre Stelle trat Verständnis.

"Okay." Seine Stimme klang tatsächlich so, als wäre es nicht schlimm. "Ihr beiden habt dann Spaß."

Camilas Luft blieb ihr bei seinem Schmunzlen und Augenzwinkern im Hals stecken. Ihre Augen huschten zu Lauren. Sie war völlig unberührt. Ihre Augen blickten noch immer ins Leere und ihr Körper war so steif wie ein Holzbrett.

Natürlich ist sie das. Sie empfindet nichts für mich.

"Weißt du noch, als wir in der Grundschule Schlafkönig gespielt haben? Als ich zum ersten Mal verloren habe?"

Laurens Augen blickten wach und weise zu Camila.

Als der Rest meines Lebens anfing? Wie könnte ich das je vergessen.

"Ja, die Lehrerin ist am Ende total ausgerastet!", lachte Camila. Der hohle Klang erfüllte den Raum zwischen Lauren und ihr.

"Ich war damals cooler als heute." Laurens Lachen stimme mit ein. Die Grünäugige würde sich fragen, wie ein Lachen nur so viel Schmerz tragen konnte, aber sie war zu fasziniert von Camilas Freude. "Schlafqueen ist definitiv der beste Spitzname, den ich je hatte."

Mit einem Mal verstummte das falsche Gelächter. Es war einer dieser Momente, in denen all die Geräusche kurz verstummten. Man hörte die Welt leben.

Camila schaute auf ihre Füße.

Jetzt. Tu's jetzt.

Die Braunäugige schaute zu Lauren. Diese hatte ihr Gesicht nach oben gerichtet und schien in Nostalgie versunken zu sein. Camila erlaubte ihren Augen Laurens Schönheit zu erfassen. Von ihrem Kiefer bis zu ihren Augenbrauen.

Camila öffnete ihren Mund.

In diesem Moment schaute Lauren zu ihr. Beide hatten den gleichen entschlossenen Ausdruck in ihren Augen.

Irgendwann werden sie an diesen Moment zurückdenken und weinen. Sie werden an alles denken, was hätte sein können. Diese Liebe, diese Lebenszeit hätte sein sollen, aber wurde nie. Sie werden wütend und traurig zugleich sein. Es werden so viele 'Was wäre wenn...' Szenarien in ihren Köpfen schwirren, so viele Möglichkeiten diesen Satz zu beenden. Sie werden sich eine Welt ausmalen, in der all diese Möglichkeiten zusammentreffen, und, oh, wird diese Welt malerisch sein.

Lauren wird Camilas Lippen geschwollend küssen. Sie wird mit ihren Babyhaaren spielen. Sie wird Camila haben.

Camila wird Lauren jeden Morgen aufwecken. Sie werden eineinander als Erstes am Morgen sehen. Sie werden Pfannkuchen essen.

Lauren wird Camilas sein. Camila wird Laurens sein.

Wie malerisch diese Welt doch sein wird. So sehr, dass Camila und Lauren vergessen werden, dass sie wegzuwaschen ist. So sehr, sie werden sich wünschen jene Wahrheiten ausgesprochen zu haben.

Ich will deins sein.

Sei meine Queen.

Sie werden weinen und denken, es seien die Tränen des Universiums.

Camila lächelte sie an. Lauren hob eine Augenbraue.

"Nichts."

Sie lebten ihr Leben weiter.

Meine Queen (Mini-Series)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt