Der Schmerz war lähmend. Es fühlte sich an, als ob Flora brannte, als ob ihr Körper und jede Faser ihres Seins in lodernden Flammen stehen würde. Flora glaubte, zu schreien, aber sie konnte nichts hören. Sie nahm nichts wahr, ausser Schmerz. Es war, als würde alles, was sie war zerfallen und neu geschaffen werden und wieder zerfallen in einem einzigen, feurigen Tanz. Flora wusste, dass irgendetwas nicht stimmte und zugleich schienen die Flammen einen Teil von ihr zu füllen, der bis zu diesem Moment immer leer gestanden hatte. Und dann rannte sie plötzlich. Flora wusste nicht, weshalb sie rannte oder wohin, aber sie spürte intuitiv, dass sie sterben würde, wenn sie nur eine Sekunde verweilte würde. Sie hörte ein Fauchen hinter sich, doch als sie sich umdrehte war nichts zusehen. Jedenfalls nichts ungewöhnliches. In diesem Moment wurde Flora klar, dass sie durch einen Wald lief. Flora stockte. Wie hatte sie das nicht bemerken können? Es war ganz einfach so, als hätte das zuvor keine Bedeutung gehabt. Die Bäume, an denen sie vorbei lief, waren so hoch gewachsen, dass Flora ihre Kronen nicht sehen konnte. Und noch etwas wurde ihr plötzlich bewusst: Die Schmerzen waren verschwunden. Sie waren so ohne jede Spur weg, dass man beinahe glauben konnte, sie hätten nie existiert. Aber Flora wusste, dass sie eben noch da gewesen waren. Vor ihr schien sich der Wald zu lichten. Voller Angst blickte Flora zurück über ihre Schulter, doch noch immer lag der Wald still hinter ihr. Sie drehte den Kopf... und bremste entsetzt ab. Sie stand am Rande einer meterhohen Klippe! In letzter Sekunde schaffte sie es stehen zu bleiben. Verzweifelt blickte Flora um sich. Es gab keinen Ausweg. Starr vor Angst blieb Flora stehen und wartete darauf, dass ihr Verfolger sie einholen würde. Das Gebüsch vor ihr begann zu rascheln. Angespannt machte sich Flora auf den Angriff bereit. Es raschelte erneut und eine kleine Maus sprang aus dem Dickicht. Verwirrt blinzelte Flora. Die kleine Maus lief über das Gras und schnüffelte mit ihrer kleinen, zuckenden Nase in der Luft. Dann drehte sie sich um und verschwand, ohne Flora zu bemerken, wieder im Wald. "Flora", fragte eine Stimme hinter ihr. "Wovor läufst du davon?" Flora drehte sich um, doch da war nichts, nur die Schlucht. "Wo bist du?", fragte sie verwirrt. "Direkt vor dir." Doch noch immer war da nichts. Flora zitterte. "Wovor hast du Angst, Flora?" "Ich- Ich weiss es nicht." "Nein", entgegnete die Stimme traurig. "Das weisst du nicht." "Wovor laufe ich denn davon?", traute sich Flora zu fragen. "Vor dir selbst, Mädchen. Vor deiner Vorstellungskraft, deinem Glauben." "Aber warum?", stiess Flora verzweifelt hervor. "Weil du Angst hast. Davor, was kommt wenn du dich traust, zu akzeptieren was gerade geschieht. Mach deine Augen auf, Flora. Trau dich zu glauben." Eine Stimme ertönte in Floras Gedanken. Nein, schrie sie. Doch der Rest ihres Geistes gehorchte der Stimme, streckte sich aus. Plötzlich brachen Floras Erinnerungen um sie herum ein. Sie sah einen Schulhof vor sich, Regen der in Strömen fiel und eine sanfte Melodie spielte und einen Strudel, der alles verschlang, den Hof, den Regen und Flora selbst. "Ich wurde in das Buch gesogen. Ich- ich bin in Narnia, nicht wahr?" Ein Schleier fiel von ihren Augen. Auf einmal war die Schlucht vor ihr verschwunden. Sie war einer grünen Wiese gewichen, voller Halme, die sanft im Wind wiegten. Und mitten auf der Wiese stand ein Löwe. Nicht ein Löwe, sondern der Löwe. In dem Augenblick in dem Flora ihn sah, verschwanden die letzten Zweifel in ihrem Inneren. Sie sah ihn an, ruhig und doch voller Furcht. "Aber wie kann das sein?", fragte sie. "Warum sollte etwas nicht sein, nur weil man es noch nie zuvor erlebt hat?" Flora glaubte einen Hauch von Belustigung in seiner Stimme zu hören. "Weil es auch sonst nie jemandem passiert ist!" Flora wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, zu protestieren. Aslan neigte seinen Kopf. "Das stimmt so nicht. Du hast doch selbst davon gelesen." Flora schluckte. "Aber das sind Geschichten!" "Manche Geschichten entsprechen der Wahrheit. Und wie kannst du an etwas zweifeln, das dein Herz dir sagt?" Flora schluckte. "Ich weiss es nicht." Sie schwieg. "Aber Narnia ist untergegangen", fiel ihr plötzlich wieder ein. "Wenn der Rest wahr ist, muss doch auch das stimmen!" Aslan neigte seinen Kopf. "Das ist es. Narnia starb vor ewigen Zeiten und doch wurde es zugleich erst gestern geboren." Flora runzelte ihre Stirn. "Wie meinst du das?" Aslan lachte. "Du willst alles wissen, nicht wahr? Dabei gibt es so viel wichtigeres, was du wissen solltest." "Und was muss ich wissen, wenn nicht, wie ich hier hergekommen bin?" "Warum du hergekommen bist. Warum ihr alle hier seid." Flora zuckte zusammen. "Wer ist sonst noch hier? Wo sind sie?" Sie sah sich um, doch da waren nur Bäume und Gras. "Alles kommt mit seiner Zeit, Flora. Es wird der Tag kommen, an dem dir keine Fragen mehr einfallen und an dem du weisst, warum alles so gekommen ist, wie es kommt, aber bis dahin musst du selbst deine Antworten finden." "Wie soll ich Antworten finden, wenn ich keine Ahnung habe, wo ich suchen soll?" "Durch Zeit", entgegnete Aslan. Flora schluckte. Auf einmal wusste sie die richtige Frage. "Was soll ich tun, Aslan?" Der Löwe sah sie schweigend an. "Das Schicksal ist wie ein Bach", erklärte er ihr. "Man kann Steine hineinwerfen, und er ändert seine Richtung kein bisschen. Aber wenn man aus den Steinen eine Mauer baut und ihn aus seiner Bahn zwingt... Dann weiss niemand wo der Bach danach seinen Weg finden wird. Verstehst du?" Flora nickte. "Du meinst, dass man das Schicksal nicht umleiten sollte." "Ja", meinte Aslan. "So ist es. Weisst du, irgendwann musste der Bach das erste mal entspringen, aber jeder Tropfen, der nach ihm fliesst, geht den selben Weg. Das muss auch beim Schicksal so bleiben." Aslan sah ihr ernst in die Augen. "Du musst dafür sorgen, dass der Bach in seinem Bett bleibt." "Wie?" "Du hast doch die Bücher, die Geschichten wie du sie nennst, gelesen. Sie sind das Bett, in dem das Schicksal bleiben muss." "Aber wie soll ich das schaffen? Soll ich einfach hingehen und ihnen sagen, was sie laut ihrem Schicksal tun müssen?" "Nein", meinte Aslan entschieden. "Du darfst niemandem davon erzählen. Weder von den Büchern, noch von diesem Gespräch. Versprichst du mir das?" Er sagte das mit solcher Heftigkeit, dass Flora zusammen zuckte. "Ja", entgegnete sie hastig. "Natürlich. Aber was soll ich dann tun?" Aslans Gesichtsausdruck wurde wieder sanfter. "Das Schicksal wird seinen Weg schon finden, aber du musst dafür sorgen, dass niemand eine Mauer baut." Flora nickte. Auch wenn noch so viel ungewiss war und sie wusste, dass sie das später bereuen würde, hatte sie keine Fragen mehr. Jedenfalls für den Moment. "Ich werde dafür sorgen." Aslan lächelte. "Gut!" Und dann blies er warme Luft aus. Floras Lieder wurden schwer und sie schlief ein.
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Die Chroniken von Narnia - Die Prophezeiung von Narnia
FanfictionWas ist, wenn du in ein Buch gesogen wirst, von dem du weißt, dass es schlecht ausgehen wird? Was ist, wenn du eine Schlacht kämpfen musst, von der du weißt, dass du sie verlieren wirst? Was ist, wenn du dein Leben für das von Leuten aufs Spiel setz...