Siebtes Kapitel

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Siebtes Kapitel
Fetzen zwischen Gas und Bremse
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Ich bin verwirrt, als ich zuhause ankomme. Größtenteils, weil ein Teil meines Inneren etwas Seltsames verspürt, das ich unter anderen Umständen vermutlich ›Glücklich sein‹ genannt hätte.

Da ich alleine zuhause bin, bereite ich mir sofort eine große Tasse Kaffee zu und breite meine Hausaufgaben auf dem Küchentisch aus. Summend öffne ich das Mathebuch und will mich gerade dem ersten Beispiel widmen, als mein Handy zu surren beginnt und die typische Musik erklingt, die mir zu verstehen gibt, dass ich angerufen werde.

Als ich auf das Display schaue, sehe ich Merle darauf stehen.

»Hey, Merle«, sage ich in den Hörer.

»Hallo Mila«, höre ich Merles aufgebrachte Stimme. Sie klingt, als wäre sie außer Atem. Es wundert mich ein bisschen, dass sie mich anruft - schließlich haben wir uns vor weniger als einer Stunde noch gesehen. Ob etwas passiert ist?

»Was gibt's denn?«, frage ich argwöhnisch.

»Hast du schon das neue Bild von Levin auf Instagram gesehen?« Sie klingt total aufgeregt.

Ich ziehe die Brauen zusammen. »Nein, ich halte nicht viel davon, das weißt du doch.«

Merle seufzt. »Das ist wirklich, als würde man sich mit einem Steinzeitmenschen unterhalten«, murmelt sie.

»Ich glaube das Wort, das du suchst, lautet Neandertaler.« Ich muss grinsen.

»Wie auch immer. Lade dir mal Instagram runter.«

»Ich habe sogar einen Account-«

»Ja, ohne Beiträge, ohne Profilbild und ohne Bio«, kommentiert Merle. Ich kann praktisch hören, wie sie mir ein Augenrollen zuwirft, weshalb ich eine Grimasse schneide.

»Ja, und? Das nennt man: Keine Spuren hinterlassen«, kontere ich trotzig.

»Schau dir das Bild einfach an. Das müsste letzten Freitag bei der Party nach dem Spiel gewesen sein, erinnerst du dich?«

»Also, so betrunken war ich jetzt auch wieder nicht«, murre ich vor mich hin.

»Auf dem Bild ist Levin mit drei anderen Mädchen und eins davon sitzt ziemlich nahe bei ihm... Es sieht fast so aus, als würden sie sich küssen!«

»Was?!«, rufe ich entgeistert. Mein Herzschlag verdoppelt sich - habe ich nicht erst vor drei Tagen Levin gebeten, dass er sich der Glaubwürdigkeit halber von anderen Mädchen fern hält? Ich schüttle den Kopf. Wenn das, was Merle sagt, stimmt...

Fassungslos höre ich Merle weiter zu. »Die ganze Klasse spricht über dich und Levin. Immerhin wurdet ihr zu zweit am Mozartplatz gesichtet. Und jetzt... Jetzt fragen sich alle, ob er ein mieses Spiel mit dir spielt und dich betrügt oder was los ist.«

Sie schnappt nach Luft, genau wie ich, allerdings aus einem anderen Grund. Merle ist außer Atem, weil sie redet, wie ein Wasserfall, und ich schnappe nach Luft, weil ich nicht glauben kann, was ich höre.

Die Leute fragen sich, ob ich betrogen werde? Das ist absolut nicht das, was ich mit dem Ganzen erreichen wollte! Und ich will auch nicht, dass Oli mich nur mag, weil er Mitleid mit der armen, kleinen, betrogenen Mila hat!

»Okay, danke«, gebe ich missmutig von mir. Meine gute Laune von vorhin ist verpufft. Stattdessen fühle ich... ja, ich weiß gar nicht, was ich fühle. Es ist, als wäre da ein schwerer, fester Knoten in meiner Brust, der mir jegliches Fühlen verweigert.

Fetzen zwischen Gas und Bremse Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt