Chapter 1

2 1 0
                                    

Ich schloss die Augen und versuchte die kurze Abkühlung des Windes zu genießen, bevor die brennende Hitze mich wieder überfiel und mir den Marsch zur Stadt zur Hölle machte.
Ich hatte mein Zeitgefühl schon kurz nachdem wir losgegangen waren verloren.
Zumindest glaubte ich, dass es kurz gewesen war.

Der Weg zur Stadt war lang und eintönig, denn es gab nichts Interessantes zu sehen, außer einige verlassene Häuser, tote Bäume und kaputte Schilder, auf denen man so gut wie nichts mehr erkennen konnte.

Keine Wolke war am Himmel zu sehen und ließ meinen sehnsüchtigen Wunsch auf Abkühlung ins Nichts verschwinden.
Was hätte ich jetzt um Regen, oder auch nur mehr Wind, gegeben?
Ich schleppte mich weiter vorwärts und durch den Schleier flimmernde Hitze, der über der verfallenen Straße schwebte, war die Stadt zu erkennen, die wir erreichen mussten, bevor die Sonne unterging. Mir wäre es tausendmal lieber gewesen, nachts zu gehen, da mich die Sonne nicht totbraten würde, während ich verzweifelt nach Flüssigkeit lechzte.
Mir lief der Schweiß den Rücken herunter und durchnässte meine Kleidung. Eigentlich sollte Schweiß ja kühlen, doch ich spürte nur wie mehr und mehr meiner wertvollen Körperflüssigkeit dahin schwand und mich austrocknend zurückließ.
Mein Mund war unangenehm trocken und ich schmeckte Staub, oder zumindest bildete ich mir ein Staub zu schmecken.
Ich sah auf und verfluchte die Sonne und die Menschen die mich bei der Hitze losgeschickt hatten, um eine verlassene Stadt zu erkunden, die als die 'Todesstadt' galt und ich verfluchte meinen jüngeren Cousin, der nicht nur sein eigenes, sondern auch mein ganzes Wasser bereits zu Beginn dieser absolut bescheuerten Reise getrunken hatte und ich verfluchte mich selbst, weil ich lebte und ich verfluchte meine Eltern, weil sie mich gezeugt hatten und dann gingen mir die Dinge aus die ich verfluchen konnte, also beließ ich es dabei.

Mittlerweile hatte ich stechende Kopfschmerzen bekommen und mein Gang war eher stolpernd und schwankend, als sicher.

Ich biss mir die Lippe auf und trank mein eigenes Blut, was ich im Normalfall eklig gefunden hätte, doch ich war bereits so weit weggetreten, dass es mich nicht einmal störte, dass es wehtat.
Jemand packte mich am Arm und sagte etwas. Langsam drangen die Wörter durch meinen Schleier aus Erschöpfung und Hitze zu mir durch.
„Astja, geht es dir gut?"
Ich schüttelte den Kopf und sah auf.
Leon sah mich an, besorgt. Er war größer als ich. Alle in meiner Gruppe waren größer als ich, denn ich war das einzige Mädchen.
Leon war ein Agent und sah ziemlich normal aus. Er hatte kurze braune Haare, braune Augen und einen schlanken Körperbau. Außer ihm begleitete uns noch ein anderer Agent namens Eric. Er hatte schwarze Haare und stechend grüne Augen, denen man seine Stärke ansehen konnte. Er war für den Schutz meines Cousins Alex verantwortlich, so wie Leon für meinen zuständig war, denn Alex und ich waren etwas Besonderes.
Leon schüttelte mich kurz und fragte: „Sollen wir eine Pause machen?"
Ich nickte und Leon ermutigte mich: „Da hinten kann ich ein Haus erkennen, dort machen wir eine Pause, Ok?"
Ich nickte und setze mich wieder in Bewegung. Es war ein Wunder, dass mir mein Körper noch gehorchte, zumindest weitestgehend und ich war mir ziemlich sicher, dass ich trotzdem zusammengebrochen wäre, hätte Leon mich nicht den ganzen Weg bis zu dem Haus gestützt.

Das Haus war alt und verfallen und glich einem Geisterhaus aus Filmen, hätte die Sonne nicht so wunderschön grausam darauf geschienen und die ganze Umgebung ätzend schön aussehen lassen.
Ich beschloss die Sonne zu hassen.
Im Inneren des Hauses war es zwar immer noch warm, aber wesentlich kühler als draußen.
Wäre es nicht so staubig und schmutzig gewesen, hätte man glauben können das Haus sei noch bewohnt.
Die Treppe, die in den 1. Stock führte war aus Holz gewesen und eingestürzt.
Oben im Dach klaffte ein riesiges Loch, durch das Regen ins Haus gelangt ist und die Treppe hat einstürzen lassen.
Leon führte mich ins Wohnzimmer und ich setzte mich in eine Ecke auf den Boden, weit entfernt von irgendwelchen Fenstern und der Sonne.
Der Boden war gefliest und kühl, weshalb ich den alten, verfärbten Teppich zur Seite schob und mich auf den Boden legte.
Die Kälte drang durch meine nassen Kleider und kühlte mich angenehm. Ich schloss kurz die Augen um den Moment zu genießen, bevor ich sie wieder öffnete und Leon ansah, der von oben auf mich herab sah. Er machte den Eindruck, als wolle er etwas sagen, doch er ließ es sein und ging zu Eric um etwas mit ihm zu besprechen.
Während dessen kam Alex zu mir rüber und setzte sich neben mich.
„Geht's dir gut?", fragte er und sah ernsthaft besorgt aus.
Ich lachte und setzte mich wieder hin. Neben ihm an die Wand gelehnt sagte ich: „Ja, jetzt schon. Draußen ist es abnormal warm."
Er nickte. „Ich kann auch nicht mehr.", gestand er und streckte die Beine aus.
„Mir wäre es lieber wir würden Nachts weitergehen", sagte ich mürrisch und hob etwas auf, das neben mir lag. Ich betrachtete es. Es war eine Scherbe von etwas, das wunderschön gewesen sein musste. Im Schatten konnte ich es nicht genau erkennen, es war auch nicht so interessant, dass ich mich dafür wieder ins Licht gewagt hätte, aber auch so konnte ich leicht die Farben Blau und Rot sehen, die im Ganzen vermutlich ein schönes Muster ergeben haben.
Ich seufzte und warf die Scherbe weg. Sie traf ein Bild an der gegenüberliegenden Wand, das daraufhin mit einem lauten Geräusch zu Boden fiel.
Aufgeschreckt sahen Leon und Eric auf und sahen zuerst das Bild an und danach Alex und mich. Beschuldigend zeigte Alex mit dem Finger auf mich und ich murmelte: „Sorry."
Die Jungs schüttelten die Köpfe und nahmen ihre, von mir unterbrochene, Konversation wieder auf.
Sie schienen etwas Wichtiges zu diskutieren, doch mich interessierte das Bild, das ich von der Wand geworfen hatte, mehr, als das geheimnisvolle Flüstern der beiden Agenten. Kurz fragte ich mich, warum sie nicht in ein anderes Zimmer gingen, da Alex und ich an dem Gespräch ganz offensichtlich nicht teilnehmen durften, doch ich entschied für mich selbst, dass es mir scheiß egal war. Sollen sie doch tun, was sie wollten.
Ich krabbelte die zwei Meter, da ich mich nicht dazu überwinden konnte Energie zum Aufstehen zu verschwenden. Dank der Fliesen hatten sich die kleinen Scherben über den gesamten Boden verteilt.
Ich achtete sehr darauf mich nicht zu schneiden, als ich das Bild aufhob und umdrehte.
Es war ein Foto, auf dem eine Familie zu erkennen war, die glücklich lächelte. Sie standen zusammen auf einer Plattform, im Hintergrund waren Berge zu erkennen, hielten sich an den Händen, wobei sie eine Kette bildeten.
Der Vater stand rechts, die Mutter ganz links, dazwischen zwei identisch aussehende Jungen die nochmal ein kleineres Mädchen in ihre Mitte genommen hatten.
Aus irgendeinem Grund faszinierte mich das Foto.
Vielleicht war es die Tatsche, das sie alle gemeinsam Urlaub in Bergen hatten machen können. Ich durfte niemals Wegfahren, so wie die anderen Kinder. Das Risiko uns zu verlieren wollten sie nicht eingehen. Wir waren zu wichtig. Zu einzigartig.
Vielleicht war es auch, weil sie eine Familie hatten und glücklich waren.
Ich berührte das Foto, als ob ich dadurch verstehen könnte, wie es war, eine Mutter zu haben die Abends wütend auf dich wartete, wenn du zu lange aus gewesen warst, oder einen Vater, der dir von seiner Arbeit erzählt. Eine Schwester, mit der du lästern kannst und bei der du dich ausweinst.
Ich versuchte das Gefühl der Geborgenheit nachzuvollziehen, doch ich konnte nicht.
Vorsichtig, als könnte es zu Asche zerfallen, hing ich das Foto wieder an die Wand und trat einen Schritt zurück. Das zerbrochene Glas des Rahmens knirschte unter meinen Schuhen und ich war froh, dass die Scherben so dicke Sohlen nicht durchdringen konnten.
Es hingen noch mehr Bilder an der Wand.
Viele zeigten die Familie in schönen Momenten. Sie lachten, spielten, waren glücklich, wie ich es nie hatte sein können, doch es gab auch ein trauriges Bild.
Es zeigte einen Grabstein, vor den Blumen gelegt wurden und ich fragte mich, warum man sich ein solches Bild an die Wand, zwischen all die schönen Bilder, hing?
Vielleicht war es, um sich daran zu erinnern, dass man auch starb, doch das konnte ich mir nicht vorstellen. Immerhin hatten sie 3 Kinder, die sie sicher nicht mit dem Tod konfrontieren wollten, zumindest doch nicht rund um die Uhr.
Ich kannte den Grund nicht und würde ihn auch nie erfahren, aber dass ich es überhaupt entdeckt hatte, machte mich seltsamerweise Stolz.
Sie hätten bestimmt nie gedacht, dass es einmal jemand so herausfinden würde.
Ich hatte plötzlich das Bedürfnis das ganze Haus nach Geheimnissen zu durchsuchen, doch es fühlte sich Falsch an.
All das gehörte nicht mir. Es war das Eigentum von Menschen, die ihre Dinge zurücklassen mussten. Sie hatten keine Zeit gehabt viel mitzunehmen.
Ich sah mich lediglich um, ohne etwas zu berühren. Ich wollte nicht noch mehr zerstören.
In der Mitte des Raumes stand ein Tisch mit 6 Stühlen. Eine Leere Vase stand einsam und alleine darauf.
An der Wand stand eine Glasvitrine mit festlich aussehendem Teegeschirr, daneben eine Kommode in der sich vermutlich weiteres Geschirr und Besteck befand.
Viel mehr gab es in dem Raum auch nicht zu sehen.
Es war ein einfaches Esszimmer einer Familie, die hier nie mehr wohnen würde.
Mir tat es ein wenig leid, dass ich die Familie nicht kannte und ihr nichts mitbringen konnte.
Leon holte mich aus meinen Fantasien heraus, indem er mich direkt ansprach: „Astja, wir wollen weiter."
Er hielt mir seine Flasche hin.
„Du solltest trinken."
Ich nahm seine Flasche an und trank einige Schlucke. Die Wunde an meiner Lippe brannte leicht, doch es war nicht sonderlich schlimm.
Ich gab mir Mühe nicht den gesammten Inhalt der Flasche leer zu trinken, sondern brach nach der Hälfte ab.
Mein Körper schrie förmlich nach mehr und es fiel mich sehr schwer die Flasche zurückzugeben, doch ich tat es.
Ich fühlte mich besser, fitter.
Das Wasser, auch wenn es wenig war, tat mir gut und stärkte mich und ich war bereit mich meiner härtesten Feindin wieder gegenüberzustellen. Der Sonne.

Die verlorene StadtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt