Chapter 2

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Wir erreichten die Stadt sogar noch vor Sonnenuntergang, was mich unerwartet glücklich und stolz machte.
Ich konnte das Gefühl nicht beschreiben, das ich empfand, als wir zwischen den ersten Reihen von Wohnhäusern hindurchgingen.
Es waren die Vororte, die Devinton umgaben. Hier hatten die Familien gelebt. Alte Klettergerüste waren in den Gärten der Häuser zu sehen.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie Kinder lachend über die Straße liefen, während die Mütter ihnen sorgenvoll nachblickten.
Doch dann war der Moment vorbei, denn es zogen Wolken auf.
Den ganzen Tag, als ich sie gebraucht hatte, waren sie nicht da gewesen und jetzt, wo ich im Schatten der Häuser laufen konnte, zogen dunkle Gewitterwolken auf und verdunkelten, den sowieso dunklen Himmel, noch mehr.
Ich verfluchte laut die Welt und alle ihre Bewohner und schrie den Himmel an, wie scheiße alles war, bis Alex mir mit freundlichen Worten, die unter anderem 'Scheiße' und 'Fresse' beinhalteten, bedeutet die Klappe zu halten.
Ich hörte nicht auf zu fluchen, tat es aber in einer Lautstärke, die nicht jedes Tier in der Stadt aufwecken würde.
Wir waren alle Müde, Erschöpft und am Ende mit den Nerven. Selbst die sonst so beherrschten Agenten wirkten so, als hätten sie mich am liebsten geschlagen.
Ich kicherte und war mir ziemlich sicher, dass ich dehydriert war und an Hitzeerscheinungen litt, während ich ein Lied summte und durch die immer dunkler werdenden Straßen tanzte.
Mir war gerade alles egal und selbst als die ersten Blitze über den Himmel zuckten, hörte ich nicht auf zu singen.
Und dann kam es wieder. Das stechende Gefühl der Panik und der Angst.
Es überraschte mich so sehr, dass ich das Gleichgewicht verlor und auf einigen kleinen Steinchen ausrutschte. Ich versuchte mich zu halten, doch da war nichts, was mich hätte halten können, also fiel ich.
Es tat weniger weh als erwartet, doch das war auch meine geringste Sorge.
Der Schatten, der uns vorher beobachtet hatte war zurück und diesmal war er nahe, sehr nahe.
Ich sah mich um und konnte ihn trotz der Dunkelheit nur wenige Meter von mir entfernt erkennen.
Ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel und erhellte die Straße für einen kurzen Moment und mir stockte der Atem.
Der Schatten war ein Wolf, wie ich es vermutet hatte.

Ich konnte nicht sagen, warum ich so genau wusste, dass es ein Wolf war. Rein theoretisch hätte es auch ein großer Hund sein können, der hier zurückgelassen wurde und ausgewildert war, aber die Art wie er dort stand zwischen den verrosteten alten Autos und mich stumm ansah, zeigten, dass er ein Tier der Wildnis war. Ein Wolf.
Ich hätte Angst haben müssen, aber das Gefühl der Panik war vollkommen verschwunden und ließ blankes Erstaunen, Begeisterung und Respekt zurück.
Das Tier machte keine Anstalten mich anzugreifen, oder mir auch nur näher zu kommen. Alles was er tat war mich zu beobachten, genauso wie ich ihn auch nur beobachtete.
Die Zeit schien still zu stehen, während wir uns beobachteten ohne uns zu bewegen.
Ich versank förmlich in den tiefbraunen Augen des Jägers die bei jedem Blitz aufflammten, wie Feuer.
Der Regen durchnässte mich noch mehr, als ohnehin schon war und ich zitterte.
Wann war es so kalt geworden?
Etwas schreckte den Wolf auf.
Er hob seinen Kopf, wand seinen Blich ab und verschwand wenige Momente später zwischen den Autowracks und den Häusern und plötzlich fühlte ich mich einsam.
Ohne den Wolf wurde mir wieder bewusst, wo ich war.
Ich war auf einer verfallenen Straße in einer Stadt, die verlassen wurde, mutterseelenallein. Von meinen Begleitern war keine Spur zu sehen und ohne die Blitze konnte ich nichts sehen, so dunkel war es geworden.
Nach einem Moment hörte ich, was den Wolf aufgeschreckt hatte. Rufe.
Ich hörte Alex, Leon und Eric nach mir rufen. Sie mussten sich sorgen machen, dass ich einfach so verschwunden war und sie mussten wütend sein.
Uns wurde mehr als einmal eingetrichtert, uns ja nicht zu trennen, egal was passierte, denn vor 5 Jahren ist ein Team aus Forschern einfach so verschwunden. Seitdem ist das Betreten des Geländes streng verboten. Wir waren eine Ausnahme, denn wir waren für diese Mission 10 Jahre lang ausgebildet worden, außerdem waren wir resistent gegen den Virus, den wir, also wir Kinder, C-Virus genannt hatten, wegen der C-Cop. Nicht der beste Name, aber wir waren damals etwa 7 oder 8 Jahre alt gewesen, also ging das in Ordnung.
Ich strich mir meine klitschnassen Haare aus dem Gesicht und stand auf. Einen Moment schloss ich die Augen und lauschte auf die Stimmen. Es war schwer ihre Richtung zu orten, da der Regen sehr laut war, doch ich konnte, mit viel Mühe, die ungefähre Richtung ausmachen.
Ich begann auf gut Glück darauf zuzugehen und meinte das Licht von Taschenlampen zu sehen.
Ich hielt mich wie ein Anker daran fest und ging darauf zu.
Das Gewitter war zu einem tosenden Sturm geworden und ich fragte mich, wie das Wetter so schnell umschlagen konnte. Es kam mir gemein vor, dass die Natur uns so strafte.
Zuerst brütende Hitze und dann ein Sturm. Alles am selben Tag.
Ich sehnte mich nach meinem Zuhause.
Die oberste Etage des Militärhauptgebäudes war unser Reich gewesen. Unser Rückzugsort. Es war nicht immer einfach gewesen, da wir es uns zu elft teilen mussten, doch es funktionierte.
Sie waren alle schon irgendwie meine Familie. Immerhin hatten wir unser Leben zusammen verbracht und wir würden auch weiterhin zusammen bleiben.
Ich musste an das Foto denken und die Familie die darauf zu sehen war. Sie hatten ihre und ich meine und ich dachte mir, dass eine Familie nicht blutsverwand sein musste. Ich liebte sie schon alle, irgendwie.
Ich lächelte und ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel und erleuchtete die Straße.
Eric entdeckte mich und begann auf mich zuzurennen. Er leuchtete mich mit einer viel zu hellen Taschenlampe an und ich kniff die Augen zusammen.
„Du machst nur Probleme!", schrie er mich an, doch es störte mich nicht. Ich war viel zu froh ihn zu sehen und schlang, ohne nachzudenken, meine Arme um ihn.
Er gab einen irritierten Laut von sich, doch ich hielt ihn nur noch fester.
Ich war plötzlich unglaublich erschöpft. Der ganze Tag nagte an mir. Der Höllenmarsch hierher. Die Hitze. Der Regen. Die Kälte. Die Angst. Die Stadt. Der Wolf. Es war plötzlich zu viel für mich. Ich wollte nach Hause. Zu Ally, die die Älteste von uns Kindern war. Mit ihr konnte man immer reden. Sie hielt uns zusammen. Spielte mit uns. Sie war unsere große Schwester. Ich wollte bei ihr sein und mit ihr reden. Ihre beruhigende Stimme hören und mit ihr lachen.
Eric packte mich an den Schultern und zwang mich einen Schritt zurück zu treten. Er sah irritiert und wütend aus, doch als er mir ins Gesicht sah, erlosch es und nur noch Sorge blieb zurück.
„Komm." Er nahm mich an die Hand und zog mich schnell mit sich. Den anderen rief er zu, dass er mich gefunden hatte und sie stießen zu uns.
Alex schrie mich auch an. Ich solle nicht einfach so weglaufen und dass es gefährlich sei. Ich ließ es über mich ergehen, ohne wirklich zuzuhören.
Leon legte mir lediglich eine Hand auf die Schulter und löste Eric ab. Er nahm mich bei der Hand und wir begannen zu rennen.
Am Ende der Straße war der Stützpunkt den sich das Forscherteam eingerichtet hatte. Eins von 4.
Eric öffnete die Tür und schaltete das Licht ein.
Alles war weiß. Die Wände, die Möbel, der Boden und auch die Decke.
Es war viel zu hell und ich rieb mir die schmerzenden Augen.
„Zieht euch trockene Sachen an.", sagte Leon und öffnete einen einfachen Metallschrank an der Wand.
Darin konnte ich einige Overalls entdecken. Dazu noch Schuhe, Handtücher und Unterwäsche.
Leon nahm zuerst die Overalls von den Hacken und verteilte sie.
Mir gab er einen, der für Frauen geschneidert war, mir aber trotzdem ein wenig zu groß erschien. Die von den Jungs sahen wesentlich passender aus, doch ich sagte nichts. Warum sollte ich auch etwas sagen. Im Moment war ich der Grund, wieso wir alle vollkommen durchnässt waren und es tat mir ernsthaft Leid. Ich sollte mir mehr Mühe geben und weniger Probleme verursachen. Auch fiel mir ein, dass ich den anderen so bald wie möglich von den Wölfen erzählen sollte.
Leon warf mir ein Handtuch ins Gesicht, da ich nicht schnell genug reagiert hatte um es zu fangen.
Ich begann meine nasse Kleidung auszuziehen und trocknete mich ab. Lediglich die Unterwäsche behielt ich an, denn ich wollte nicht komplett nackt vor den Jungs stehen, dafür war ich mir dann doch zu gut.
Während ich mein nasses Haar in dem, wie auch sonst, weißen Handtuch einwickelte, ging ich zum Schrank hinüber und suchte nach Unterwäsche, die mir passen könnte.
Ich fand eine, natürlich, weiße Unterhose, die meine Größe sein könnte und einen Bustier, der ganz offensichtlich zu eng war, doch etwas anderes konnte ich nicht finden.
Auch die Jungs bedienten sich an dem Kleiderschrank und ich zog mich etwas zurück um nach einer Tür Ausschau zu halten.
Ich entdeckte eine, nur wenige Schritte neben dem Schrank und öffnete sie vorsichtig. Es war das Badezimmer, das ebenfalls komplett weiß war und nur aus einer kleinen Dusche, einem kleinem Waschbecken und einer Toilette bestand. Die Forscher hatten entweder eine Schwäche für die Farbe weiß oder einen Putzwimmel, oder beides.
Ich schloss die Tür hinter mir und probierte noch bevor ich mich umzog, die Toilette aus.
Sie funktionierte einwandfrei. Selbst fließendes Wasser hatten sie hier. Und es funktionierte noch. Ich musste fast lachen, doch ich verkniff es mir.
Wie erwartet passte das Bustier nicht so ganz. Mit viel Mühe konnte ich mich hineinzwängen, doch ob ich jemals wieder herauskam war eine andere Frage.
Mit dem Problem würde ich mich beschäftigen, wenn es soweit war.
Die Unterhose und der Overall passten überraschend gut und waren bequemer als erwartet.
Ich öffnete vorsichtig die Tür, da ich den Jungs Zeit geben wollte zu protestieren, falls sie noch nicht fertig mit umziehen waren, was sehr unwahrscheinlich war.
Ich trat in den Raum und sah nur Leon, der es sich auf der Couch gemütlich gemacht hatte, die mitten im Zimmer stand. Sie war, wie zu erwarten, weiß. Ich spielte mit dem Gedanken einfach Farbe an die Wand zu klatschen um diesem grässlichen Zimmer etwas Touch zu verpassen, doch ich verwarf es. Warum sollte ich mir so viel Mühe machen?
„Wo sind die anderen?", fragte ich und meine Stimme klang viel zu laut in dem stillen Raum. Nur von draußen war der prasselnde Regen zu hören.
Leon sah auf und er wirkte erschöpft und müde.
„Sie erkunden das Gebäude.", meinte er nur und ich ging zu ihm rüber, um mich neben ihn zu setzen.
„Und du?", fragte ich.
„Ich hab auf dich gewartet." Ich schluckte und rechnete damit, dass er mich ebenfalls ausschimpfen würde, doch das tat er nicht. Um ehrlich zu sein hatte er mich noch nie ausgeschimpft, anders als Eric und Alex, die mich bei jeder Kleinigkeit anmeckerten.
„Wo warst du?", fragte er müde und rieb sich die Augen.
„Ich hab einen Wolf gesehen.", flüsterte ich und er setzte sich so abrupt auf, dass ich zurückschreckte.
„Was?!" Seine Stimme war lauter geworden.
Ich atmete tief durch. „Er hat mir nichts getan. Er sah neugierig aus und hat mich beobachtet. Alex und ich haben ihn auch schon vor der Stadt gesehen. Er muss uns gefolgt sein."
Leon stöhnte und lehnte sich zurück. „Sowas müsst ihr uns sagen. Immerhin sollen wir euch beschützen. Sonst noch was?"
Ich biss mir auf die Lippe. „Ich...Wir...Also...Alex hatte dasselbe Gefühl wie ich, glaub ich..."
„Was für ein Gefühl?"
Leon wirkte sehr ernst und ich zögerte.
„Es war seltsam. Es war Angst, glaube ich. Stechende Angst, die ich im Nacken gefühlt habe. So in etwa, als ich den Wolf gesehen habe. Ich denke nicht, dass es von den Wölfen ausging."
Ich schluckte nochmal und wagte es nicht Leon anzusehen.
„Geh schlafen.", meinte er und stand auf.
„Wir besprechen das alles Morgen."
Ich nickte und stand auf.
Für den heutigen Tag hatten wir alle genug erlebt und mit noch mehr informationen konnte zurzeit sowieso niemand mehr umgehen.

Die verlorene StadtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt