Als Aras weitersprach, hörte ich ihn fast nicht. Seine Stimme klang, als wäre sie weit weg, wie eine schlechte Tonaufnahme.
„Vor langer Zeit herrschten die zwölf Titanen über die Erde. Sie waren die Töchter und Söhne von Uranos, dem Himmel, und Gaia, der Erde, die dem Chaos entsprungen sind. Als eines der Titanenpaare, Chronos und Rhea, einen Sohn namens Hades bekam, zog Chronos ihn auf dem Berg Othrys in den wunderschönen Hallen seines Palastes auf. Doch Hades dürstete es nach Macht und er versuchte, seinen Vater im Schlaf zu erwürgen. Dieser Teil wird in den Sagen nie erwähnt, weil niemand wissen soll, dass Chronos seine Kinder nicht einfach grundlos verschlang. Aus Angst davor, von seinem eigenen Sohn getötet zu werden, verspeiste Chronos ihn und alle Kinder, die Rhea ihm gebar. Doch als Zeus, der Gott des Himmels, geboren wurde, wickelte Rhea einen Stein in eine Decke und gab Chronos diesen, der ihn in dem Glauben, es sei sein Sohn, verschlang.
Zeus mischte sich unter Chronos' Diener und schüttete ihm eines Abends ein Brechmittel in den Wein. Chronos erbrach seine Kinder, die wegen ihrer Unsterblichkeit in seinem Magen überlebt hatten. Sie zerhackten Chronos mit seiner eigenen Sense und verbannten ihn dadurch in den Tartaros, die tiefste Unterwelt, genau wie alle anderen Titanen bis auf Atlas und Hekate. Atlas wurde gezwungen Uranos von Gaia zu trennen, damit keine weiteren Titanen geboren werden konnten. Die beiden waren so traurig, dass sie sich ganz ihrem Element hingaben. Gaia versteinerte und wurde eins mit ihrer geliebten Erde und Uranos wurde zu Wolken und Luft, weshalb Atlas den Himmel auf seinen Schultern tragen musste, damit sich die beiden nicht wieder vereinen konnten. Hekate war stark genug, sich zu widersetzen und floh auf eine Insel, deren Namen sie niemandem verriet.
Einmal alle zehn Jahre darf einer der Titanen für ein Jahr in die Welt der Menschen zurückkehren. Und so entstehen Kinder, zur Hälfte menschlich und zur anderen Hälfte titanischen Blutes, mit besonderen Kräften. Im Grunde genommen sind sie wie Halbgötter, mit wenigen, aber entscheidenden Unterschieden: Die Halbtitanen sind schneller, stärker und unsterblich. Sie können im Kampf fallen, hören jedoch mit 16 Jahren auf zu altern. Demigötter hingegen altern ab ihrem 17. Lebensjahr lediglich viel langsamer als Sterbliche. Es gibt so viele verschiedene Wesen, dass ich dir nicht von allen erzählen kann. Da wären zum Beispiel die Nymphen. Die wichtigsten Nymphenarten sind Nereiden, die Wassernymphen, und Dryaden, die Baumnymphen. Aus Verbindungen zwischen ihnen und Göttern entstehen Monster, zum Beispiel die einäugigen Zyklopen oder die Kentauren, die von der Hüfte abwärts aussehen wie Pferde, jedoch einen menschlichen Oberkörper haben. Wiederum andere haben eine sowohl eine menschliche als auch eine tierische Gestalt."
Er machte ein kurze Pause und fuhr dann fort: „Kommen wir dazu, was Titansvillage eigentlich ist. Die Götter sind böse, sie töten Sterbliche aus Lust und Laune. In diesem Lager sind alle, die sich gegen sie stellen."
„Was für Wesen leben hier?" Meine zitternde Stimme klang viel zu hoch und leise, fast schon wie ein Flüstern.
„Dryaden, Demigötter, Kentauren, sogar zwei Halbtitanen. Sivah und du."
„Ich?", wiederholte ich ungläubig.
Aras nickte. „Sicher glaubst du mir nicht, aber ..."
„Nein, ich glaube dir nicht", sagte ich, woraufhin er mich mit einem verärgerten Blick bedachte.
„Aber", fuhr er fort, „so geht es jedem hier am Anfang. Deshalb haben wir einen kleinen Beweis vorbereitet. Sieh aus dem Fenster."
Ich gehorchte und als ich hinausschaute, stockte mir der Atem. Dort stand ein Junge in meinem Alter – zumindest sein Oberkörper war der eines Jungen mit braunen Augen und schwarzen Haaren. Jedoch war er von der Hüfte abwärts ... ein Pferd. Aras hatte so jemanden als Kentaur bezeichnet. Eigentlich war mir sofort klar gewesen, dass er die Wahrheit gesagt hatte, allerdings sträubte sich mein Hirn gegen den Gedanken, alles was es für einen Mythos gehalten hatte, als wahr anzusehen.
Ich versuchte, zu verdrängen, was ich eben gesehen hatte. Wenn ich anfing, darüber nachzudenken und mir bewusst wurde, was das bedeutete, würde ich nur ausflippen.
„Okay, überzeugt", räumte ich widerwillig ein. „Und wessen Tochter bin ich nun?"
„Chronos'."
Ungläubig starrte ich ihn an.
„Nein ... das kann nicht ..." Leider fand ich kein richtiges Gegenargument.
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Erbin der Zeit: Die Schlacht von Pyrinas (Leseprobe)
FantasyXaenym Davine führt ein perfektes Leben. Aber an ihrem 16. Geburtstag erfährt sie, dass alles eine Lüge war. Denn Xaenym ist keine normale Sterbliche. Ihr Vater ist der Titan Chronos. Und an den Sagen aus der griechischen Antike ist mehr dran, als s...