Kapitel 2
Xaenym
Langsam verschwanden die gleißenden Flecken vor meinen Augen. Ruckartig setzte ich mich auf und erkannte, dass das ein Fehler gewesen war. Augenblicklich wurde mir schwindelig und übel. Jede Zelle meines Körpers schrie vor Schmerz.
Ich befand mich in einem lichtdurchfluteten Raum mit hölzernen Wänden, dessen einziges Möbelstück das Bett, in dem ich lag, war. Als ich an mir hinuntersah, bemerkte ich, dass ich noch das gelbe T-Shirt, den schwarzen Rock und dazu schwarze Sandalen trug, allerdings war die Kleidung ziemlich zerschlissen und blutbefleckt.
„Leg dich wieder hin", befahl eine raue Stimme. Vage erkannte ich eine Gestalt im Augenwinkel und fuhr herum. Ein großes Mädchen in meinem Alter mit sonnengegerbter, jedoch sehr glatter Haut, stand vor mir. Ihre schokoladenbraunen Locken hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden, sodass man ihr kantiges Gesicht besser erkennen konnte. Mit eisernem Blick musterten sie mich. In ihren stahlgrauen Augen lag keine Wärme, nur Trauer und Wut, was mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Quer über ihre schmale, hübsche Nase verlief eine kleine Schnittwunde. Ihre Arme waren dünn, aber relativ muskulös. Von beiden Schultern verlief ein mit zahlreichen Messern versehener Lederriemen bis zur gegenüberliegenden Hüfte. An ihrem Gürtel hing eine breite Schwertscheide, aus der ein silberner Griff ragte. Sie trug lederne Handschuhe, bei denen die Fingerkuppen abgeschnitten waren, ein ärmelloses schwarzes Oberteil, dunkle Hosen und lederne Stiefel, die ihr bis zu den Knien reichten.
„Sivah Shae", stellte sie sich vor.
„Xaenym ...", setzte ich an, doch meine Stimme versagte, als brennender Schmerz durch meine Kehle schoss.
Sie rollte die Augen. „Ich weiß, wie du heißt. Du bist vom Fenstersims gefallen und hast dir einige Knochen gebrochen. Aber ... du hast überlebt, ich hab dich noch da raus bekommen. Und das ist mehr, als wir uns erhofft hatten."
„Wo raus bekommen?", krächzte ich und ignorierte den Schmerz in meiner Kehle.
„Sie sind gekommen und haben dich gesucht. Als sie dich nicht finden konnten, haben sie alles in Brand gesteckt. Weil du nicht rechtzeitig bei Mrs. Neel warst, bin ich schnell zu eurem Haus gelaufen und habe dich dort liegen sehen, blutüberströmt, aber am Leben."
„Wer sind die?"
Sivah ging ans Fenster und sah gedankenverloren hinaus.
„Das wird dir bald jemand erklären." Gerade wollte ich etwas erwidern, als sie bereits fortfuhr: „In zwei Stunden sollst du bei Aras sein. Er wird dir alles genauer erklären. Alles was du jetzt wissen musst, ist, dass du in Gefahr bist. Deine Mutter wollte dich hiervor bewahren, doch es war immer klar, dass du mit 16 das Mal der Götter erhältst, also hat deine Mom einen Fluchtplan für heute erstellt. Sieh dir deine Hand an."
Instinktiv wusste ich, dass sie die rechte Hand meinte, die noch mehr schmerzte, als die linke. Neben zahlreichen Schürfwunden und tiefen, blutigen Kratzern prangte auf meinem Handrücken ein rundes Symbol aus verschlungenen schwarzen Linien. Mit einer Mischung aus Angst und Bewunderung betrachtete ich den Verlauf der einzelnen Striche und die Konturen des Musters, das Spiel der Schlangen, die über meine Hand zu kriechen schienen und ...
„Trink das", riss mich Sivahs Stimme aus meinen Gedanken. Sie reichte mir einen Becher, der eine trübe, braune Flüssigkeit enthielt, deren Geruch an Kräuter erinnerte.
„Was ...", setzte ich an.
„Trink es einfach, das wird deine Verletzungen heilen. In zwei Stunden verstehst du alles."
Nun würde ich hier zwei Stunden mit unzähligen Fragen, die mir durch den Kopf schwirrten, herumliegen und an einer fragwürdigen Brühe nippen. Noch dazu stürmte Sivah jetzt aus dem Raum und obwohl sie nicht die warmherzigste Gesellschaft war, fühlte ich mich ohne sie allein und noch verwirrter.
Schweigend starrte ich auf meine Armbanduhr, die trotz des Sturzes noch tickte. Die Zeit schien einfach nicht vergehen zu wollen. Jede Minute schlich sich eine weitere Frage in meine Gedanken. Was war mit meiner Mom passiert? Wo war ich hier? Warum war ich hier?
Als ich das Gebräu leergetrunken hatte, breitete sich eine wohlige Wärme in mir aus. Vielleicht hätte ich ein wenig misstrauischer sein sollen und nicht irgendein Getränk von einer Fremden annehmen sollen. Aber Sivahs Name stand im Brief und wenn meine Mutter ihr vertraute, konnte ich das auch. Ich wälzte mich hin und her, während ich einen misslungenen Versuch startete einzuschlafen. Doch da jede Bewegung glühende Schmerzen durch meinen Körper jagte, gab ich bald auf. Also lag ich starr herum, bis endlich die Tür knarrte und Sivah hereinkam. Sie trug ihre Haare jetzt offen, sodass ihr die braunen Locken über die Brust fielen.
„Steh auf", befahl sie barsch..
„Ich habe gebrochene Knochen, weißt du noch?"
„Du hast eben Epouros getrunken, was bedeutet, dass sie bald heilen werden. Und jetzt komm mit."
Anscheinend duldete Sivah keine Widerrede, weshalb ich mich aus dem Bett quälte. Jeder meiner Knochen brannte, doch ich ignorierte den Schmerz und lief Sivah hinterher, die, ohne sich zu vergewissern, ob ich ihr folgte, hinausging.
DU LIEST GERADE
Erbin der Zeit: Die Schlacht von Pyrinas (Leseprobe)
FantasyXaenym Davine führt ein perfektes Leben. Aber an ihrem 16. Geburtstag erfährt sie, dass alles eine Lüge war. Denn Xaenym ist keine normale Sterbliche. Ihr Vater ist der Titan Chronos. Und an den Sagen aus der griechischen Antike ist mehr dran, als s...