Luxe
Wie ich es vorausgesehen hatte passierte etwas. Zuerst lief alles normal ab. Ein Referendar betrat den Raum, gab mir ein Blatt mit Aufgaben und pflanzte sich dann auf seinen Platz am Pult. Dann passierte erstmal nichts. Ich löste meine Aufgaben, leichte Fragen zu Geschichte, und wartete auf Luke.
Der betrat dann auch mit einer Verspätung von fast 20 Minuten den Raum, gerade als ich die letzte Frage am Blatt gelöst hatte. Aber nicht allein. Anscheinend hatten sich zwei seiner Freunde auch Ärger eingehandelt und mussten jetzt auch nachsitzen. Irgendetwas daran fühlte sich falsch an.
Ich lehnte mich noch etwas weiter über das Blatt, ignorierte Lukes stechenden Blicke und tat so, als wäre ich noch mit den Aufgaben beschäftigt. Dabei drehte ich gedankenverloren meinen Stift zwischen meinen Fingern und kaute auf meiner Unterlippe herum. Es war am besten, wenn ich Rhyse nicht von Bens Einfall erzählte.
Das dürfte mir eigentlich nicht schwerfallen, ich war schließlich ein super Lügner. Zumindest wenn ich Leute nicht mochte. Ich konnte nur hoffen, dass das auch für Menschen galt, die ich mochte. Oder sogar noch etwas lieber hatte.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du fertig bist?", riss mich die leise Stimme des Referendars aus meinen Gedanken.
Wie ein Raubtier auf Jagd hatte der Idiot sich auf den Weg gemacht und dabei anscheinend bemerkt, dass ich fertig war.
„Ich bin gerade eben erst fertig geworden", gab ich genauso leise zurück und hoffte, dass er mir das auch glaubte.
Anscheinend hatte ich meine Fähigkeiten aber noch nicht verlernt und der Typ nahm meine Antwort mit einem Nicken zur Kenntnis.
„Ich habe nicht damit gerechnet, dass jemand schon so schnell mit den Aufgaben fertig wird, deswegen verschwinde ich mal kurz und hole dir neue Sachen."
Bevor ich irgendetwas erwidern konnte war er schon weg und ließ mich mit den drei anderen Jungen zurück, die schon auf ihre Chance gewartet hatten. Denn sobald sich die Tür hinter dem Referendar geschlossen hatte erhoben sich Luke und seine Freunde. Mit hoch erhobenem Kopf stolzierte er zu meinem Platz, die anderen beiden direkt hinter sich.
Bei meinem Tisch angekommen stützte er sich mit beiden Händen ab und beugte sich zu mir vor. Die anderen beiden stellten sich hinter mich, wahrscheinlich um jegliche Fluchtversuche aufzuhalten. Aber das würde ihnen sowieso nichts bringen. Ich kannte jede Menge Tricks, mit denen ich mich hier rausbringen konnte.
Tricks, die ich in meiner wohl dunkelsten Zeit mehrfach die Woche hatte anwenden müssen. Tricks, die mir das nötige Selbstvertrauen gaben, um in die Schule gehen zu können. Tricks, die auch jetzt gegen Angst halfen, aber dennoch die Nervosität nicht unterdrücken konnten. Zumindest innerlich.
Äußerlich saß ich weiter ruhig auf meinem Stuhl, mit dem Rücken locker an die Lehne gelehnt und die Hände ebenso locker auf dem Tisch. Noch dazu hob ich meinen Blick und blickte in das Gesicht des Jungen, den ich vor noch gar nicht all zu langer Zeit zu meinem neuen Feind Nummer eins erklärt hatte.
„Was soll das denn werden, wenn es fertig wird?", fragte ich schließlich mit einer hochgezogenen Augenbraue, da es mir zu blöd war zu warten, bis er endlich anfing.
Luke schien meine leicht herausfordernden Worte nicht unbedingt zu beachten, stattdessen starrte er mich weiterhin an, in dem Versuch, mich mit seinen Blicken zu töten.
„Weißt du, am Anfang als ich dich gesehen habe, habe ich überlegt dich in meine Gruppe zu holen. Du schienst cool zu sein, auch das du so gar keinen Schiss hattest, dem Freak zu helfen. Aber dann hast du dich immer mit ihm und dieser Pippi Langstrumpf herumgetrieben. Eine Verschwendung, wirklich."
Es wurde wieder still und Luke schüttelte den Kopf. Dabei probierte er sich an einem bedauernden Blick. Leider war wohl eher ich derjenige, der hier bedauernd blicken musste. Mit solchen Schauspiel-Skills sollte er nicht erwarten, eines Tages in einem Blockbuster zu spielen.
„Das ist ja alles schön und gut, aber tu mir als auch dir einen Gefallen: Versuch bitte nicht zu schauspielern. Im Gegensatz zu dir sind nämlich selbst die Schauspieler im Assi-Tv besser. Und, wo wir gerade dabei sind: Komm zum Punkt. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit."
Noch immer in seiner eigenen Welt gefangen starrte er mich an. Oder eher durch mich hindurch. Wenn das so weiter ging sollte ich vielleicht überlegen, ihm ärztliche Hilfe zukommen zu lassen. Der Arme musste eine ganz schöne Störung haben, wenn er so abwesend war.
„Und dann ist da auch noch dieses Gefühl, dass du abnormal bist. Schwul, wenn du es genauer wissen willst. Aber das habe ich dir ja schon klar gemacht. Genauso wie ich dir klargemacht habe, dass man sich nicht mit dem König anlegen sollte, wenn man nicht kassieren will", fuhr er schließlich los.
Seine beiden Freunde hinter mir stießen eine Art Lachen aus.
„Genau, er hat dich richtig zugerichtet", pflichtete ihm einer der Jungen dann zu. Arschkriecher.
„Ich habe mittlerweile verstanden, dass ich deiner Meinung nach schwul bin. Aber es interessiert mich nicht. Ich bin höchstens Bi. Und was die Sache mit dem kassieren angeht: Schau mal in den Spiegel", meine Stimme klang überraschend ruhig, selbst für mich.
Und woher die Idee gekommen war, mich selbst als Bisexuell zu bezeichnen war mir auch ein Rätsel. Luke aber auch, da er jetzt vollkommen aus seiner Welt gerissen schien. Verwundert betrachtete er mich. Hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich es zugab. Idiot.
„Bi?", fragte er dann doch schließlich nach.
Der Typ war wirklich schwer von Begriff. Aber man sollte Menschen mit Unterentwicklungen immer freundlich begegnen, also nickte ich geduldig.
„Ja. Kleine Biostunde: Man steht auf beides, bevorzugt aber dennoch eins."
„Ich weiß was Bi bedeutet", fuhr er mich im nächstens Moment an.
Dann veränderte sich sein angepisstes Gesicht und er grinste mich süffisant an.
"So so, du stehst also doch drauf. Wusste ich doch. Abnormal, wirklich. Aber die meisten Leute wie du haben so etwas zu verbergen."
Leute wie ich?
„Was zum Teufel wird das hier denn, wenn es fertig ist?"
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Nächster Teil. Mir ist aufgefallen, dass meine Kapitel von Teil zu teil kürzer werden. Ich denke nach der Lesenacht werde ich etwas daran ändern.
Over and Out, _Amnesia_Malum_
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𝔻𝕖𝕤𝕡𝕖𝕣𝕒𝕥𝕖 𝕃𝕠𝕧𝕖
RomansaLuxe Warner, frische 17 Jahre alt, verliert bei einem Unfall seine Eltern, weitere Verwandte hat er keine. Kaum 6 Monate später ist er bereits bei 3 Pflegefamilien rausgeflogen, da er sich einfach nichts gefallen lässt. Kurz nach seinem dritten Raus...