Prolog

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Asche zu Asche

Prolog

Sie war die Person, die mir jeden neuen Tag die Kraft zum Aufstehen gab. Die es schaffte, diese Hölle auf Erden zu einem Paradies zu machen. Die mir die Motivation gab, mein Leben als Kämpfer auf dem Schlachtfeld zu riskieren, mir half, das Elend um mich herum auszublenden und mich stundenlang wachliegen ließ, während die Schüsse durch die maroden Blocks hallten. Die mich bei jeder Explosion zusammenzucken ließ- nicht um meiner Sicherheitswillen, sondern um der ihren- und in deren Augen ich alles sah, was ich brauchte, um glücklich zu sein.

Tag für Tag kehrte ich schweißüberströmt und mit einer Schicht Wüstensand bedeckt von den Feldzügen nach Hause zurück und kontaktierte sie über mein Walkie-Talkie, da der Islamische Staat jeden exekutierte, der privat das Internet benutzte und der Strom nur wenige Stunden funktionierte. Wenn eine Explosion mir die Haut versengte und ich mich fragte, warum ich mein Leben riskierte, strich ich über den aufgesprungenen Bildschirm meines Handys und schaute in ihr unschuldiges, makelloses Gesicht und schöpfte neuen Mut.

»Für Jannah«, wisperte ich und robbte weiter durch den vom Blut durchtränkten Sand vorbei an Leichenbergen in das Stahlgewitter.

Mit jedem Dollar fühlte ich mich unserer gemeinsamen Zukunft einen Stück näher und es war mir egal, was zwischen mir und meiner Beute stand. Ihre Sicherheit -nein- ihr Leben stand über meinem. Entfernte Explosionen jagten mir mehr Angst ein als jene, die die Kämpfer vor mir zerfetzten und warmes, frisches Blut mit meinem Angstschweiß vermischten. Wenn ich dem Tod erneut nur knapp entkommen an verstümmelten Leichen vorbeiging, Familien schreiend vor ihren zerbombten Wohnungen auf die Knie fielen und sich die Hände beim Suchen nach überlebenden Familienmitgliedern in den Trümmern ihrer Existenz blutig kratzten und ich an Jannah dachte, legte sich ein Lächeln auf mein vom Krieg gezeichnetes Gesicht.

Als die friedlichen Demonstrationen blutig niedergeschlagen wurden und die ersten Bombenteppiche über Rakka abgeworfen worden, entschied ich, um Jannahs Sicherheit Willen, Geld für eine Überfahrt nach Europa zu sparen und dort ein neues Leben in Frieden und Sicherheit zu verbringen. Mein Leben vor dem Krieg liegt keine sechs Jahre zurück, doch es kommt mir vor, als wäre eine Ewigkeit verstrichen, mit jedem Tag verliere ich die Hoffnung auf einen friedlichen Ausgang des Konfliktes.

Mein Leben vor dem Krieg war keineswegs perfekt. Ich war ein durchschnittlicher Schüler, ich verlor im Laufe der Schulzeit viele Freunde und wurde immer unbeliebter, bis niemand mehr etwas mit mir zu tun haben wollte. Als ich am emotionalen Tiefpunkt war, kam Jannah in mein Leben. Sie stand zu mir, egal wie sehr ihr Ansehen litt, ihretwegen ging ich stets zur Schule, die ich aufgrund der alltäglichen Isolation zu fürchten gelernt habe.

Mit den Demonstrationen und ihren Niederschlagungen endete dieser Teil meines Lebens. Der Strom fiel aus, einige meiner Mitschüler traten Rebellengruppen bei, andere wurden in den Gefängnissen des Regimes gefoltert oder verschwanden auf unerklärliche Weise, wieder andere flohen aus der Stadt. Mir wurde nicht mehr vor der Schule aufgelauert, da diese nun eine zerbombte Ruine war. Ich verbrachte meine ersten Wochen ausschließlich im Keller, in der Hoffnung, jemand würde ein Ende der Aufstände bekanntgeben und wir könnten unser altes Leben fortführen, doch wir warteten vergeblich. Schließlich verließen wir den Schutz unseres Kellers und nahmen an dem Alltag des Krieges teil. Lange Märsche für sporadische Medizinversorgung, Straßen unter der Gefahr von den Scharfschützen des Regimes erschossen zu werden überqueren und beim Einschlafen die Granateneinschläge zählen.

Als der Krieg sich verschärfte und neue, radikalere Parteien am Gemetzel teilnahmen, beschloss ich, Partei zu ergreifen und als Soldat des Islamischen Staates Geld für eine gemeinsame Überfahrt nach Europa zu sparen.

Asche zu AscheWhere stories live. Discover now