Kapitel 1

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Kapitel 1

Gewehrfeuer dringt leise durch die gepanzerte Außenhülle des Autos ins Abteil. Einzelne Streifschüsse peitschen gegen unsere Tür, als der Fahrer den Schutz des Häuserkomplexes verlässt und nahe einer Mauer zum Stehen kommt.

Gleißendes Tageslicht flutet die stählerne Sitzbank, auf der wir sitzen, als sie schwere Tür geöffnet wird. Abdul, der direkt an der Tür sitzt, entsichert sein Maschinengewehr und stürmt geduckt zur weißgrauen Mauer und gibt uns Deckungsfeuer. Mein Magen dreht sich um, sobald der letzte Kämpfer aus dem Transporter springt und mir das Schlachtfeld schadenfroh entgegenlächelt, als ich an der Reihe bin.

»Für Jannah«

Binnen zweier Sekunden schnappe ich mein Gewehr und sprinte im Zick-Zack zu dem Rest unseres Himmelfahrtkommandos, um nicht von den Scharfschützen ins Visier genommen werden zu können.

Nachdem Rakka von sämtlichen Versorgungsrouten abgeschnitten war, zwangsrekrutierte der Islamische Staat Kinder und Jugendliche jeder Schicht für die Verteidigung der Hochburg des selbstausgerufenen Kalifats. Keiner meiner Verbündeten ist älter als zwanzig Jahre, mich eingeschlossen.

Wenige Meter neben mir kauern zwei europäische Jugendliche: ein Franzose und eine Britin. Beide waren vor einem Monat von Zuhause ausgerissen und nach Syrien gereist, geblendet von der Illusion eines islamischen Paradieses inmitten einer vom Krieg zerstörten Nation. Für die meisten Eingereisten zerplatzt diese Vorstellung mit der ersten Enthauptung oder den Bestrafungen für kleinste Vergehen.

Neulich haben sie einen vierzehnjährigen Jungen die Hände abgetrennt weil er sich weigerte, dem Islamischen Staat die Treue zu schwören, an den Zaunpfählen hängen die Köpfe von enthaupteten Gefangenen oder Kämpfern egal welcher Seite, egal ob Muslim oder Nichtmuslim.

Besondere Exekutionen wurden wie Hollywood-Blockbuster inszeniert und für Propagandafilme verwendet, einige der Kämpfer wurden mit hochauflösenden Kameras auf ihren Gewehren ausgerüstet, die den grausigen Kriegsalltag für die Zuschauer wie ein Computerspiel aussehen lassen und faszinieren.

Doch die Realität sieht anders aus. Heldenhaftes Vorstoßen wird durch Scharfschützen und Landminen zum reinen Selbstmord, mehrmals die gleiche Deckung zu benutzen verrät die eigene Position an die gegnerischen Mörser und Drohnen, die Gegner sind professionelle Soldaten, die nicht in jeden Schuss laufen und durch einen Streifschuss ausgeschaltet werden, die nicht wie in den Computerspielen schießen, wer den Held spielen will ist ein Narr und überlebt keine Stunde im Gefecht, zum Zielen wie in den Spielen bleibt keine Zeit, außer man riskiert in die Schusslinie dutzender Gegner zu geraten.

Während wir den gegenüberliegenden Häuserblock mit einem ziellosen Kugelhagel eindecken, um dem Vorstoß unserer Truppen Deckung bieten zu können, springt einer der beiden Europäer hinter seiner Deckung hervor und läuft durch sein Gewehr feuernd geradewegs auf die gegnerischen Frontlinien zu. Durch sein Zielen im ungeschützten Lauf übersieht er die Granate, die hinter einer Barrikade aus Sandsäcken auf ihn geworfen wird und geht im Lauf zu Boden.

»Idioten«, fluche ich, während ich gekonnt den Kurs wechselnd auf die nächste Deckung zusprinte und die einzigen Soldaten, die mir gefährlich werden könnten, durch eine Salve in Schach halte.

Gefühlskalt läuft der Trupp an dem im Sterben liegenden Jungen vorbei, der entsetzt auf den Stumpf schaut, der einmal sein rechtes Bein war und nun einen Brei aus Fleisch, Sand und seinem eigenen Blut gebildet hat. Die andere Europäerin kniet sich schreiend neben den Jungen und wird durch einen Kopfschuss niedergestreckt, der in den Hinterkopf einschlägt und ein rotes Loch hinterlassend aus der Stirn wieder austritt und ihren Schleier mit Blut tränkt. Das verzweifelte Flehen und die gequälten Schreie der beiden enden mit dem nächsten Granateinschlag unmittelbar neben ihnen.

Asche zu AscheWhere stories live. Discover now