Iyora

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Iyora

«"Bestes Bier in ganz Braewald Dorf"? Nun, ich muss zugeben, dieser Aussage tatsächlich Glauben geschenkt zu haben, als ich in diesem heruntergekommenen Dorf diese heruntergekommene Taverne betrat, doch ich hatte es nicht für möglich gehalten, dass das Gebräu hier noch heruntergekommener sein würde, als beides zuvor genannte zusammen!»

Der Wanderer fand sich nun mit der weiteren Tatsache konfrontiert, dass er es zuvor nie für möglich gehalten hätte, jemals ein Gesicht zu betrachten, welches gleichzeitig Verärgerung, Müdigkeit, Verdutztheit und etwas Traurigkeit, aufgrund der Beleidigung an die Qualität seines Bieres, aufwies, doch der Tavernenbesitzer schaffte es erstaunlich gut, all diese relativ gegenteiligen Emotionen zum selben Zeitpunkt in seiner Visage zu widerspiegeln.

«Trink' es oder schütt' es weg», antwortete der Herr der Schenke schroff, der nicht nur Herr der Schenke, sondern auch Herr über eine Halbglatze und einen schlecht gepflegten Schnäuzer zu sein schien.
«Dein Geld dafür hab' ich ja schon», fügte er provokant lächelnd hinzu.

Unzufrieden mit sich selbst, am Ende doch der Verlierer der Situation gewesen zu sein, schlenderte der Reisende, an seinem Bier nippend, hinüber zu einem freien Tisch in einer besonders dunklen Ecke der Kneipe. Der Regen war noch immer nicht dazu bereit, die Nacht eine trockenere werden zu lassen und attackierte die Scheiben des Hauses mit wässriger Artillerie. Ein schleichender Duft von Urin, der vermutlich mit der großen Menge an Alkohol in Zusammenhang gebracht werden konnte, schlängelte sich in die Nase des Wanderers und machte es sich dort bequem. Auf einer ungemütlich wirkenden Holzbank hockend, schaute sich der Wanderer um.

Die Taverne war komplett überfüllt. Ein ältlicher, nervös wirkender Greis hatte gerade hastig das Wirtshaus verlassen, woraufhin eine Gruppe von jungen Männern eintrat, vermutlich bereit, einen schönen Abend zu genießen, weg von ihren Aufgaben zu Hause, die sie nun ihren Frauen hinterlassen hatten. Menschen des ganzen Dorfes hatten sich hier versammelt. Holzfäller, Schmiede, Händler, Witwer, lachend, johlend, raufend und nicht selten, wahrscheinlich sehr zum Missfallen des schnauzbärtigen, kleinen Gasthausbesitzers, einen Krug zerbrechend. Auf der anderen Seite des Hauses stand ein Barde, Flöte spielend, dem kaum jemand Beachten schenkte, vermutlich aus dem Grund, weil er es ziemlich schlecht tat. Irgendwo im Raum machte gerade eine beinahe hinuntergebrannte Kerze ihre letzten Atemzüge und verabschiedete sich von ihren wachsigen Freunden.
Der Wandersmann sass einfach nur da, allein in seiner Ecke, den Klängen des Musikers nachsummend, und beobachtete das rege Treiben in der Spelunke, komplett in Gedanken versunken und nicht mehr Eigentümer des Wissens darüber, wie lange er denn eigentlich schon da sass.

Er hatte einen weiten Weg hinter sich. Genauer gesagt, er hatte bald den gesamten Kontinent von Odas hinter sich. Es war beschwerlich gewesen, aber er erhoffte sich, bald die Seeüberfahrt nach Juleanos, der Heimat der grössten Provinzen, dem Zentrum der Welt, anzutreten zu können. Er war so nah dran wie noch nie zuvor, nach all den Jahren endlich sei-

Der Gedankengang des Reisenden wurde von einem unhöflich lauten Knall unterbrochen, der es sogar vermochte, den Lärm der Kneipe zu übertönen und die Haare der Halbglatze des Gasthausinhabers zum Erzittern zu bringen. Jemand hatte ruckartig das Portal zur Taverne aufgerissen.
«Da ist er! Árón Duinn, der meistgesuchte Verbrecher von ganz Odas! Ergreift ihn!», schrie der alte Greis, der vorhin, nach der Ankunft des Wandersmannes, die Schenke so schnell verlassen hatte, als wäre er von einer Herde zum Leben erwachter Küchenmesser verfolgt worden.
Nun stand er da, im Türrahmen, begleitet von mehreren Wachen des Dorfes. Der Stolz stand ihm ins runzelige Gesicht geschrieben. Die Menschenmenge verstummte.

Der Wanderer stieß einen überlauten Seufzer aus, denn er wollte wirklich zum Ausdruck bringen, wie sehr ihn seine momentane Lage nervte. Er befand sich nun schon seit Jahren auf der Flucht und hatte gehofft, zumindest in diesem (seiner Meinung nach) ohnehin blöden Kaff etwas Ruhe zu finden, doch auch dies blieb ihm offenbar enthalten. Alle Anwesenden starrten den noch in der Ecke verweilenden Mann an, wartend auf eine Reaktion seinerseits. Es war der vermutlich stillste Moment in der gesamten Geschichte des Wirtshauses. Langsam rappelte sich Árón auf. Es war wohl, Wohl oder Übel, wieder einmal Zeit zu fliehen.

Nun geschah alles mit extremer Schnelligkeit. Der Straftäter machte einen Satz auf den Tisch, woraufhin er mehrere Blitze und Feuerkugeln aus seinen Händen katapultierte, genau so wie Patronen aus Pistolen schießen würden, wären Pistolen im Universum dieser Geschichte existent. Die Funken und Feuersphären verteilten sich mit einem unglaublichen Tempo im Raum, eine davon nur knapp am Gastherr vorbeirasend und seinen Schnäuzer in Brand setzend. Eine Hitze, wie man sie sich nur bei Luzifer höchstpersönlich vorstellen würde, erfüllte das Zimmer, zusammen mit dem ohrenbetäubenden Donnern der einschlagenden Blitze, die ganze Holzpfeiler sprengten. Bevor jemand überhaupt die Möglichkeit hatte, zu reagieren, war bereits ein Loch der Größe eines Mannes in einem der vielen, nun schwarz gefärbten Fenstern zu sehen.

Árón Duinn schaute über seine eigene Schulter hinweg. Weit hinter ihm ergab sich das nun lichterloh brennende Gasthaus seinem Schicksal und stürzte in sich zusammen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es noch niemand gewagt, dem Rechtsbrecher in den Wald zu folgen, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis auch dies der Fall sein würde. Der Flüchtende holte einen Dolch hervor und schnitzte eine kurze, humorvolle, aber dennoch höfliche und aufrichtig gemeinte Entschuldigung in den nächstgelegenen Baum, die sich nur aus dem Wort ,,Sorry" zusammensetzte.
Das hätte ich bestimmt eleganter lösen können, dachte sich Duinn, und hatte damit wahrscheinlich recht. Nichtsdestotrotz war die grösste Siedlung von Odas, die Hafenstadt Iyora, und somit auch seine Überfahrt, nicht mehr fern.
Widerwillig und etwas müde, begann er, wieder durch die immer noch gleich unfreundlich und unangenehm wirkende, nasse Nacht zu marschieren.

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