Follow Your Heart

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"Okay, okay,", versuchte Samu seine Bandjungs zu beruhigen indem er ergeben die Hände hob, "ich geh ja schon.". Bevor sie erneut etwas erwidern konnte stand er auf und ging geradewegs auf die blonde Frau an der Bar, die sie alle schon die ganze Zeit beobachteten, zu.    
Warum hatte er sich auch auf diese dumme Wette eingelassen? So betrunken war er doch jetzt wirklich noch nicht. Und wenn schon, dann würde er sie eben abschleppen. Das konnte doch wohl nicht so schwer sein.

Ohne die Blondine auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen setzte er sich auf den freien Barhocker neben ihr. Er musterte sie von der Seite, wie sie etwas gelangweilt mit dem Strohhalm in ihrem Drink herum rührte. Das würde ein Kinderspiel werden, dachte Samu. Doch kaum hatte er sich geräuspert und sie sich daraufhin zu ihm umgedreht, verwandelte sich ihr Gesichtsausdruck augenblicklich von gelangweilt in genervt. Samu versuchte jedoch, sich davon nicht beeindrucken zu lassen und fuhr fort. "Sag mal, bist du vom Himmel gefallen oder warum siehst du aus wie ein Engel?", sagte er, während er sein charmantestes Lächeln aufsetzte und inständig hoffte, dass sie anders auf diesen verdammt schlechten Anmachspruch reagieren würde, als er es erwartete.
Doch er hatte den Satz noch nicht richtig zu Ende gesprochen, da war sie schon, ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, von ihrem Hocker aufgesprungen, hatte ihre Tasche geschnappt und war verschwunden.
Völlig verdattert guckte er ihr hinterher. Naja, eigentlich konnte er es ihr ja nicht verübeln. Aus dem Augenwinkel konnte er die Jungs an ihrem Tisch sehen, wie sie sich einen Ast ablachten. Na super!

Seufzend stand er auf und ging wieder zu ihnen zurück, um sich neben Sami auf die Bank fallen zu lassen. "Na das hat ja gut geklappt, Hapa.", lachte er und boxte Samu freundschaftlich gegen die Schulter. "Ich hätts hingekriegt wenn ich nicht diesen bescheuerten Satz hätte sagen müssen.", grummelte Samu, was ein lautes Lachen seines Schlagzeugers zur Folge hatte: "Ja klar.".
"Eiskalt angeblitzt!", rief Osmo über den halben Tisch und fügte hinzu: "Jetzt musst du deine Wettschulden aber auch einlösen.".
Samu seufzte erneut: "Ernsthaft? Das wird doch langsam langweilig, Jungs.". Aber Osmo beharrte weiter auf die Wetteinlösung und Samu erkannte, dass er sich diesmal wohl nicht rausreden konnte.
Automatisch glitt sein Blick zu Riku, der ihm gegenüber saß und nervös an seiner Serviette herum fummelte.
Sein bester Freund, der ihm seit einigen Wochen so sehr den Kopf verdrehte.
Er sollte ihn also küssen. Schon wieder. Riku hatte nicht die leiseste  Ahnung wie, doch bis jetzt hatte Samu sich jedes mal davor drücken können, seine Wetten einzulösen. Zumindest immer, wenn sie etwas mit ihm zu tun hatten. Und darüber war Riku mehr als froh gewesen, denn die Vorstellung seinem allerbesten Kumpel so nah zu sein, ließ ihn erschaudern. Nicht, weil er sich davor ekelte, nein, weil er sich so sehr danach sehnte, dass es schon fast weh tat.
Doch bis heute wollte und konnte er sich einfach nicht eingestehen, dass da schon seit langem mehr als nur Freundschaft war. Das wusste auch Samu. Dennoch hatte sich seither keiner der beiden getraut, das Thema anzusprechen, obwohl diesen Zustand, in dem sie sich gerade befanden, weder Riku noch Samu auch nur einen Moment länger aushielten.
Energisch schüttelte Samu den Kopf, als könne er so diese mehr als falschen Gedanken verjagen. Das konnte einfach nicht sein! Man konnte sich doch nicht einfach in seinen besten Freund verlieben...oder doch?

"Mein Gott, jetzt tuts doch endlich.", drängte Osmo und holte Samu somit endgültig in die Realität zurück, "Ist doch nicht so, als ob ihr es noch nie getan hättet.".
Nein, da hatte er recht. Das war ihm durchaus bewusst. Doch damals war es anders gewesen, da waren sie noch Freunde und nichts weiter. Doch jetzt...

Plötzlich stand Samu mit einem Ruck auf und lief, ohne jegliche Erklärung eilig nach draußen. Er brauchte jetzt dringend frische Luft, um wieder klar denken zu können.
Verwirrt sah Riku ihm hinterher. Was konnte das nur bedeuten? War es vielleicht, weil Samu genauso fühlte, wie er?

"Na gut, musst ja nicht.", rief Osmo Samu fast schon enttäuscht hinterher. Doch Riku ließ das Verhalten ihres Frontmans keine Ruhe. Er entschuldigte sich kurz bei dem Rest der Band, bevor er Samu folgte.

Als er die Tür zum Parkplatz öffnete, erblickte er diesen etwas weiter rechts, wie er, mit einer Zigarette in der Hand an der Mauer lehnte.
Als er ihn ebenfalls entdeckte, zeichnete sich sogleich ein Lächeln auf seinem Gesicht ab, welches jedoch bei dem Gedanken an den Grund für Rikus Anwesenheit umgehend wieder verschwand.
Schnellen Schrittes kam dieser jetzt auf ihn zu und lehnte sich neben Samu an die Wand. Eine Weile beobachtete er, wie seine Zigarette immer kürzer wurde. Schweigend.
Bis Riku endlich die Stille zwischen den beiden brach: "Samu, was ist los?".
Er schnipste den Zigarettenstummel auf den Boden und trat ihn mit einem Fuß aus. "Was soll los sein?".
Riku seufzte. Er hatte nicht erwartet, dass Samu ihm sofort sein Herz ausschüttete, dennoch war er etwas enttäuscht, dass sein bester Freund ihm offenbar nicht zu vertrauen schien.
Er legte den Kopf nach hinten, an die kalten Steine und sah an den sternklaren Nachthimmel.
Jetzt war es Samu, der aus dem Augenwinkel unauffällig zu Riku schielte. Warum er wohl hergekommen war? Ob er es wusste?
Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er kurz zusammen zuckte, als Riku wie aus dem nichts mit einem Grinsen meinte: "Du hast es übrigens wieder geschafft, Hapa. Osmo hat aufgegeben.".
"Oh, äh...gut.", stammelte Samu, während er sich innerlich ohrfeigte. Denn auch wenn er eine Heidenangst davor hatte, hätte er seine Wettschulden nur zu gerne eingelöst. Nur einmal. Nur einmal wollte er ihn küssen, denn vielleicht könnte das helfen, sich über diese verwirrenden Gefühle im klaren zu werden.
Komm schon, folge deinem Herzen, ermahnte er sich selbst.
Er atmete einmal tief durch, bevor er sich von der Wand abstieß und einen Schritt auf Riku zu machte. Dessen Augen folgten jeder noch so kleinen Bewegegung seinerseits. Wie von selbst, fand Samus Hand jetzt den Weg zu Rikus Wange, wo sie einen Moment verharrte und auf eine Reaktion wartete.
Doch Riku reagierte nicht. Er konnte nicht. Er war gefangen in seinem eigenen Körper.
Und im nächsten Moment lagen Samus weiche Lippen auf seinen. Ganz sanft, sie berührten sich kaum und doch war das, was diese eine Berührung, auf die sie beide so lange gewartet hatten auslöste schier unbeschreiblich.
Obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte, löste sich Samu nach viel zu kurzer Zeit von ihm und kaum hatte Riku die Augen wieder geöffnet, trafen ihn diese warmen blauen Augen, die er in und auswenig kannte und dennoch lag etwas neues, unbekanntes in Samus Blick, als er murmelte: "Wettschulden sind Ehrenschulden, Rik.". Wie recht er doch hatte...
Riku hatte gerade den Mund geöffnet und wollte etwas erwidern, da schüttelte Samu schnell, fast unmerklich den Kopf, bevor er sich auf dem Absatz umdrehte und in das Dunkel der Nacht verschwand.

RunawayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt