- PROLOG -

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Seit dem Anbeginn der Zeit gab es Wesen, die Herrschten. Denn Ordnung braucht Meister und wo niemand Acht gibt zieht Chaos ein. Vierzehn, das war die Zahl der Ersten, die über die sieben Ecken der Welt herrschten. Jahrtausende Jahre später, als die Menschen ihre Namen vergessen hatten, waren sie einfach unter dem Namen "Giganten" bekannt.
– Das erste Buch der Chronik, Vers 1

***

Ren, dem Mann der einst einen Gott getötet hatte, ragte ein Pfeil aus der Brust. Der Pfeil - er hatte den Schild, der ihn schützen sollte glatt durchschlagen - war dick wie der Schaft eines Speers. Doch er hatte Glück, denn anscheinend hatte der Pfeil nichts lebenswichtiges verletzt – trotzdem wusste er, dass er so gut wie tot war.

Er spürte, wie das Gift, Feuerdorn so vermutete er, durch seine Venen raste und sein Inneres in Brand steckte. Wer durch das Schwert tötet, wird durch das Schwert sterben, zitierte er im Geiste aus dem vierten Buch, denn Gewalt ist ein Echo das stets seinen Ursprung kennt.

Ein letztes Mal bäumte er sich auf, sprang, von der inneren Pein getrieben, auf und schloss seine Hand fest um den Bogen. Blut sprudelte aus der Wunde, tränkte sein Hemd und tropfte auf den steinernen Boden, wo sich eine dunkle Lache bildete. Er zog das Messer aus seinem Gürtel und durchschnitt, vom Schmerz der Bewegung laut aufkeuchend, das lederne Band, das seinen Köcher hielt und steckte es dann zurück in die Scheide. Mühsam hob er einen seiner Pfeile auf und legte ihn auf die Sehne.

Im Vergleich zu dem, der in ihm steckte, wirkten sie wie Spielzeug, doch Ren verwendete ebenfalls Gift, auf Messer wie Pfeilen, denn eines hatte er bei seinem letzten Kampf gegen einen Gott gelernt: Im Wettstreit gegen einen Überlegenen musste man jeden Vorteil nutzen und sei er noch so verschlagen.

In ihm breitete sich das Feuer des Giftes aus, kroch seinen Nacken hinauf und hinter seine Augen. Sein Blick trübte sich, verschwamm und wankend versuchte er das Gleichgewicht wieder zu finden. In der Ferne glaubte er eine Bewegung zu vernehmen, doch ehe er auf sie anlegen konnte, füllten sich seine Augen mit einer bleiernen Schwärze und einen Augenblick später knallte er mit dem Kopf auf den harten Steinboden; Pfeil und Bogen fest umklammert.

»Ren Grauschatten wenn ich richtig liege. Und das tue ich meistens. Welch Ehre dich endlich persönlich kennen zu lernen, dich, den sie den Gottestöter nennen«, höhnte eine weibliche Stimme, »auch wenn diese Begegnung wohl von sehr kurzer Dauer sein wird, wie ich befürchten muss.« Er glaubte beinahe so etwas wie Bedauern in der Stimme zu erkennen, dann schoss eine Welle des Schmerzes durch seinen Körper und er spürte wie sich Schaum vor seinem Mund bildete und ihm das Atmen erschwerte.

»Ein anderer ...«, stöhnte er, »wird vollenden, was ... ich angefangen ... habe. Die Menschen wissen jetzt, ... das selbst Götter ... sterben können.«

Ihr glockenhelles Lachen erschallte in dem langen Korridor und für einen Augenblick verzauberte ihre Stimme seine Gedanken, bevor er schmerzhaft in die Realität zurückgeholt wurde.

»Wie wenig du doch weißt, Grauschatten. Glaubst du etwa, dass du der erste bist, der versucht hat, was du versuchtest?«

Sie schwieg einen Moment und er schaffte es, die Augen einen Spalt zu öffnen. Sie stand über ihm, in eine weiße, lichterfüllte Robe gekleidet, in der die Farben des Abendhimmels spielten. Ihre goldenen Haare hatte Sie hinter dem Kopf verknotet. Sie war der Inbegriff von Schönheit, schöner als jede Frau, die Ren je gesehen hatte. Doch in ihrer Perfektion lag eine Härte, eine Gnadenlosigkeit die nur auf sich selbst, und sich allein achtete. Und trotzdem hätte er in diesem Augenblick alles für sie getan, wenn sie ihn darum gebeten hätte.

»Vor zwei oder drei Jahrtausenden gab es einen Mann wie dich, seinen Namen habe ich schon lange vergessen, und er folgte dem selben Ziel, dem auch du folgtest: Die Welt von den Göttern zu befreien.« Sie schnaubte verächtlich. »Und genau wie du, Grauschatten«, sagte sie und beugte sich zu ihm herunter, »scheiterte er.«

Die Schwärze legte sich erneut über seine Augen, dunkler und schwerer als zuvor und ein neuer Schmerz trieb ihn zu einem letzten Schrei der die angehende Stille zerriss und nur das leise Echo seines Kampfes lag noch in der Luft. Er spürte wie sich die bleierne Last nun auch auf seine Brust legte und alle Luft aus ihm herauspresste. Dann streifte der warme Hauch ihres Atems seine Wange.

»Unter anderen Umständen wären wir vielleicht Liebhaber geworden«, flüsterte sie, »ich hatte schon immer eine Vorliebe für Männer mit großen Ambitionen. Selbst wenn sie wie du vom Leben gezeichnet sind.« Sie fuhr mit den Fingern über die Narben an seinem Hals. »Wohl meine größte Schwäche,», seufzte sie,« denn wie mir scheint neigen sie dazu, früh zu sterben.«

»Deine größte Schwäche«, presste er mit der letzten verbliebenen Luft aus seiner Lunge heraus, »ist Überheblichkeit.«

Dann rammte er das Messer an die Stelle, wo er ihren Hals vermutete. Stirb Artreide, dachte er mit seinem letzten Gedanken. Er hörte nur noch ein Röcheln, das ihn entfernt an ihr Lachen erinnerte. Zufriedenheit erfüllte ihn. 

Und dann riss ihn die Schwärze mit sich in die Tiefe.

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– A

Spiel der ZeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt