Prolog: Mit letzter Kraft

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Dunkelheit.

Kälte.

Ein unendliches Nichts.

Mehr existierte nicht.

Das Sternenzelt, das sich einst schimmernd und funkelnd über den Donnerhain ausgebreitet hatte, war ewiger Finsternis gewichen. Tiefe Schatten hatten das Licht verschlungen und nur noch den fahlen Glanz des Mondes verschont, der sich in stiller Qual in der Dunkelheit wandte. Der Wind kreischte und peitschte scharf um die Klippen, dabei wirbelten die klirrend kalten Böen dichte Staubwolken vor sich her. Abseits des Hains rauschten die Baumkronen des angrenzenden Waldes, doch die massiven Baumstämme, die bereits Urgezeiten überstanden hatten, knackten und ächzten unter der Wucht des Windes, der schreiend an ihren Ästen riss. Der Boden war so trocken wie die tiefste Schlucht, seit langer Zeit war kein Regen gefallen. Es war, als würden selbst die Naturgewalten der Finsternis hoffnungslos den Rücken kehren.

Hoffnung... Ein Wort, das Leben und Tod bringen konnte. Jeder suchte nach ihr, aber niemand fand sie mehr. Die Hoffnung hatte den Donnerhain verlassen, zusammen mit dem Licht der Sterne.

Plötzlich bäumten sich die Böen auf, schlugen eiskalt auf den Grund ein und schossen die Talklippen hinauf. Die Erde begann zu beben, das morsche Stöhnen der Bäume wurde von dem Sturm in den Hain getragen. Es rauschte und vibrierte, die Natur selbst schien sich erheben zu wollen. Über dem Tal stießen die pechschwarzen Wolken wie im Kampf aufeinander, bis sich ihr Zorn mit einem Mal entlud.

Blitz.

Donner.

Die abrupte Naturgewalt erschütterte die Umgebung bis in die Wurzeln. Gleißend hell explodierte er in der Luft, sein Knall hallte ohrenbetäubend über die Landschaft.

Ein zweiter Speer aus purem Licht folgte.

Auf einmal regnete es Blitze. Rasend vor Zorn schossen sie auf die Erde hinab, erreichten sie aber nicht. Immer und immer wieder droschen sie auf die Welt unterhalb des Himmelszeltes ein, als würden sie ihr ihren ungezügelten Hass aussetzen.

Ein Licht.

Ein Knall.

Wieder und wieder.

„Spürst du es auch?"

An dem dichten, schwarzen Pelz der vierbeinigen Gestalt riss der Wind und grub die Krallen in ihren Körper. Seine Augen waren geschlossen und sein Kopf erhoben, als würde er dem Gewitter lauschen. Seinen Zorn fühlen – ihn verstehen. Unablässig stießen Blitz und Donner auf den Hain hinab, doch die Silhouette blieb ruhig, fast schon starr.

„Du fühlst es auch", raunte er, „Die Finsternis wird mächtiger. Die Nächte werden kälter. Die Wärme des Lichts hat uns verlassen. Wir brauchen dich mehr denn je. Beschütze uns, Zapdos..."

Ehrerbietig hatte er den Schweif gesenkt. Er konnte sie hören, die Stimme hinter dem Sturm. Ein Schrei voller Wut und Verzweiflung. Gellend schallte er gemeinsam mit dem tobenden Donner über den Hain, die Klippenwände strahlten für den Bruchteil eines Wimpernschlags unter der Kraft der Blitze auf. Doch so schnell sie kamen, waren sie verschwunden.

Blitz und Donner wurden zu schwach.

Zapdos wurde zu schwach.

Gegen die Dunkelheit konnte die Gottheit bald nichts mehr ausrichten.

Stille legte sich wie ein schwerer Schleier über den Hain. Das Klagelied des Windes war verstummt. Als wäre das Gewitter, Zapdos' wutentbranntes Aufbäumen gegen die unausweichliche Finsternis, nie geschehen.

Es konnte nichts mehr tun.

„Luxtra? Luxtra, bist du das? Was tust du noch hier?"

Eine vertraute Stimme riss den Boten aus seinen Gebeten. Mit vor Kälte steifen Gliedmaßen wandte er sich um und blickte die Gestalt vor sich aus seinen durchdringend gelben Augen an. Die rote Perle am Ende der Rute des Pokémon schimmerte leicht in den letzten Strahlen des Mondes, sein sonnenblumengelbes Fell war in der Dunkelheit jedoch kaum noch zu erkennen.

„Ich höre ihm zu, Ampharos.", antwortete Luxtra und richtete seinen Blick gen Himmel. So oft suchte er den Himmel nach Zeichen ab und fand Blitze, die mit jedem Mal an Kraft verloren. Damals zierten die Sterne wie ein wogendes Meer aus Kristallen den Himmel, doch an diese Zeit konnte sich der Seher kaum noch erinnern. Zu lange war es her, seitdem er sie erblickt hatte. Die sanfte Kühle der Nacht auf seiner Haut spüren und den Tau des Frühlings schmecken konnte. Der Brustkorb des drahtigen Pokémon zog sich bei den Gedanken daran zusammen.

„Was sagt es? Weiß es einen Weg?"

Ihre Worte suchten nach einer Antwort die ihr Hoffnung geben konnte, doch ihre Stimme war belegt. Luxtra kannte Ampharos seit ihrer Geburt. Er wusste wie stark sie war, aber immer siegten ihre Gefühle. So auch diesmal. Luxtra schüttelte den Kopf, Ampharos seufzte.

„Ich kann es sehen. Blitz und Donner – sie hallen verzweifelt durch dieses Tal. Die Finsternis ist so mächtig geworden, dass sich nun selbst Zapdos gegen sie wehrt. Es bleibt nicht mehr viel Zeit...", sagte der Seher. Ohne auf ihre Frage eingegangen zu sein, nahm die sonstige Kämpfernatur seine Worte hin, ihr Blick jedoch so trüb wie davor.

„Was sollen wir tun? Gibt es keinen Weg?"

Luxtra schwieg. Seine glühenden Augen suchten erneut den Himmel ab und kniffen sich zusammen, als ein letzter Blitz auf die Erde niederfuhr. Doch kein Donner folgte. Mit einem erschrockenen Aufschrei wich Ampharos zurück und warf den Arm vor ihre Augen. Der Lichtstrahl war kurz vor Luxtra eingeschlagen, der sich kaum rührte. Sein Fell war aufgestellt und sein Brustkorb rührte sich nicht. Sie hörte ihn etwas murmeln und trat zögernd näher, bis sie ihn verstand.

„Ich verstehe... Schatten wird Schatten bekämpfen..."

Der Hainhüter wirkte abwesend, fast wie in Trance. Seine Augen waren wieder geschlossen und sein Kopf gesenkt. Jenseits der Wolkendecke drang das Kreischen des verehrten Donnervogels hervor, im nächsten Moment kehrte wieder Stille ein. Es war ein Zeichen. Das Omen, auf das der Seher so lange gewartet hatte.

Schatten wird Schatten bekämpfen...

Die Heldin, die der Dunkelheit entsprang, um sich ihr entgegenzustellen...

Ihre Bestimmung...

Es ist soweit...

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⏰ Last updated: Oct 30, 2017 ⏰

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