Chapter II

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Ich muss irgendwann einfach eingeschlafen sein, denn als mein Kopf abrupt durch den bebenden Wagen von Toby's Schulter rutscht, reiße ich meine Augen wieder auf. Ich sehe mich um und muss zu meinem Entsetzen feststellen, dass ich noch immer in dieser misslichen Lage stecke und das Ganze doch mehr als nur ein Alptraum ist.

"Haltet euch fest! Das wird eine holprige Fahrt!", warnt Jace uns alle und erst da bemerke ich, dass wir von der Straße runter sind und auf einer riesigen Wiese fahren. Meine Hände greifen nach denen von Toby und Tami, ganz automatisch, als das Auto plötzlich sich zu überschlagen beginnt.
Das Klirren von Glas, der Aufprall des Autos auf dem Boden und unsere Schreie vermischen sich zu einem Orchester des Grauen.

Als der Wagen endlich zum Stehen kommt, ist schmerzvolles Stöhnen zu hören und irgendwie fühlt sich etwas komisch an. Da wird mir schlagartig bewusst, dass wir über Kopf hängen. Ich sehe, wie Evan und Jace aus dem Auto kriechen und Toby, sowie Liv unter mir liegen. Sein Brustkorb bewegt sich regelmäßig auf und wieder ab. Eine Tatsache, die mich beruhigt, jedoch liegt Liv da, wie eine Puppe. Ohne jegliche Bewegung.

"Toby! Liv!", höre ich mich selbst nach ihnen rufen. In meiner brüchigen Stimme ist Panik, Sorge und Angst zu einem zittrigen Ton verschmolzen. Die Augen des brünetten Jungen flattern leicht, bevor er seine Augen ganz öffnet und langsam versucht sich aufzusetzen, doch von Liv geht kein Lebenszeichen aus. Kein Zucken, kein Atem, kein Pulsieren. In meinem Kopf springen Wörter herum, die ich bis jetzt nicht mit einem meiner Freunde verbinden konnte. 'Verlust' und 'Herzstillstand', sowohl wie 'Tod' beschreiben sehr gut, was ich hier vor mir habe.

Toby hat sich inzwischen neben die blonde, blasse Schönheit auf die Knie gesetzt und fühlt ihren Puls. Als wohl auch er bemerkt haben muss, was mit ihr ist, beginnt er an ihr zu rütteln, "Liv! Liv! Olivia!", mit jedem erneuten Mal, wie er ihren Namen ruft, wird er lauter und panischer, wobei man deutlich den Kloß in seinem Hals hören kann. Er ist den Tränen nahe und macht sich auch nicht die Mühe, dies zu verbergen, da er zu seinen Gefühlen steht.

Tami, neben mir, macht sich von ihrem Gurt los und kriecht zu Toby, ebenso wie Layla. Nachdem auch ich dazu gekommen bin, nehme ich ihn in den Arm und flüstere ihm zu, "Sie ist nun an einem besseren Ort. Ab jetzt beschützt sie uns auf unserem weiteren Weg."
Eigentlich bin ich noch nie gut darin gewesen die Starke zu spielen und Worte für ähnliche Situationen zu finden, aber diese Worte sagte meine Mutter mir, als Großmutter Trudi verstorben ist und irgendwie waren sie gerade einfach da, weshalb ich sie aussprach.

Ich höre ihn schwer schlucken, bevor er leicht mit dem Kopf nickt und sich aus meiner Unarmung löst, als Tami und Layla von Jace herausgezogen werden. Nur kurz darauf auch ich und Toby. "Keine Zeit dafür! Wenn wir nicht sofort abhauen, erleben wir den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr.", sagt er und wirkt plötzlich sogar noch härter und kühler, als gewöhnlich. Wir sind es gewohnt kein großes Gefühlskino von Jace zu sehen, doch, dass er so auf Liv's Verlust reagiert, schockiert sogar mich.

"Aber was ist mit Liv?", fragt Layla und schaut zu dem Schrotthaufen, der einst Jace's Wagen war und nun zu der Grabstätte von Olivia wird. Jace schaut sie verständnislos an, "Bleibt hier. Oder wolltest du eine Leiche mitnehmen, die jede Sekunde zu laufen beginnen könnte?!", meint er aufgebracht.
Mein Blick gleitet zu ihrer Hand, die ich von hier aus sehen kann. Liv soll zu einem von denen werden, aber sie war doch gar nicht krank, oder?

Doch da zuckt ihre Hand und ich lasse mich auf meine Knie fallen, um nach ihr zu greifen. Sie lebt doch!
"Oh mein Gott, Liv!", rufe ich erfreut und gerade als ich dabei war, zu ihr zu krabbeln, vernehme ich ein Geräusch, das mir einen Schauer durch jede Faser meines Körpers jagt und mir eine unangenehme Gänsehaut bereitet. Dieses animalische, unnatürliche Grummeln und Stöhnen, was auch dieser Mann im Park von sich gab.
Schlagartig wird mir bewusst, was dieses Zucken ihrer Hand bedeutet. Sie ist zwar am Leben, aber sie ist einer von ihnen.

So schnell, wie die Erkenntnis mich erfasst hat, genauso schnell stelle ich mich wieder auf die Beine und verkünde, "Wir müssen laufen! S-sie ist einer v-von i-ihnen!"
Jace spornt sofort alle an loszurennen, was dann auch alle tun. Mit einem letzten Blick zurück, sehe ich, wie Liv versucht aus dem Wagen zu kriechen. Innerlich bete ich, dass sie es nicht schafft. Sie würde uns töten, richtig?

Nachdem wir ein ganzes Stück gelaufen sind, gestattet Jace uns eine Ruhepause. Evan setzt sich und lehnt sich dann gegen einen der Bäume des Waldes, in den wir gerannt sind, mit meiner Schwester in seinen Armen.
Tamina starrt vor sich hin, als wäre sie eine leere Hülle. Layla lässt sich einfach dort fallen, wo sie stand und schließt für eine Weile die Augen. Auch Toby setzt sich und so mache ich es mir neben ihm bequem.
Jace aber bleibt stehen und schaut sich aufmerksam um. Keiner von uns sagt auch nur ein einziges Wort. Durch Erschöpfung, Verwirrung und den Schock von eben sind wir alle nicht dazz in der Lage.

Layla bricht aber nach einigen Minuten das Schweigen.
"Woher weißt du von alldem?", wendet sich die Brünette an Jace. Dieser blickt einmal jeden von uns an und sieht sich dann wieder um.
"Das willst du nicht wissen."
"Doch, sonst würde ich ja wohl nicht fragen!", entgegnet sie dann wieder.
Die Blicke von uns allen liegen nun auf Jace. Er scheint mehr zu wissen, als wir und das gefällt mir nicht.
"Ich werde es euch nicht sagen."
"Aber-"
"Kein 'Aber' und jetzt sei ruhig. Du könntest ebenso ein Feuer machen und rufen: 'Hier bin ich! Fresst mich!'.", beendet Jace dann die Konversation.
Layla presst die Lippen leicht aufeinander, belässt es aber bei dem.

"Ruhe hier, okay? Flüstern ja, aber wir wollen doch nicht, dass uns einer von denen kriegt.", sagt Jace uns in einer ruhigen Stimmenlage, die aber trotzdem bestimmend ist und kein Raum für Diskussionen lässt.
Unser Schweigen deutet er wohl als Einverständnis aller, da er sich folgend in Bewegung setzt. "Ich sehe mich ein wenig um. Ich bin nicht weit weg."
Es macht mir ein wenig Angst, dass er uns alleine lässt, da er anscheind der Einzige ist, der hiervon - was auch immer dieses hiervon ist - irgendwas versteht.
Meinen Blick lasse ich dann zu Toby neben mir wandern. Er sitzt dort, starrend auf seine Hände, mit Schmerz in den Augen. Er scheint bemerkt zu haben, dass ich ihn ansehe, denn er beginnt etwas zu sagen.
"Ich hab sie losgelassen. Ich konnte sie nicht mehr halten. Es ist meine Schuld."
"Das ist nicht deine Schuld.", erwidere ich sofort und lege meine Hand auf seine. "Es ist einzig und allein die Schuld vom Virus. Ohne das hätten wir nicht-"
Da stocke ich dann selbst. 'nicht flüchten müssen.' ist es, was ich sagen wollte. Aber mit dieser Tatsache will ich mich nicht anfreunden. Geflohen, vor was denn?!
"Es ist nicht deine Schuld.", wiederhole ich lieber, statt meinen Satz zu vervollständigen.

Er hebt dann seinen Blick an und schaut mich einige Sekunden an. "Was sollen wir jetzt nur machen?", fragt er mich.
Eine Frage, die ich mir selbst schon oft genug gestellt habe.
Was sollen wir machen?!
Ich weiß es nicht.

The living DeadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt