Zwischen Leben und Tod

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"Eben bin ich so sanft erwacht,

Ich dachte ich würde schweben.

Bis wohin reicht mein Leben,

und wo beginnt die Nacht?

Rainer Maria Rilke, Die Liebende


Louisa spürte eine eisige Kälte. Sie öffnete die Augen, aber um sie herum war es schwarz. Langsam tastete sie ihre Umgebung ab, aber sie fand nichts, was ihr zur Orientierung geholfen hätte. Kleine Steinchen spürte sie zwischen den Fingern, als sie über den Boden wischte, und kurz darauf erstickte sie fast an der Staubwolke, die sie damit verursacht hatte. Sie tastete weiter den Boden ab, diesmal etwas vorsichtiger. Sie zuckte zurück, als hätte sie in Feuer gefasst, als sie etwas weiches fühlte. Sie tastete weiter, bis sie zu dem Entschluss kam, dass es sich höchstwahrscheinlich um Gras handelte. Wo bin ich nur gelandet?, fragte sie sich. Sie versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Wie war sie an diesen merkwürdigen Ort gekommen? War sie ohnmächtig geworden und halluzinierte jetzt? Nein, sie war auf dem Heimweg von einer Geburtstagsparty gewesen. Es war sehr neblig gewesen, sie hatte kaum etwas gesehen. Sie erinnerte sich an zwei gelbe Punkte, die plötzlich aus dem Nebel aufgetaucht waren. Sie waren größer geworden, immer größer, bis sie die Frontseite des Lastwagens erkannt hatte. Sie war doch nicht... Nein, das konnte nicht sein. Oder doch? War sie wirklich überfahren worden? Nein, das erschien ihr zu absurd um wahr zu sein. Aber die Tatsache, dass sie ihre Umgebung nicht sehen konnte, beunruhigte sie schon etwas. Vielleicht bin ich ja durch den Unfall erblindet, überlegte Louisa. Aber wie um Himmels willen war sie an diesen Ort gekommen?

Langsam konnte sie Konturen erkennen. Noch war es zu dunkel, um irgendetwas genaues erkennen zu können, aber das Bild vor ihren Augen wurde immer klarer. Also doch nicht blind. Sie befand sich auf einem schmalen Pfad. Hinter ihr tat sich eine gewaltige Gebirgsfront auf, die Bergspitzen waren vollständig von einem dunklen Nebel bedeckt. Vor ihr schlängelte sich der Weg durch das Tal, ab und zu zierten kleine Büsche den Wegrand, und vereinzelt sah man alte Trauerweiden auf den Wiesen. Ihre moosbewachsenen Äste hingen fast am Boden, und wenn Wind durch das Tal rauschte, tanzten ihre Äste wild durcheinander. Auch wenn das Tal auf den ersten Blick friedlich wirkte, lief es Louisa eiskalt den Rücken hinunter. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie allein war in diesem Niemandsland. Es war still um sie herum, nicht einmal Vögel konnte sie zwitschern hören. Kein Autolärm. Nichts. Nur das Rauschen des Windes, der durch das Tal brauste. Sie hatte nur eine Möglichkeit, nämlich dem Pfad zu folgen.



Hey:) Wie findet ihr die Geschichte bis jetzt? Ich würde mich über euer Feedback und Votes freuen:)

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