4.Matt

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Wochen lang dieser eine Ton.
Nach dem großen Konzert war keine Stille eingekehrt. Zumindest keine an die er sich erinnern könnte.
Ihm war klar das sein Bewusstsein kam und ging, dass Momente verschwammen, überlappten und bisweilen sogar gänzlich fehlten und er wusste auch das dies angemessen sein sollte. Wenn man fast starb.
Trotzdem ärgerte er sich, trotzdem litt er. Schließlich war er fast gestorben!-

Aber nur fast. Zu schade das das Leben so klammerte. Da war er einmal bereit, war sich einmal sicher-
Um dann am Leben zu bleiben. Es musste ein Wunder geschehen sein. Nur war man für Wunder doch gewöhnlich dankbar. Während er sich nur ärgerte. Ärgerte das seine Chance verstrichen war. So ein zuversichtlicher Abgang würde sich ihm so schnell nicht wieder bieten. Vielleicht war das ja Gottes Plan für ihn. Vielleicht würde ihm von jetzt an jede Lösung verwehrt, würde sogar Pater Lantom die Türen vor ihm verschließen.
Er Ärgerte sich. Über die Kirche, über sich selbst, über die Welt.

Vor allem aber ärgerte ihn dieser Ton. Wie ein Tinnitus hatte er sich in seinen Ohrmuscheln eingenistet, ließ sich werden abschütteln, noch schreiend übertönen. Er hatte alles versucht. Hatte seinen Kopf anfangs auf die Matratze auf der er lag geworfen, wieder und wieder. Später hatte er den Bettpfosten gefunden und fast verheilte Platzwunden zum erneuten Aufreißen gebracht. Er hatte geschrien, hatte um Hilfe gerufen, hatte nach Foggy, nach Karen geschrien. Aber niemand war gekommen. Niemand der ihm geholfen hätte, niemand den er erkannt hätte. Und Karen würde er erkennen, egal wie eingeschränkt seine Wahrnehmung auch sein mochte.

Er hörte diesen Ton, seit Ewigkeiten nichts anderes als diesen Ton. Aber das war bei weitem noch nicht alles. Sein ganzes Gesicht war stark geschwollen und fühlte sich taub an, seine Nase war vermutlich gebrochen.
Was dazu führte das er kaum etwas roch, kaum einen Duft unterscheiden konnte, selbst wenn er die Zunge dazu nahm. Sein Tastsinn war durch die vielen Schwellungen die er dumpf auch im unteren Teil seines Körpers wahrnahm geschwächt. Seine Arme lagen Kraftlos und schwer neben der nutzlosen Hülle die sein flüchtiges Bewusstsein festhielt. Als er irgendwann, es konnte Minuten, Tage oder Monate her sein, versucht hatte aufzustehen-
Nein, an diesen Moment erinnerte er sich wirklich nicht gern. Und auch wenn er die Körperwärme mehrerer Menschen um sich herum auszumachen glaubte- solange niemand auf ihn reagierte konnte er mit dieser Information nicht viel anfangen.

Er lag, und existierte.

Er dachte keine denkenswerten Gedanken und sprach kein sinnvolles Wort.

Sein Kopf war leer, abgesehen von Verzweiflung, Trauer und Schmerz. Der Schmerz war das einzige was die Existenz einer vierten Dimension, was das Vergehen von Zeit belegte. Denn er wurde schwächer.

Bis eines Tages jemand seinen Arm hob. Seinen Arm hob und ihn mit sanften Handbewegungen bat ihn oben zu halten. Und er spürte etwas, etwas seltsam vertrautes. Ein Kreuz prallte gegen seine Handfläche als die Person sich vorbeugte, ein Kreuz dessen Oberfläche von Metall überzogen war, nein von Gold. Und das Matt schon einmal gespürt hatte.
Jetzt sollte er seinen Arm oben halten.

Eine simple Übung. Die Matt für eine ganze Minute problemlos überstand. Bevor der Arm auf die sanfte Federung der Matratze zurück prallte und die Fremde ihn Schweiß überströmt zurückließ.
So viel roch er wieder, dass er unterscheiden konnte zwischen Mann und Frau.
Aber warum ließ sie ihn schon wieder alleine? Hatte sie ihn aufgegeben, nach so kurzer Zeit? Erneut versank er in Selbstmitleid, trauerte um die freiwillige Ewigkeit mit Elektra, um die glückliche Gegenwart mit Karen. Bereute Entscheidungen, verfluchte Umstände.

Zeit verging. Er begann selbst an seinen Armen zu arbeiten. Vielleicht war dieser erste Versuch nur die Erlaubnis gewesen sich auszuprobieren? Die Ermunterung Kraft zurück zu gewinnen? Denn wie hätte die Fremde mit ihm kommunizieren können?

Als er seinen linken Arm wieder vollständig heben konnte, ohne das er nach wenigen Minuten unkontrolliert hinab plumpste begann Matt seine Umgebung zum ersten Mal richtig wahrzunehmen. Er drehte seine Handfläche nach rechts und erspürte die Luft die den länglichen Raum füllte.
Dort drüben hatte vor einigen Tagen eine weitere Person gelegen. Das Bett war jetzt leer. Daneben hatte jemand auf einer Art Schaukelstuhl Platz genommen. Die Regelmäßigkeit der Atemluft auf seiner Haut ließ vermuten, dass dieser Jemand, wieder eine Frau, nein, nicht irgendeine Frau, sondern die Frau die seinen Arm gehoben hatte, die Frau die ihm wie er jetzt erkannte wieder Kraft, wieder Aufgaben gegeben hatte schlief. Das kleine goldene Kreuz ruhte kalt auf ihrer Brust und wurde ab und an von einem Atemstoß erwärmt.

Alle Wände des Raumes waren von großen Fenstern gesäumt, durch deren Ritzen eine Ahnung der Kälte, der Außenwelt hineinließen. Kälte. War schon so viel Zeit vergangen? War es nicht Frühsommer gewesen als der das letzte Mal gehört hatte? War er nicht im ausklingenden Frühling das letzte Mal durch Karens Haar gefahren, hatte das letzte Mal ihre süßen Lippen geküsst? So lebendig wie diese Erinnerung war, konnte wirklich schon so viel Zeit vergangen sein?

Instinktiv fuhr seine erhobene Hand erhobene Hand in eine Abwehrhaltung als er die sanfte Wärme einer Hand auf seinem Arm spürte. Ohne sein Gehör kostete jeder Gedanke seine volle Aufmerksamkeit. Die Person hatte ihre Hand zurückgezogen und sprach mit ihm. Ihr Atemrythmus hatte sich verändert. Es war die Frau mit dem goldenen Kreuz. Wer auch sonst? Hatte sich überhaupt jemand anderes um ihn gekümmert? In all der Zeit?

Vorsichtig näherte sie ihre Hand wieder seinem Gesicht. Als habe sie Angst er würde sie Schlagen wenn sie ihn erneut überraschte. Sie strich mit sanften Fingern etwas von seiner Wange. Etwas feuchtes. Eine Träne.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 20, 2017 ⏰

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