Zwei- Züge

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Ein anstrengender Tag liegt hinter mir. Ermüdet schaue ich aus dem Fenster. Die Tropfen, die vom regen am Zugfenster hängen geblieben sind, laufen an der Scheibe herab. Wenn man nichts zu tun hat, ist es recht lustig, wenn man mit sich selbst wettet, welcher Regentropfen wohl am schnellsten unten ist.

Doch irgendwie wollen meine Gedanken heute nicht so ganz. Sie schweifen immer wieder ab. Sie fliegen von dem Stress der Schule zum Stress zuhause, von den Freizeit Aktivitäten bis hin zu Ihm. Sein Name ist Nick. Wir singen Zusammen im Chor, sind außerdem in der Selben Jugendgruppe. Bis zum Letzten Jahr gingen wir auch noch auf die selbe Schule, doch da er sein Abitur geschafft hat, geht er nun ein Jahr arbeiten, bevor er sich seinem Theologie Studium widmet. Und ich? Sitze hier im Zug und denke an ihn. Ich bin nicht verliebt, aber ich sehe ihn als einen guten Freund, was er leider nicht tut. Für ihn bin ich eine 9t Klässlerin, mit der man über alles reden Kann, wenn überhaupt. Ansonsten bin ich für ihn eine vom Stress zerfressene, ab und zu depressiv denkende Person, die im selben Chor singt.

Das ist gut so. Ich bringe ihm nur Schande und unangenehme Situationen. Letztens saß ich nach der Schule im Bus mit einigen Kameraden. Weil ich gut über ihn geredet habe, hieß es direkt ich stehe auf ihn. Typisches Geschwafel halt. Doch er stieg an der nächsten Station dazu. Dann lief es für mich ab wie in Zeitlupe.
Daniela und Leo drehten sich um. Ihre Gesichter sprachen schon für sie: "Uhh, Michelle. Da kommt dein Crush!"
Sie grinsten und sahen nun rüber zu Nick. Dieser bemerkte glücklicherweise nichts, ging an uns vorbei und steckte sich während des Hinsetzens die Kophörer in Die Ohren. Kaum waren diese drinnen, hieß es direkt: "Was macht er hier?", "Arbeitet er?" Ich wurde ausgefragt. Und wenn ich was hasse, dann sind es Leute und Fragen, die sie nichts angehen.

Nach langen 15 Minuten war meine erste Reise zuende. Ich ging nach Hause, nur um von dort zum Chor gebracht werden zu können.
Aber für den Chor würde ich alles tun.
Musik halt. Deshalb machte mir der Weg nie was aus.

Doch dort verging die schneller als ein Traum.
Nun begann die 2te Fahrt. Unterwegs holte ich mir nur noch schnell einen Kaffee, um die Wartezeit vor der Abfahrt zu überbrücken und betrat mein Abteil.

Ich merkte erst, dass sich der Zug bewegte, als ich, noch tief in meine Gedanken vertieft, die Graue Umgebung draußen wahrnahm, die sich langsam zu bewegen begann. Mein Coffe-2go dampfte immernoch vor sich hin. Es war eines meiner Markenzeichen. Kaffe. Nicht viele trinken mit ihren 14 Jahren Kaffe. Doch er schmekte mir. Ich brauchte ihn. Es war für mich irgendwie befreiend, den Drang nach Koffein zu haben. Ich wollte es nicht riskieren zu rauchen, da meine Mutter mir die Hölle heiß machen würde wenn sie es rausfand. Außerdem hatte ich 3 Personen in meinem Leben, die ich verlieren würde wenn ich mit so einem scheiß anfing. Und sie waren die einzigen 3 Personen die ich hatte. 
Aber Probiert zu rauchen? Habe ich. Dieses typische "ich-ziehe-einmal-und-dann-ist-gut". Aber das war bei mir nicht so. Ich hatte den drang nach mehr, den Drang mich damit selbst zu zerstören. Ach, wie freue ich mich schon auf den 18ten Geburtstag. 

Er wird der Anfang vom Ende sein.

Die Bremsen Quietschten, ich musste raus. Schon auf dem Weg nach draußen freute ich mich auf das kühle Nass. Denn ich liebte den Regen. Für einen ganz kurzen Moment war man wie frei. Da die Sonne Mittlerweile unterging und alles bereits recht duster war und durch das "schlechte" Wetter noch Düsterer erschien, liefen die Menschen auf den Straßen schon förmlich nach hause. Sie wollten nicht nass werden, meideten gerne das Dunkle oder wollten einfach nur nach Hause. Aber ich sah keinen Grund, jetzt zu Hetzen. Ich wohnte dort seit 11 Jahren und werde noch mindestens 3 weitere dort verbringen. Doch was noch keine elf Jahre in dieser Konstellation existierte war mein Zimmer. Dieses gab es erst seit den Sommerferien so wie jetzt. Die größte wand war Schwarz, die beiden kleinen Wände und die Dachschräge waren weiß. 

Viele Menschen beschreiben die Erscheinungsformen von Weiß immer mit Worten wie "strahlend" oder "blendend". Aber das war es nicht. Dieses weiß hatte einen leichten Cremfarbenden stich mit einbehalten, sodass es nicht erstrahlt bei der kleinsten Lichtmenge.

Neben mir schien der Mond seinen Kegel des Lichtes auf meinen Weg zu werfen, denn es belichtete eine Blume auf meiner linken Seite. Obwohl ich diesen Weg fast täglich passiere, fiel mir diese Pflanze noch nie auf. Erst Jetzt.

Es ist wie Sterne. Sie sind immer am Himmel, doch wenn man nur Tags über hinausgeht, kann man sie nie in ihrer vollen Pracht bewundern.

Geht man am hellichten Tag spazieren, hat gute Laune und freut sich an dem Getzwitscher der Vögel, sieht diese Blume. Aber man nimmt sie nicht wahr. Sie ist zu unscheinbar. Aber nun, wo alles dunkel ist und nicht ein laut neben den immer weniger werdendem Regen zu hören ist, fällt sie auf. Das kleine und unbedeutende Detail am Tag ist in der Nacht im Mondschein garnichtmehr so bedeutungslos. 

VerblasstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt