6.Kapitel

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Vorsichtig, um das Mädchen nicht aufzuwecken schloss er die Tür hinter sich und nickte Calleigh zu, dass er für eine kleine Weile ihren Platz übernehmen würde. Genauso vorsichtig wie er stand seine Kollegin auf und ließ sie alleine.

Den Kopf etwas schief gelegt blickte er auf das rothaarige Mädchen hinab und kniff die Augen, als er sich daran erinnerte, wie sie noch vor ein paar Stunden ausgesehen hatte, zusammen. Sie hatte sich panisch gegen ihn gewehrt, als befürchtete sie, dass er ihr ebenfalls etwas antun könnte.

Kopfschüttelnd wandte er sich kurz um, um den Stuhl umzudrehen, die Arme auf die Lehne zu legen und seinen Kopf auf ihnen abzustützen. Bei dem Gedanken, was dieser Mann ihr noch alles antun hätte können, wenn sie nicht rechtzeitig gekommen wären, brodelte eine fürchterliche Wut in seinem Bauch und er schwor sich insgeheim, dass dieses Schwein sein Werk nicht vollenden würde. Dieses Mädchen würde er nicht bekommen und er war bereit alles zu tun, um diesen Mann hinters Gitter zu bekommen und die Kleine vor ihm zu beschützen.

Während er sie die ganze Zeit beobachtete, ließ er seinen Gedanken einfach freien Lauf. Er wunderte sich darüber, was sie mitten in der Nacht in den dunklen Gassen Miamis getrieben hatte, denn er wusste nur zu gut, dass sich der Serienkiller, eigentlich nur in Gassen herumtrieb in denen dieses Mädchen ganz sicher nichts zu tun hatte. Doch leise Zweifel beschlichen ihn trotzdem, es war immer noch möglich, dass der Täter seine Taktik geändert hatte, immerhin hatte er sich noch nie an einem so jungen Mädchen vergriffen, oder hatte zwei Leichen auf einmal hinterlassen.

Ein leises Lächeln glitt auf seine Lippen, als er bemerkte, wie sich die Gesichtszüge des Mädchens langsam entspannten, bis sie so friedlich aussah, als hätte sie alles wieder vergessen. Er selbst würde ihr am liebsten alle Angst nehmen und versichern können, dass alle Angst unbegründet war, doch so war es noch nicht. Sie war ihre einzige Zeugin, sie war die einzige die ihnen helfen konnte diesen Mann zu finden und zur Strecke zu bringen und das wusste der Killer nur zu gut, er würde alles versuchen, um an das Mädchen heranzukommen und sie zum Schweigen zu bringen. Der Mann hatte nichts mehr zu verlieren und würde alles tun, um seinen Fehler zu beseitigen. Er wäre zu allem bereit genauso wie Horatio, wenn er der Rothaarigen, auch nur zu nahe kam.

Die Zeit verging schleppend während er seinen Gedanken nachhing und in seinen Erinnerungen nach Informationen über die Kleine suchte. Er wusste nicht viel, er wusste nicht einmal wie sie hieß, geschweige denn wie alt sie war, er wusste nur, dass sie anscheinend gerne joggte und sich den Strand, genauso wie er, dafür ausgesuchte hatte.

Ein kaum wahrnehmbares Zucken ihrer Augenlider riss ihn aus seinen Gedanken. Ihre Gesichtszüge spannten sich wieder ein wenig an und er bemerkte, wie sie sich anstrengte weiterhin ruhig zu atmen. Es waren beinahe nicht wahrnehmbare Veränderungen, doch er bemerkte sie und er wusste auch, dass sie aufgewacht war und nur so tat, als würde sie noch schlafen.

Er würde ihr gern die Ruhe gönnen, die sie sich sicherlich wünschte, doch er musste wenigstens wissen wer sie war, um ihre Familie informieren zu können. Der Lieutenant hoffte, dass die Panik nicht wieder zurückkehren würde, sobald sie die Augen aufschlagen würde, doch er fürchtete, dass sie sich bereits erinnert hatte und sie deshalb nicht mehr so friedlich aussah, als sie noch geschlafen hatte.

„Ich weiß, dass du wach bist."

Das Mädchen zuckte ganz leicht zusammen, doch rührte sich sonst nicht, als hoffe sie sich immer noch schlafend stellen zu können. Horatio hatte Mitleid mit ihr, er würde sie am liebsten weiterschlafen lassen und ihr die Möglichkeit geben, mit all dem zurecht zu kommen, doch er musste mit ihr reden. Vielleicht konnte er ihr auch einen kleinen Teil ihrer Angst nehmen und ihr Vertrauen gewinnen. Gerade, als er noch einmal etwas sagen wollte, ging die Tür auf und er sah auf.

„Horatio?"

Alexx kam in den Raum und er bemerkte ihren ernsten, sorgenvollen Gesichtsausdruck. Stirnrunzelnd sah er sie an und wollte gerade fragen, was los sei, als sie ihm zuvorkam.

„Ich muss mit dir reden."

Die Ärztin nickte in Richtung Tür, als er sich nicht rührte, sondern wieder auf das Mädchen hinabsah, ob sie nicht doch die Augen aufmachen würde. Schließlich folgte er Dr. Wood aus dem Zimmer und war insgeheim dankbar für die Unterbrechung. So konnte er dem Mädchen noch ein paar Minuten Ruhe gönnen, ohne kostbare Zeit verloren zu haben.

„Was ist los?", fragte er und sah die ehemalige Gerichtsmedizinerin stirnrunzelnd an.

„Ich habe nicht nur frische Verletzungen bei ihr gefunden. Einige Blutergüsse waren schon etwas älter und sie hat Verletzungen am Rücken, die ebenfalls nicht vom Täter stammen können."

„Welche Verletzungen?", hackte er nach und sah kurz zu dem Zimmer der Rothaarigen zurück.

„Ich denke sie könnten von einer Gürtelschnalle herrühren."

Die Antwort gefiel ihm gar nicht. Mit noch einem Blick zurück zu ihrem Zimmer, versuchte er sich zu erinnern, ob sie nicht vielleicht doch etwas gesagt hatte, doch sie war so panisch gewesen, dass sie nur an ihre Flucht gedacht hatte. Sie hatte darum gebettelt sie gehen zu lassen und selbst als sie ihn erkannt hatte, hatte sich ihre Panik nicht gelegt.

„An was denkst du?"

Alexx Frage riss ihn aus seinen Gedanken und er sah die dunkelhaarige Frau eindringlich an.

„Wurde sie vergewaltigt?"

„Es waren keine Verletzungen zu finden, die auf so etwas hingedeutet hätten", antwortete sie ihm und sah ihn fragend an.

„Denkst du sie wird zu Hause misshandelt?"

„Das werde ich herausfinden", antwortete er schlicht und wandte sich zum Gehen, „Danke, Alexx."

Ohne Umwege ging er in ihr Zimmer zurück. Er musste herausfinden, was wirklich geschehen war, er konnte ihr nicht mehr Zeit geben. Mittlerweile glaubte er nicht mehr, dass der Täter seine Taktik geändert hatte, er glaubte viel mehr, dass sie vielleicht vor ihren Eltern geflohen war und ihm in die Arme gelaufen war. Sie war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und der Serienkiller hatte sie nicht gehen lassen können.

Eine fürchterliche Wut überkam ihn, wenn er daran dachte, dass ihre Eltern sie misshandelten und sie wahrscheinlich erst in diese Lage gebracht hatten. Er konnte nicht verstehen, wie man seinem eigenen Kind, oder irgendjemanden so etwas antun konnte. Es war unverzeihlich und er würde die Wahrheit herausfinden.

Der Lieutenant lehnte sich wieder auf die Lehne des Stuhles und sah sie eindringlich an. Die Wahrheit konnte er nur mit ihrer Hilfe herausfinden und er konnte ihr nur helfen, wenn sie es zuließ. Den Kopf auf die Arme gestützt vergewisserte er sich, dass sie nicht wieder eingeschlafen war, doch sie stellte sich nur schlafend. Er würde sie am liebsten nicht in die Realität zurückholen, doch wenn er ihr helfen wollte, dann musste er es tun.

„Ich weiß, dass du wach bist."

Penelope IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt