Mit einem flauen Gefühl im Magen machte ich mich bereit. Hinter einer Häuserecke stellte ich mich hin, ganz weit weg von Joras und Raphel. Tera konnte ich in der großen Menge nicht mehr ausmachen, aber ich wusste, dass sie sich an ihrem Platz neben dem kahlen Steinbrunnen befand.
Von meinem Standpunkt aus, hatte ich sowohl Joras im Blick, als auch die Marktstände und ihre Verkäufer. Auf dem großen Platz hatten zahlreiche Händler ihre Stände aufgebaut und versuchten durch lautes Rufen ihre Ware an den Mann zu bringen. Direkt vor mir verkaufte ein älterer Mann mit einem markanten Kinn und schwieligen Händen verschiedene Fischarten. „Kauft meinen Fisch, frischen Fisch…“, rief er der Menge zu und es schien Wirkung zu zeigen, als sich eine Gruppe Reisender dem Stand näherte.
Der Platz war überfüllt und die seltsamsten Menschen versuchten so billig wie möglich ihre Vorräte für die nächste Woche einzukaufen. Eine junge Frau mit einem Kopftuch, gewaltigen Ohrringen und Kleidung in allen Herbstfarben mischte sich unter einfache Bauern mit ihren plumpen Schuhen und halb zerrissenen Hosen. Mehrere alte Frauen schlurften gemeinsam zum Fischhändler der vor mir stand.
Plötzlich bildete sich an einer Stelle des Platzes eine große Menschentraube, die einen Kreis um etwas gebildet hatte. Zwischen den Lücken der Menschen konnte ich ein paar Kleinigkeiten ausmachen, aber ich wusste sowieso was sich dort abspielte. Schließlich hatte ich Joras und Raphel oft genug beim Proben zugeschaut.
In der einen Hand hielt Raphel eine Fackel, mit der anderen versuchte er groß ihren Auftritt anzukündigen. Theatralische Bewegungen unterstützten seine zielvolle Ansprache. Neugierig kamen immer mehr Leute auf die Beiden zu und wollten erfahren, was hier los war. Da zückte Joras sein Feuerzeug und in einer kaum wahrnehmbaren Sekunde entzündete er Raphels Fackel und gleichzeitig noch drei andere.
Sein Feuerzeug glitt wieder in seine Tasche und er warf die erste Fackel schwungvoll zu Raphel. Dieser fing sie mit einer galanten Bewegung auf und gleich darauf begann ein wilder Tanz zwischen den beiden. Sie warfen sich die Fackeln gegenseitig zu und ließen sie um ihre Körper wirbeln. Ich konnte heute noch nicht die Angst abschütten, dass sie sich vielleicht eines Tages daran verbrennen würden.
Nach und nach holten Joras und Raphel noch mehr Fackeln dazu und die hohen Flammen züngelten wild durch die Luft. Als Raphel gleichzeitig noch einen Salto vollführte, jubelte die Menge den beiden zu. Joras stand ihm in nichts nach und spuckte der Menge das Feuer entgegen. Vor Furcht schreckten die Leute zurück und einige machten sogar einen Satz zurück. Wie zwei Tiere die sich umkreisten, tänzelten Joras und Raphel im Kreis herum und erzeugten so eine Spannung, die zum Greifen nahe schien. Mit einer plötzlichen Bewegung rannten sie aufeinander zu stemmten ihre Füße aneinander und stiegen so in die Luft um gleich darauf einen Rückwärtssalto zu vollführen. Raphel entzündete wieder ein paar Fackeln, die er kurz zuvor gelöscht hatte und warf sie Joras zu, dieser Jonglierte mühelos acht der brennenden Teile auf einmal als er sie alle plötzlich in die Menge warf, fing das Publikum an zu schreien und flüchtete sich mehrere Meter weiter zurück. Was sich allerdings als recht schwierig erwies, da die vorderen schon in Panik gerieten, während die hinteren in der Menge noch gar nicht verstanden, was gerade passierte.
Aber bevor auch nur eine Fackel einen Menschen treffen konnte, hatten Raphel und Joras alle in der Luft abgesammelt und dabei auch noch einen Flick-Flack vollführt.
Das weckte mich aus meiner Trance und ich erinnerte mich wieder an meine Aufgabe. Ich hätte den beiden stundenlang zusehen können, was ich auch schon getan hatte. Aber jetzt musste ich meine Mission erfüllen.
Warme Luft zog von der Menge in meine Richtung, doch ich musste mich auf der gegenüberliegenden Seite auf den Weg machen. Ich rannte an mehreren Ständen vorbei und hielt dann bei einem Obst- und Gemüsehändler, der seine ganze Aufmerksamkeit den beiden Jungen schenkte, die wie wild durch die Luft flogen. Er lehnte an einem der Pfosten, an denen das Dach des Standes angemacht war. Links und rechts hatte er große Tücher gespannt, die verhindern sollten, dass jemand an den Seiten des Standes vorbeikam und sich einfach etwas stahl.
Ich riss mein Messer aus meiner Tasche und ließ es aufschnappen. Mit einer blitzschnellen Bewegung durchtrennte ich die Seile, die eines der Tücher an Ort und Stelle hielten. Ich schnappte mir das Tuch und warf alles essbare was ich finde konnte hinein. Neben Papayas und Melonen gab es Bananen und Kartoffeln und ich konnte sogar ein paar meiner Lieblingsfrüchte ergattern: Äpfel.
Schnell nahm ich das abgetrennte Seil und knotete die Enden des Tuches zusammen und warf es mir über die Schulter. Das alles hatte nur wenige Augenblicke gedauert und ich wollte mich gerade umschauen, ob mich jemand gesehen hatte. Da sah ich zwei Polizisten auf mich zukommen. Der eine war groß und dick. Seine langen blonden Haare schwebten ihm fast wie Engelshaar um den Kopf, aber sein Gesicht blickte so grimmig drein, wie das von Mepistopheles. Der zweite war fast genauso groß, hatte aber um ein vielfaches weniger Gewicht. Seine braunen Haare hatte er zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden und genauso entschlossen, wie sein Kollege, stapfte er in meine Richtung. Beide trugen sie die Marineblaue Uniform, die sie als Hüter des Gesetzes auswies. Auch wenn, sie aussahen wie dick und doof, konnte ich nicht ausschließen, dass sie vielleicht doch nicht so dämlich waren und musste schleunigst verschwinden. Scheiße!! Ich durfte mich auf keinen Fall erwischen lassen. Mit betont ruhiger Gelassenheit bewegte ich mich vom Stand weg und lief in die Richtung unseres Treffpunktes. Doch als ich mich umblickte entdeckte ich nur wenige Meter hinter mir die zwei Polizisten aufgeregt miteinander tuscheln. Es war ganz eindeutig, dass ich der Grund ihrer Aufregung war.
Hoffentlich wurde Tera nicht erwischt.
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Das Tier in mir
Novela JuvenilZofalia ist ein Waisenkind. Zusammenmit Joras, Tera und Raphel lebt sie unter dem Dachboden eines alten Fabriksgebäudes. Dies ist das 19 Jh., es ist die Zeit der unendlichen Möglichkeiten. Die vier wollen ihr Leben verändern, sie wollen etwas aus si...