Ritual gegen Kummer

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Ich lag in meinem Bett. Immer wieder erwische ich mich selbst dabei wie ich an Celi und die alten Zeiten denke. Wenn ich dieses Thema gegenüber meiner Eltern erwähne, kommen keine Hilfreiche Antworten. Sie meinen immer nur man soll die Vergangenheit beruhen lassen, doch sie werden nie so fühlen können wie ich, denn ich habe sie geliebt wie eine Schwester. Mehr als alles andere auf der Welt.

Ich schrack aus meinen Gedanken auf, als es an meiner Zimmertür klopfte. Die helle Holztür öffnete sich ein Stück und der Kopf von Nathi lugte durch die Tür. Die hellblonden Haare waren heute mal hochgesteckt was irgendwie anders aussah. Aber positiv anders. Als sie sah, dass ich sie ansah kam sie in mein Zimmer und setzte sich schweigend zu mir aufs Bett.
Sie fing meinen abwartenden Blick ein und schaute noch einmal kurz zu meiner rosageblümten Bettdecke, an der ihre Finger nervös zu zupfen begannen. Erst als ich sie fragte ob etwas nicht stimmte bekam ihr Gesicht ein kleines Grinsen aufgesetzt.

Solche Situationen kamen bisher öfters vor. Meistens war es wegen irgendwelchen Jungs oder Problemen mit den Freundinnen. Oft aber auch wegen Mama und Papa und mit der Zeit entwickelten wir eine Art Ritual. Ich zog die Schublade neben meinem Bett auf in der bereits mehrere angeknabbberte Tafeln Schokolade lagen. Ich zog eine heraus und legte sie aufs Bett. Abwartend sah ich Nathi an, bis ich ihre Tränen bemerkte, die vereinzelt über ihre Wangen rollten. Sie waren Diamantengleich und doch brachten sie Schmerz zum Ausdruck. Ich öffnete die Arme und ohne Wiederrede kam sie zu mir rübergekrabbelt und legte sich in die Umarmung. Ich spürte wie ihr Brustkorb bebte und sie anfing zu schluchzen. Ich drückte sie fester an mich. Ich traute mich nicht zu fragen was los ist, denn ich kenne diese Situationen in denen man einfach nicht reden will und nur eine Umarmung braucht, denn nichts könnte den Schmerz in Worte fassen und es gäbe keine Worte die den Schmerz lindern könnten.

Als sie sich etwas beruhigt hatte wagte ich es doch einmal und fragte vorsichtig nach ob es sich um Mama und Papa handelt. Als sie nickte war mir alles klar. Oftmals versuchen Eltern Streit von den Kindern fernzuhalten. Doch wir bekommen es ebenso mit... ich meine wir sind ja nicht blöd und in unserer Teeniephase ist das natürlich nochmals um einiges schlimmer. Bei unseren Eltern ist es inzwischen Tag täglich und ich nehme es mittlerweile als Alltag. Man könnte meinen solche Kinder brauchen Mitleid, doch das stimmt nicht. Denn man lernt damit zu leben und bei mir und Nathi ist es nicht anders. Mittlerweile können wir an den Blicken unserer Eltern deuten, wann es Zeit ist sich aus dem Staub zu machen, da gleich Wortgefechte stattfinden werden, die nicht für unsere Ohren bestimmt sind. Normalerweise gehen wir dann raus und reden oder sitzen so wie jetzt im Zimmer und spenden uns gegenseitig Trost und geben uns Halt.

Alle möglichen Gedanken fusselten in meinem Kopf umher. Als Nathi sich von mir löste sah ich ihr Gesicht. Es war aufgequollen, die Wimperntusche war verschmiert und man konnte die Akne deutlich sehen. Erneut sah sie verlegen zu der Bettdecke. Langsam fing sie an zu erzählen...
"Du weißt nicht, was ich gerade mitbekommen habe."
"Nein aber es geht um Mama und Papa. Oder?"
Sie nickte langsam.
"Als ich in die Küche gelaufen bin habe ich Mama und Papa aus dem Wohnzimmer reden hören. Sie wollen sich nun endgültig trennen. Mama hat einen tollen Typen kennen gelernt in einer Bar um die Ecke. Zu dem will sie nun ziehen und das soll hier ganz in der Nähe sein. Nur ein paar Straßen weiter."
"Das heißt wir können sie besuchen."
"Können ja. Aber Mama meint sie will viel Zeit mit ihrem neuen Lover verbringen und wir sollen nur an Wochenenden zu ihr kommen. Wir sind in ihren Augen erstmal einfach nur unerwünscht"
Mir verschlug es die Sprache. Normalerweise sind es die Männer, die nach dem sie erfahren haben dass die Frauen schwanger sind, abhauen oder wenn sie mit den Kind überfordert sind, dann die Mutter alleine lassen. In unserem Fall ist es genau umgekehrt. Unsere Mutter will uns abschütteln für einen anderen Mann der ihr fünf Mark in die Tasche redet und ihr vorgaukelt die Sterne für sie vom Himmel zu holen.
"Nathi... Ich weiß ja nicht wie es mit dir ist, aber ich möchte Mama nicht besuchen gehen wenn sie so denkt."
"Ich habe auch das Gefühl sie möchte uns nur loswerden"
In mir kam eine Leere auf, die ich so noch nie Gespürt habe. Ich ließ mich in meine Kissen fallen und starrte die Decke an. Ich spürte wie Nathi sich zu mir hinkuschelte. Sie gab mir die Wärme, die ich gerade nicht verspürte. Ich konnte nicht weinen. Ich konnte es einfach nicht.

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