Der morgen danach

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Schweißgebadet wachte ich auf. Der Albtraum noch tief in mir verankert. 6:30 leuchtete es auf meinem Wecker in knallig grün. Langsam drehte ich mich auf die andere Seite und sah wie sich meine Decke hob und senkte. Ich riss die Augen weit auf. Es war kein Traum. Es war die Realität. Wieder kamen mir die Tränen. Ich hatte als ältere die Vorbildfunktion. Ich musste für uns beide stark sein in jeder Situation. Aber in diesem Moment konnte ich nicht mehr. Ich risss die Decke von mir und rannte ins Bad. Mehr als beabsichtigt schlug ich die Türe zu, die mit einem Lauten Knall ins Schloss fiel. Ruckartig drehte ich den Schlüssel um und ließ mich die Türe hinuntergleiten. 

Nun ließ ich Tränen freien Lauf. Ich ließ alle Gefühle raus, die sich seit gestern angestaut haben. Ich konnte mich nicht erinnern wann ich das letzte mal so bitterlich geweint habe. Jegliches Zeitgefühl ging verloren und ich wusste nicht wie lange ich schon dasaß und weinte. Es fühlte sich gut und befreiend an. Wie eine Welle die den Druck der Trauer hinausspülte. Nach Ewigkeiten spürte ich wie die Gefühle und die Tränen verebbten. Meine Brust bebte unregelmäßig und mein Atem stockte immer wieder. Ich fühlte die Leere in mir. Gleichzeitig war da ein Druck. Als ob ein schweres Gewicht auf meinem Körper lastete.  

Ich stand langsam auf und lief Richtung Waschbecken. Als ich das kalte Wasser über meine Hände laufen ließ hob ich den Blick und sah mich noch leicht verschwommen im Spiegel. Diese aufgequollenen Augen. Meine Augenränder und den Leberfleck an meinem Hals. Ich spürte wie ein Blick auf mir ruhte. Es war mein eigener. Ich fühlte mich so fremd in meinem Körper. Als ob ich in einer Hülle meiner selbst leben würde. Ich wollte schreien, doch ich konnte nicht. Mein Hals brannte wegen dem vielen weinen. Ich beugte mich hinunter und nahm ein paar Schlucke des kalten Wassers. Ich spürte wie das Wasser meinen Hals hinunterrann. Es tat gut und doch war es ein so fremdes Gefühl als hätte ich so etwas noch nie in meinem Leben getan. 

Meine Augen suchten Halt. Sie musterten meine Nase, meine Wangen, mein Kinn und blieben schlussendlich an meinen Augen hängen. Meine Augen. Ich liebe meine Augen. Sie hatten eine angenehm grüne Ausstrahlung. Sogar jetzt nach dem vielen weinen. 

Ich zuckte zusammen. Jemand klopfte gegen die Tür. Ich spritzte mir noch etwas Wasser ins Gesicht und drehte den Wasserhahn zu. Mit dem gelb orangene Handtuch wischte ich mir übers Gesicht. Erneutes Klopfen. Ich bekam ein heißeres "Was gibt's?" raus. Draußen war nichts zu hören. Ich lief zur Tür und schloss auf. Das Metall des Schlüssels kam mir unbekannt kalt vor. Als ich die Türe öffnete sah ich wie meine Mutter mir in meine Augen sah. 

"Ist alles okay mit dir?" Sie klang besorgt. Ich nickte und eine Strähne meiner braunblonden Haare flog mir ins Gesicht. Ich strich sie zur Seite und hielt noch einen Moment lang dem Blick meiner Mutter stand. Dann lief ich weiter, den Flur entlang bis in mein Zimmer. Kurz erhaschte ich einen Blick in Nathis Zimmer, das noch immer menschenleer war. Als ich zurück in mein Zimmer kam war das Gefühl der Traurigkeit verflogen. Viel mehr verspürte ich Wut und Enttäuschung. Ich war enttäuscht von meiner Mutter. 

Langsam lief ich ans Bett in dem Nathi immer noch seelenruhig schlief. Vorsichtig setzte ich mich an die Bettkante und atmete mehrmals tief durch. Es war beruhigend zu sehen, dass sie nicht durch Albträume geplagt wird. Ihre braunen Haare lagen wirr auf dem Kopfkissen und sie hatte immer noch das Oberteil an, das sie gestern Abend trug als sie in mein Zimmer kam. Ein hellblaues T-shirt mit einer kleinen Brusttasche. Ich mochte es, weil ich es damals gerne getragen hatte. Mein Dad hat es damals von einer Geschäftsreise aus Tai Wan mitgebracht. Nathi drehte sich einmal, schlief jedoch weiter. Durch die róse farbigen Gardienen fiel ein angenehmes Licht herein. Ich stand auf und lief runter in die Küchen um frühstück zu machen. 

Papa laß wie jeden Morgen seine Zeitung und grüßte mich wie jeden Morgen mit einem freundlichen "Guten Morgen Haley. Gut geschlafen?" Ich liebe meinen Vater, denn er war immer für mich da und ich konnte mit ihm über fast alles reden. Selbst wenn er monatelang auf Geschäftsreisen war telefonierten wir jeden Abend über Skype. Wenn ich Probleme hatte konnte ich mit ihm immer über alles reden. 

"Guten Morgen Papa. Möchtest du auch einen Kaffee?" fragte ich. "Nein danke, ich muss gleich los zu Daimon. Er hat Probleme mit seinem Computer."... Wie untypisch. Er trinkt normalerweise jeden Morgen einen Kaffee. Ich ließ mir einen raus und setzte mich zu meinem Vater. Ich hielt es für eine bessere Idee ihn nicht auf Mama an zu sprechen. Schweigend trank ich meinen Kaffee leer und stellte die leere Tasse in die Küche. Ich ließ noch einen raus und lief zurück in mein Zimmer. 

"Nathi." ich rüttelte etwas an ihr. "Nathi! Es ist schon 9 Uhr. Du schläfst nie so lange" erneut rüttelte ich etwas an ihr. Langsam reckte sie sich und rieb sich in den Augen. Als sie nicht Mama sondern mich sah lächelte sie verschlafen. "Guten Morgen Nathi. Ich hab Kaffee gemacht." Sie bedankte sich und setzte sich auf um die Tasse zu nehmen. Normalerweise gibt es sowas nicht, dass ich sie wecke und dann auch noch mit Kaffee in der Hand. Aber ich glaube gerade ist es wichtig sich von den Problemen ab zu lenken, die derzeitig bei uns herrschen. 

"Ist Mama schon weg?" fragte Nathi ohne mir in die Augen zu schauen. Ich wusste dass Mama nicht weg war aber sagte nichts und beließ es bei einem Schweigen. Nathi starrte in ihre Tasse und wartete vermutlich keine Antwort mehr ab. Um uns auf andere Themen zu bringen fragte ich " Was hast du heute vor? Wir könnten ins Kino gehen, oder in die Stadt." 
"Nein, ich möchte heute nirgends hin. Ich möchte daheim bleiben." Damit hatte ich nicht gerechnet. Normalerweise bin ich diejenige die daheim bleiben möchte. Schlussendlich konnte ich sie jedoch überreden wenigstens einen kleinen Spaziergang zu machen.

Von unten höre ich, dass Papa mich ruft. Ich sage Nathi ich sei gleich wieder da, sie soll sich schon mal fertig machen und lief runter. Papa saß immer noch da und sagte ich solle heute mit Nathi in die Bibliothek fahren und ein paar Bücher ausleihen, da er heute keine Zeit mehr habe. Er wird uns noch etwas Geld mitgeben, dass wir noch Eis essen gehen können und uns einen schönen Nachmittag machen können. Doch ich wusste es besser. Es wird die Zeit sein in der Mama ihre Sachen packen wird. 


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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 06, 2018 ⏰

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