Nach der vierten Stunde ist es endlich Zeit für unsere Mittagspause. Kaum hat die Glocke zum Unterrichtsende geläutet, springt Hayley schon von ihrem Sitz und verlässt in schnellem Tempo das Klassenzimmer. Sie hat kaum den Raum vollständig verlassen, als schon lautes Gerede den gesamten Raum erfüllt.
„Oh mein Gott, hast du sie gesehen? Warum traut sie sich überhaupt noch, in die Schule zu kommen?"
„Wow, an ihrer Stelle hätte ich die Schule gewechselt."
„Die traut sich was. Ich kann sich jetzt schon nicht leiden."
„Diese blöde Kuh braucht nach der Mittagspause gar nicht mehr aufzukreuzen. Ich mach sie fertig.", lauten ein paar der Aussagen, die ich im ganzen Chaos verstehen kann. Ich habe keine Ahnung, was dieses Mädchen angerichtet hat, aber es scheint niemandem zu gefallen. Egal, es hat nichts mit mir zu tun. Mein grummelnder Magen erinnert mich an mein fehlendes Mittagessen, das jetzt gemütlich auf dem Küchentisch liegt und mich auslacht. So ein Mist.
Ich entscheide mich trotzdem dafür, die Mittagspause am Pausenhof zu verbringen, da das in der Klasse herrschende Chaos immer lauter zu werden scheint. Als ich aus der Schule trete, verweht mir ein starker Windstoß die Haare und verteilt sie mir großzügig auf mein Gesicht. Wow. Klasse. Wie konnte ich nur behaupten, dass ich nichts zu essen dabei hätte? Meine Haare sind doch mehr als nur schmackhaft. Leicht genervt streiche ich sie mir aus dem Gesicht und gehe meinen Weg zu unserem Stammtisch. Der Pausenhof ist voll von Schülern und deren Gerede, ich habe jedoch das Gefühl, dass heute mehr los ist als sonst.
Danny, Michael und ich sitzen hier schon seit ich begonnen habe, diese Schule zu besuchen. Es dauerte nicht lange, bis alle begriffen hatten, wer die kleine Schwester des großen Danny Dawson war. Mein Bruder hat einen großen Ruf in der Schule. Sein Freundeskreis ist größer als die Menge seiner Gehirnzellen, deshalb vergisst er auch so gut wie jeden fünften Namen. Es kommt sogar vor, dass er von Menschen gegrüßt wird, die er noch nie in seinem Leben gesehen hat. Das behauptet er jedenfalls, aber wie schon vorhing gesagt – er ist leicht vergesslich.
Jedenfalls haben alle schnell bemerkt, dass ich nicht wie mein Bruder bin. Ich will und brauche meine Ruhe. Ich habe zwar nicht gerade viele Freunde, zugegeben, aber dafür geht mir niemand auf die Nerven. Und die Leute scheinen damit klar zu kommen, da sich noch nie jemand darüber beklagt hat. Michael hingegen scheint eine perfekte Mixtur aus uns beiden zu sein. Er ist freundlich...zwar auf deine Art und Weise, die meiner etwas gleicht, aber er ist dennoch hilfsbereit. Er bietet jedem eine Chance und wenn ihn jemand enttäuscht, lässt er diejenige Person fallen. Laut ihm braucht er keine Menschen, die ihn enttäuschen – das schafft seine Familie schon genug. Was seine Familie betrifft, ist das eine sehr schwierige und ernste Geschichte...
Ich werfe einen Blick auf unseren Tisch und bemerke Michael, wie er seinen Kopf auf seine überkreuzten Arme gelegt und sich nach vorne auf den Tisch gelehnt hat. Seine dunklen Haare wehen im Wind hin und her und ich kann mich einfach nicht kontrollieren. Mit langsamen Schritten nähere ich mich dem Tisch, die rechte Hand vor mir ausgestreckt. Als ich neben ihm stehen bleibe, lege ich meine Hand auf seinem Kopf und wuschele ihm einmal durch die Haare. Sie sind so unglaublich weich... Er hebt langsam seinen Kopf, bis er den Angreifer mit seinem stechenden Blick bestrafen kann.
„Du bist es..", murmelt er und lässt den Kopf wieder sinken. Ich fahre ihm noch ein paar Mal durch die flauschigen Haare und seufze zufrieden, als ich mein Kunstwerk vollbracht habe und mich ihm gegenüber hinsetze. Er sieht aus, als hätte er drei Tage lang durchgeschlafen. Und glaubt es mir oder auch nicht, aber dieser Look steht ihm am besten. Es gibt ihm was von einem Teddybären. Ich schaue lächelnd in den Himmel und lasse die Sonne auf mein Gesicht scheinen. Es ist kühl draußen, der Herbst kündigt sich schon an und die Blätter verändern schon langsam ihre Farben. Endlich.
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Close to you
Teen FictionDie 16-jährige Mary, ihr Bruder Danny und sein bester Freund Mike sind unzertrennlich. Seit dem Tag an dem sie Mike getroffen hat, hat Mary ihn ins Herz geschlossen und sieht ihn schon als Teil ihrer Familie. Im Laufe der Zeit haben sie sich jedoch...