5. Troja

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Da stand er nun. Vor den Toren des Palastes, in dem Ganymed angeblich geboren wurde. 

In genau diesem Moment standen hinter diesen schweren eisernen Toren die Menschen, die er nicht mehr gesehen hatte, seit er ein Säugling war.

Seine Eltern.

Bei diesem Wort dachte er nicht an König Tros und seiner Frau Kallirhoe, diese Menschen waren immerhin Fremde für ihn. 

Wenn er an das Wort 'Eltern' dachte, dachte er an das herzige, runde Gesicht der Frau, die ihn aufgezogen hatte. Er dachte an ihre warme Art und daran, dass sie ihn immer behandelt hatte, wie einen Sohn. Ganymed dachte auch an seinen Vater, den brummigen und bärenartigen und doch sanftmütigen Mann, immer fleißig und geschäftig.

Der Sohn des Königs von Troja zu sein schien Ganymed keine besonders große Ehre zu sein, eher eine lästige Tatsache.

Nachdem Zeus ihm eröffnet hatte, er müsse nach Troja, damit seine Eltern ihn ein letztes Mal sehen konnten, hatte Ganymed ihn zunächst überreden wollen, es sein zu lassen. Es behagte ihm nicht, in eine Stadt zu gehen, die er nicht kannte, unter Menschen, die er ebenfalls nicht kannte. Völlig allein gelassen fühlte sich der arme Junge, denn Zeus hatte ihn, nachdem er ihn in seiner Adlergestalt wieder auf die Erde gebracht hatte, vor den Toren der Stadt zurückgelassen. 

Es war schon sehr seltsam, wie unaufmerksam Menschen manchmal sein konnten, den gewaltigen Adler, der einen Menschen mühelos hinabtrug, hatten sie jedenfalls nicht bemerkt.

Ganymed war noch nie in einer größeren Stadt gewesen. Es war teilweise fast schon beängstigend. An jeder Ecke wurde geschrien und Lärm gemacht. 

Schreiende Marktleute, feilschende Kunden, sich unterhaltende Menschen, spielende Kinder... So viele Eindrücke um ihn herum, Ganymed beeilte sich, den Palast schnell zu erreichen und den Lärm und die verwunderten Blicke der Leute hinter sich zu lassen. Hätte er zumindest ein wenig so ausgesehen, wie die Menschen, dann hätte sich der Junge nicht so unwohl gefühlt. Er trug andere Kleidung und war ohnehin sehr auffallend und ein Fremder in der Stadt. Neugierige Blicke ließen sich da nicht vermeiden. 

Den Grund, wieso Ganymed nach Troja kommen musste, hatte er inzwischen erfahren, doch ganz verstanden hatte er ihn nicht.

Zeus hatte ihm gesagt, dass er ihn kurz nach seiner Geburt von seinen wahren Eltern fort geholt und zu dem Hirtenehepaar in die Einsamkeit der Berge gebracht hatte. Als Ganymed ihn gefragt hatte, wieso, hatte der Gott nur laut gelacht und ihn auf sein Aussehen hingewiesen.

Ganymed wusste zwar, dass er für einen Menschen verblüffend schön war, denn das hatten alle Menschen in seiner Umgebung bei jeder Gelegenheit festgestellt, seit er klein war, doch er wunderte sich, immerhin konnte man einem Säugling nicht angesehen, wie er später einmal aussehen würde.

Mehr hatte er von Zeus nicht erfahren können, da hatte er es aufgegeben.

Ganymed seufzte. Er musste es jetzt hinter sich bringen, er würde ja am nächsten Tag wieder auf den Olymp zurückkehren. Er vermisste Zeus...

Er tat einige Schritte auf die Wachen zu, die ihn misstrauisch beäugten. Man konnte fast schon in ihren Gesichtern lesen, was sie dachten. Was hatte dieser halbstarke junge Mann hier vor dem Palast zu suchen.

Mit sehr sicherer Haltung stand Ganymed da.

„Was willst du, Junge?“, fragte nun eine der Wachen gelangweilt und machte sich noch nicht einmal die Mühe, seine locker gegen die Schulter gelehnte Lanze in eine beeindruckendere Position zu bringen.

„Der König erwartet mich“, erwiderte Ganymed, wusste aber gleich, dass er sich schon etwas Besseres ausdenken musste.

Doch im nächsten Moment schon, hatte sich das erledigt. Gerade wollten die Wachen dazu ansetzen, den irrsinnig lustigen Jungen grölend auszulachen, da begannen sich die Tore zu öffnen. Heraus kam ein Mann um die dreißig Jahre, gekleidet in einen dunklen Umhang der viel zu warm schien, für die brennende Sonne der Wüste.

Ganymed und die GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt