Kapitel II - Ashley (Teil 2)

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Es dauert verhältnismäßig lange, bis ich Gracie davon überzeuge, dass sie in ihrem Bett sicher schlafen kann. Die Tatsache, dass wir uns das kleinste Zimmer des Hauses teilen und unser Vater erst an mir vorbei muss, um zu ihr zu gelangen, hilft dabei ungemein. Irgendwann schließt sie die Augen und ich versuche, es ihr gleichzutun, aber viel Schlaf ist mir nicht vergönnt.

Mein Wecker klingelt um fünf, also exakt fünf Stunden später. Sonst ist Gracie schneller müde, aber am Morgen hat sie verschlafen und das bringt ihren Schlafrhythmus durcheinander. Wenn sie nicht schläft, schlafe ich nicht, so einfach ist es. Ganz egal, wann ich wieder raus muss.

Ich bin es gewohnt. Es beginnt kaum ein Tag ohne den schrillen Piepton, der das ganze Haus aus den Federn holt. Darauf folgt meistens ein Fluchen, bis ich ihn ausschalte und das Haus wieder in den Tiefschlaf fällt, während ich versuche, mir unter der Dusche die Müdigkeit abzuwaschen. Ich brauche das Geld, auch wenn es mich um meinen Nachtschlaf bringt.

Am nächsten Morgen schlurfe ich wie ein Zombie durch die verlassenen Flure, gönne mir eine schnelle Dusche, bevor ich von meinem Vater dafür zur Rechenschaft gezogen werde, dass ich das Bad blockiere, und mache mir einen Kaffee. Spätestens jetzt weiß mein Körper über den folgenden anstrengenden Arbeitstag Bescheid und hat sich mit den Aussichten arrangiert.

Nach einer ruhigen Tasse Kaffee werfe ich einen Blick auf meinen Terminplan und muss unweigerlich stöhnen. Wenn ich bis um neun die Zeitungen ausgetragen habe, muss ich sofort ohne Pause zurück, um Gracie ihr Frühstück zu machen, und dann ist da noch dieser riesige Auftrag der Familie Livingston. Das heißt für mich direkt weiter zu meinem nächsten Job, Buffet aufbauen und den ganzen Abend die Kellnerin für die überprivilegierten Gäste spielen, die in ihrem ganzen Leben noch nie etwas anderes getan haben, als das Geld ihrer Eltern auszugeben.

Es gibt sicherlich entspanntere und besser bezahlte Jobs in der Innenstadt, aber ich nehme, was ich kriegen kann. Für einen Kellnerjob bekomme ich für diesen Abend eine ganze Stange Geld. Geld, das ich brauche, damit meine Schwester und ich hier rauskommen. Um diese Hoffnung weiterhin zu hegen, obwohl ich weiß, dass es Jahre dauern wird, bis ich genug zusammengespart habe, um uns eine kleine Wohnung anzumieten und über die Runden zu kommen. Und dann brauche ich natürlich noch einen festen Job.

Also gut, sage ich mir und stehe langsam auf. Die To-do-Liste falte ich zweimal und stecke sie in die Hosentasche. Danach breche ich auf und rufe mir ins Gedächtnis, dass ich den ganzen Tag nicht zu Hause sein werde. Ein Lichtblick! Niemand, der mich herumschubsen kann. Wenn es schon mein Vater nicht schafft, mir mit einem Hauch von Respekt gegenüberzutreten, dann tut es doch zumindest mein Vorgesetzter.

Er begrüßt mich freundlich, klingt dabei aber mindestens genauso verschlafen, wie ich mich fühle. Die Kaffeetasse in seiner Hand hat er bestimmt nicht zum ersten Mal an diesem Tag aufgefüllt. Ich kann es ihm nicht verdenken. Wenn ich die Zeit hätte, würde ich mich auch mit literweise Kaffee auf den Tag vorbereiten.

»Hey, Dean«, erwidere ich seine Begrüßung und zwinge mich zu einem Lächeln. Erst wenn ich die Redaktion verlassen habe, darf ich wieder zeigen, wie sehr mich das alles mitnimmt. Wüsste Dean, der sowohl Chef als auch guter Freund ist, wie viel ich arbeite, würde er mir wahrscheinlich kündigen. Nicht, weil ich keine gute Arbeit leiste, sondern aus dem einfachen Grund, dass er Schlaf für wichtiger erachtet als ich. Also darf er es nicht wissen. So einfach ist das.

Dean ist nur ein Jahr älter als ich, also erst zwanzig, und in der Schule haben wir ein gutes Verhältnis zueinander gepflegt. Nach seinem Abschluss hat er hier angefangen und mittlerweile ist er einer der Ersten jeden Morgen. Er ist immer da, wenn ich komme, um die Zeitungen abzuholen, und ich danke ihm dafür, dass er aus Solidarität immer so früh aufsteht. Nur damit ich nicht ganz allein bin. Es rührt mich jeden Tag.

»So früh am Morgen schon so gut gelaunt, Ash?«, fragt er mich und hebt eine Braue. Es wundert mich nicht, dass er mir nicht glaubt, aber er muss auch nicht wissen, dass ich vielleicht drei Stunden geschlafen habe.

»Was muss, das muss«, erwidere ich leichthin und zucke mit den Schultern. Wir setzen unseren Small-Talk noch fünf Minuten fort. Für richtige Gespräche sind wir einfach zu müde. Diese werden auf später verschoben. Dann schnappe ich mir die Bündel mit den druckfrischen Zeitungen und verlade sie routiniert auf den Anhänger von meinem Rad. In bester Zeitungsausträger-Manier springe ich auf und mache mich an die Arbeit, sie zu verteilen.

Das ist der leichte Part meines Tages.

Alles, was daraufhin folgt, wird mich mehr Kraft kosten.

Aber das ist in Ordnung.

Ich kenne es nicht anders. Ich spiele meine Rolle, habe sie verinnerlicht.

Ein anderes Leben gibt es für mich nicht.


ENDE DER LESEPROBE

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 10, 2017 ⏰

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