Kapitel II - Ashley (Teil 1)

27 2 0
                                    

»Ashley!«, brüllt mein Vater durch das ganze Haus. Kurz darauf höre ich, wie die Tür ins Schloss fällt. Er ist gerade nach Hause gekommen und schon fällt ihm etwas ein, um mir das Leben schwer zu machen. Ich wundere mich nicht darüber. Er tut doch nichts anderes, als sich neue Wege einfallen zu lassen, um mir immer wieder etwas reinzuwürgen.

Ich richte mich vom Boden auf, wo ich gerade die letzten hartnäckigen Dreckklumpen entfernt habe, die meine Geschwister großzügigerweise nach dem Fußball reingebracht und festgetreten haben.

»Was denn?«, rufe ich und versuche, dabei möglichst ruhig und gefasst zu klingen, obwohl ich alles andere als das fühle. Nein, momentan gleiche ich mehr einem Nervenbündel, aber was anderes ist nach so vielen Stunden Arbeit, wie ich sie gerade hinter mir habe, auch kein Wunder. Und das an meinem einzigen freien Tag in dieser Woche, mal abgesehen vom Wochenende.

»Hast du Bier gekauft?«, bekomme ich zurück und verziehe auf der Stelle mein Gesicht. Ist ja klar, dass ihn das am meisten interessiert.

»Nein!«

»Wieso nicht?«

Jetzt klingt er eine Spur wütender und ich wappne mich mental für die Standpauke, die mir bevorsteht.

»Weil du mir kein Geld dagelassen hast!«, brülle ich nun zurück und werfe meinen schmutzigen Putzlappen in den Eimer, in dem sich das Wasser bereits graubraun verfärbt hat. Warm ist es inzwischen auch schon nicht mehr, aber wenn ich jedes Mal das Wasser wechseln würde, wenn es schmutzig oder kalt ist, dann wären unsere Ausgaben ja noch höher.

Mein Vater lacht auf, doch es ist ein grunzendes, betrunkenes Lachen und ich muss mir ins Gedächtnis rufen, dass ich hier bin, um meine kleine Schwester vor dem Rest unserer Familie zu schützen. Damit es ihr nicht irgendwann genauso ergeht. Selbst wenn ich dafür wie eine Sklavin herumgeschubst werde und zwischen Arbeit und Haushalt kaum noch Zeit zum Schlafen finde.

»Geld?! Das ist es also? Du hast doch Geld! Hättest du es damit gekauft!«, knurrt er und ich kann die Wut in seiner Stimme hören. Früher habe ich Angst vor diesem Knurren gehabt, aber mittlerweile bin ich stärker, mutiger und robuster als zuvor. Er macht mir keine Angst mehr!

»Ich bin noch nicht einundzwanzig. Theoretisch darf ich noch gar keinen Alkohol kaufen! Außerdem spare ich mein Geld!«, erwidere ich und mache mich darauf gefasst, dass er gleich durch die Tür ins Wohnzimmer kommt. Als Erstes schaut er immer in den Kühlschrank, danach zieht er seine Jacke aus und hängt sie an die Garderobe. Danach würdigt er seine Tochter - wenn überhaupt – mit einem Blick.

Dass ich zu jung dafür bin, um ihm sein geliebtes Bier zu besorgen, ignoriert er. Mehrfach habe ich den Verkäufern bereits weismachen können, über einundzwanzig zu sein.

»Sparen? Wofür?«

Er weiß ganz genau, dass ich es seit Jahren beiseitelege, damit ich irgendwann, wenn ich genug zusammenhabe, hier rauskomme. Aus ihrem Haus, aus dieser Familie, aus diesem Leben, das schon lange keins mehr ist.

»Jedenfalls nicht für dein Bier!«, schreie ich ihm entgegen, genau in dem Moment, in dem sich die Tür zum Wohnzimmer öffnet, und ich spiele mit dem Gedanken, ihm meinen nassen Putzlappen entgegenzuwerfen. »Es reicht, dass ich schon die ganzen Lebensmittel selbst zahle!«

»Ich zahle die Miete, junge Dame! Damit ihr ein Dach über dem Kopf habt!«, pfeffert er mir entgegen und ballt die Hände zu Fäusten. Er liebt diese Masche und hasst es, wenn wir Kinder ihm nicht den Respekt entgegenbringen, den er in seinen Augen verdient hat.

»Damit wir auch nicht nassgeregnet werden, wenn wir verhungern, weil du kein Geld für Lebensmittel außer für dein Bier ausgibst?«, setze ich ihm entgegen und stemme die Hände in die Taille. Eigentlich habe ich keine Lust auf diese ewige Diskussion, aber ich lasse mir den Mund nicht verbieten.

»Jetzt komm mir nicht so!«

»Es ist aber so!«

»Ist es nicht!«

»Ist es doch!«

Von unserem Geschrei werden auch die anderen hellhörig. Während die Jungs es aber nicht weiter stört, was hier vor sich geht, steckt nur die kleine Gracie ihren brünetten Strubbelkopf durch die Tür. Ihre braunen Kulleraugen sehen mich voller kindlichem Mitleid an. Ich weiß, dass sie mir insgeheim zu Hilfe kommen will, sich aber nicht traut, diesem Schrank von Mann, der unser Vater ist, gegenüberzutreten. Als ich sieben war, ist es mir genauso ergangen.

Ich nicke ihr zu, signalisiere ihr, dass alles in Ordnung ist, und zwinkere einmal. Es ist unser Zeichen. Wir Mädchen passen aufeinander auf. Irgendwie müssen wir uns ja behaupten. Nur so und nicht anders können wir in diesem Männerhaushalt bestehen.

Gracie überwindet ihre Angst und huscht durch die Tür zu mir, wo sie sich hinter mir versteckt und Vater kaum anschaut.

»Gott, das ist deine Tochter und sie hat Angst vor dir! Gibt dir das nicht zu denken?«, fahre ich den Mann an, der mein Vater sein soll, aber sich noch nie so verhalten hat. Er hat seine Söhne schon immer lieber gemocht. In seinen Augen sind wir doch nur fürs Essen, den Einkauf und den Haushalt zuständig. Wenn es nach ihm geht, dürfte ich noch nicht mal arbeiten und eigenes Geld verdienen. Aber täte ich es nicht, würden wir tatsächlich verhungern.

»Was kann ich dafür, dass sie so eine Memme ist?«, schnauzt er mich an. Ich behaupte mich, aber das gefällt ihm gar nicht. Wäre das hier ein Comic, müsste jeden Augenblick Dampf aus seinen bebenden Nasenflügeln kommen, was dem Ganzen wenigstens eine humorvolle Note verleihen würde.

»Sie ist sieben! Hast du eigentlich kein Herz? Gracie, wir gehen!« Die letzten Worte richte ich direkt an meine Schwester, also klingen sie ruhiger als die harten, unnachgiebigen Worte gegen meinen Vater. Gracie krallt ihre kleinen Finger am Stoff meiner alten, zerrissenen Jeans fest und ich spüre, wie sie sich weigert loszulassen. Ich kann sie sehr gut verstehen und seufze. »Ach, Gracie.« Damit drehe ich mich zu ihr um und hebe das kleine Mädchen auf meine Arme. Sie nimmt zu wenig zu sich, weswegen sie federleicht ist. Ich kann sie problemlos hochnehmen. Ohne meinen Vater eines weiteren Blickes zu würdigen, verlasse ich den Raum. Soll er den Dreck seiner Lieblinge doch selbst wegputzen. Ich bin schließlich nicht seine Sklavin.

Cinderellas PrinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt