Nachmittags- und der Tag vergeht langsamer als eine Schnecke.

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-Charlotte-

Meine Augen fühlten sich geschwollen an. Klar, das waren sie ja auch. Es verging selten, ja fast gar nicht, ein Tag, an dem ich nicht weinte. Es war anstrengend, dauernd zu weinen. Man bekam Kopfschmerzen, war dauernd Traurig.

Ich atmete tief ein und aus. Ich öffnete die Schublade von der Kommode, wo wir Wattestäbchen, Wattepads, Duschgel, Shampoo und, und, und aufbewahrten. Ich sah in die erste Schublade. Nein, da waren sie nicht. Zweite Schublade. Auch nicht. In der dritten? Mein Kopf hämmerte. In der dritten lagen sie! Rasierer. Ich griff nach meinem. Ich betrachtete ihn ganz genau, als hätte ich noch nie vorher einen Rasierer gesehen. Irgendwie musste ich die Klingen da raus kriegen... ich machte das vordere Stück ab und versuchte diese verdammten Klingen da raus zu bekommen. Aber es funktionierte nicht. Ich versuchte es mit Tränen in den Augen. Ich musste sie da raus bekommen! Ich musste einfach.

"Autsch!", rief ich. Ich sah wie hypnotisiert auf meinen Zeigefinger. Ein Tiefer Schnitt zog sich über die Fingerkuppe. Dunkelrotes Blut, es war warm, lief über meinen Finger und tropfte auf die weißen Fliesen. Ich steckte ihn blitzschnell in den Mund. Das Gefühl, einen blutenden Finger im Mund zu haben, war echt ekelhaft. Das.Blut schmeckte metallisch. Dann ließ ich kaltes Wasser aus dem Wasserhahn über den Verletzten Finger laufen. Der Finger pochte. Während der Finger abkühlte, suchte ich in der zweiten Schublade nach einem Pflaster. Als ich das passende gefunden hatte, tupfte ich den Finger vorsichtig trocken. Ich verzog das Gesicht, das tat echt weh.

Als der Finger verarztet war, schlich ich in mein Zimmer. Dann lief ich zum Schreibtisch. Ich durchwühlte alle Becher und Dosen. "Ja!" Ich hielt triumphierend einen kleinen Anspitzer aus Holz in die Luft. Dann ging ich zurück ins Bad. Ich drehte den Schlüssel langsam herum. Klack!, die Tür war abgeschlossen. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Am Waschbecken lag eine Nagelschere. Mit ihr drehte ich die kleine Schraube vom Anspitzer auf, um die kleine Klinge raus zu holen.  Die Schraube war raus! Ich schüttelte die Klinge aus dem Anspitzer. Ich ließ sie auf meine Handfläche gleiten. Ich musste sie Abwaschen! Da klebten noch Buntstiftreste dran! Dann hielt ich sie unter laufendes Wasser und gab etwas Seife drauf. Langsam, aber sicher wurde sie sauber. Ich trocknete sie ab. Ganz vorsichtig, damit nichts abbrach.

Sollte ich es wirklich tun?...

-Helene-

Was war blos mit ihr los? So ging das schon seit Wochen. Und seit Wochen sprach sie nur wenn's wirklich nötig war mit mir. Selbst unseem Klessenlehrer Herrn Scharfmacher, JA, er heißt wirklich so!,  war das aufgefallen. Er wollte mit uns eines seiner bekannten "Schwätzchen" halten. Aber ich hatte dankend abgelehnt und gesagt, dass es Charlotte einfach momentan nicht so gut ging.

Ich packte meine Tasche. Seit unserem fünften Lebensjahr tanzten Charlotte und ich Ballett. Heute, am Samstag, war der Tanzsaal immer für die Tänzer frei, die üben möchten. Ich war in einer halben Stunde mit Adda, meiner allerbesten Freundin, in der Ballettschule verabredet. Ich packte  meine Spitzenschuhe, meine normalen Ballettschlappen, Haarbürste, Haarnadeln- und Gummis, ein Duttkissen, eine Haarbürste, eine Flasche Wasser, mein neues Deo in der Sorte fruchtig exotisch mit  24 Stunden Frischegefühl und mein Balletttrikot. Der Body aus glänzendem Stoff war in einem knalligen Türkis. Und das Wickelröckchen war Schwarz gehalten. Ich ging die Treppe ein paar Stufen runter. Ich könnte doch Charlotte fragen, ob sie mit will. Ich drehte noch mal um und klopfte an ihrer Zimmertür. Als keine Reaktion kam, klopfte ich noch mal und drückte dann die Türklinke runter. Huch, sie war ja gar nicht da! Dann war sie im Bad! Ich klopfte also da. "Was?", rief meine Schwester genervt. "Ähm.." ich war total eingeschüchtert!, "möchtest du mitkommen? Adda und ich gehen zum Ballett." 

"Nein", kam es gedämpft durch die Badeimmertür bei mir an. Ich zögerte. "Sicher? Adda ist auch dabei! Sie würde sich sicher freuen. Also nein, nicht sicher, sie würde sich freuen!" Ich vernahm ein leises gluckern. Das tat sie sonst immer, wenn sie ein Lachen unterdrückte. Dann war es still. "Charlotte?" Stille. "Nein. Geh." Meine Schultern sanken in sich zusammen. Hätte ich mir ja denken können. Ich drehte mich um und ging zur Treppe. Ich sah noch einmal zur Badezimmertür. Hinter dieser Tür saß Charlotte. Allein. Meine Schwester. Die zweite Hälfte meines Herzens. Mein Zwilling. Mein ein und alles.

-Charlotte-

Nein. Nein, ich lass es. Ich könnte es nicht. Oder doch? Scheiße, verdammt! Ich wickelte die kleine Klinge in etwas Toilettenpapier und versteckte das kleine Päckchen in einer Schublade, wo meine Pflegepröbchen aus einer Parfümerie lagerten und warteten, von mir benutzt zu werden. Ich knallte die kleine Schublade zu. Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Aber nicht nur außen, auch innen. Ungelogen. Die Worte schwirrten wieder in meinem Kopf. Es trieb mir die Tränen in die Augen. Mal wieder.

Es klopfte. Ich wollte allein sein! "Was?" 

"Ähm.." Pause. Ich schloss genervt die Augen und ließ mich an der Tür auf den Boden sinken. "Möchtest du mitkommen? Adda und ich gehen zum Ballett." Das auch noch! Ballett. Es machte mir Spaß. Sehr viel sogar. Aber ich konnte diesen Blicken von Helene nicht merh standhalten. Sie machten mich fertig. "Nein."

"Sicher? Adda ist auch dabei! Sie würde sich sicher freuen. Also nein, nicht sicher, sie würde sich freuen!" Ich unterdrückte ein Lachen. Helene war manchmal einfach so tollpatschig! Ich musste mich zusammenreißen, durfte nicht nachgeben. "Charlotte?", fragte Helene leise. "Nein. Geh." Ich hörte wie sich kleine Schritte von der Tür entfernten. Helene. Die zweite Hälfe meines Herzens. Mein ein und alles.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 19, 2014 ⏰

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