Escape

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Ich laufe die Straße an der Küste entlang und frage mich, wo ich überhaupt hin will. Ich habe einfach nur das Haus verlassen, ohne mir Gedanken darüber zu machen, wie es danach weiter geht. Glücklicherweise ist heute Sonntag, was zum Wochenende zählt, weshalb ich 'erst' 0 Uhr wieder zurück muss.

Automatisch hole ich mein Handy aus der Tasche, um Jake anzurufen. Er ist letzendlich immer mein Fels in der Brandung, Als ich auf den Bildschirm gucke, sehe ich, dass ich zwei verpasste Anrufe habe. Einen von mum und einen von dad.  Sie wollen wahrscheinlich nur kontrollieren, ob ich auch brav in den Knast gehe, in den sie mich schicken. Ehrlich gesagt ist es mir mittlerweile deutlich lieber, wenn meine Eltern nicht in der Stadt sind. So gehen sie mir wenigstens nicht auf die Nerven und ich kann ihre Anrufe in Ruhe ignorieren, wie ich es jetzt auch tue. Also wähle ich Jakes Nummer und bete, dass er den Anruf entgegennimmt.

"Hey Lex!" höre ich die Stimme meines besten Freundes durch mein Handy. Erleichtert atme ich auf.  "Wie ist es so?" Stellt er mir sofort die Frage, die ich nicht beantworten will.

"Wie soll es schon sein?" sage ich deshalb nur. 

"Du klingst niedergeschlagen"

"Ich muss jeden Abend 22 Uhr da antanzen. Am Wochenende darf ich aufgrund ihrer unendlichen Großzügigkeit sogar bis Mitternacht weg bleiben. Das ist wie im Knast."

"Da hast du ja Glück, dass du am Wochenende zu Hause schläfst" Ich kann sein Grinsen schon fast durch das Telefon hören. Er meint es nur gut und will mich aufheitern. Allerdings klappt das nicht so wirklich.

"Können wir uns sehen?" frage ich und hasse es, dass meine Stimme so unsicher klingt. Auch wenn ich es mir nur ungern eingestehe, ich habe einen schwachen Moment und brauche jemanden, der mich aus meinem Loch zieht, sonst wird es mich verschlucken.

"Natürlich." antwortet er zu meiner Erleichterung sofort.

Eine halbe Stunde Straßenbahnfahrt später sitze ich mit Jake in unserem Lieblings Bürgerladen und hole das Abendessen nach. Dabei heule ich mich bei ihm über mein ungerechtes Leben aus und er hört mir schweigend zu. Danach redet er mir wie immer gut zu, was mir zwar nicht wirklich weiterhilft, mich aber trotzdem irgendwie aufheitert. Egal wie unwohl ich mich dort fühlen werde, ich kann mir sicher sein, dass ich hier draußen noch mein altes, schönes Leben habe. 

"Ich muss wieder zurück." Sage ich nach einem kurzen Blick auf meine Uhr. Ich will nicht bereits am ersten Abend zu spät kommen, diesen Joker spare ich mir lieber auf.

"Ich bringe dich noch, es ist dunkel."

Jake war schon immer fürsorglich, wie ein großer Bruder.

Wir begeben uns also auf den Weg zurück in meinen persönlichen Alptraum. 

"Du liegst gut in der Zeit." teilt mir Jake mit. "Sehr vorbildlich."

Das ist auf der einen Seite gut, da ich nicht gleich am ersten Abend Ärger mache, auf der anderen Seite war es allerdings traurig, weil Jake und ich um diese Uhrzeit normalerweise eine Feier unsicher machen.

"Also dann." sage ich als wir das Haus erreichen. "Auf geht's zurück in die Hölle."

"Ich weiß, das ist nicht deine Art, aber versuch einfach keinen Stress zu machen und pass dich an. Dann wirst du das schon irgendwie überleben. Am Wochenende kommst du nach Hause und kannst dich erholen." Jake hat wieder seinen belehrenden Blick aufgesetzt und schaut mich intensiv an. Ich hasse es, wenn er das tut.

"Habe ich jemals keinen Stress gemacht und mich irgendwo angepasst, wo ich nicht hin wollte?" Frage ich ihn provokant.

"Probier es doch einfach mal aus."

"Hmmh.." mache ich nur weniger überzeugt

Jake umarmt mich kurz zum Abschied.

"Ruf mich an wenn du reden willst."

"Wird gemacht." Ich setzte ein leichtes lächeln auf und mache mich auf den Weg ins Haus.

"Du bist Pünktlich, gut" begrüßt mich Simon. "Morgen um 6 Training, nicht vergessen."

Ich antworte ihm nicht und mache mich auf den Weg nach oben. Hoffentlich würden die hier langsam merken, dass ich nicht an Konversationen interessiert bin und mich damit in Ruhe lassen.
Im ersten Stock führt ein Flur zu dem Zimmer der Mädchen und einer zum Zimmer der Jungen. Ich biege nach links zu den Mädchen ab. Über dieser Etage, im zweiten Stock, befinden sich die Zimmer von Simon, der auch hier wohnt.

Als ich meinen Raum betrete, schläft Abigail bereits mit einer Maske auf den Augen und Stöpseln in den Ohren, während Petra vor mit ihrem Laptop auf dem Schoss im Bett sitzt.

"Wo warst du noch?" fragt sie leise.

"Weg. Ich habe Freunde hier in der Stadt." antworte ich ihr ebenfalls leise. Ich will es nicht riskieren, Abigail aufzuwecken, da sie sich sonst am Ende auch noch mit mir unterhalten will.

Petra seufzt leicht. "Ich kenne hier niemanden. Ich hoffe, wir lernen uns alle bald kennen und werden richtig gute Freunde. Freust du dich auch so sehr auf die neue Schule?"

"Ich gehe jetzt duschen." antworte ich ihr nur, da ich kein Interesse daran habe, mich mit ihr zu unterhalten. Petra ist bestimmt sehr nett, allerdings will ich mich hier mit keinem anfreunden. Ich habe genug mehr oder weniger gute Freunde. 

Als ich nach dem Duschen wieder ins Zimmer komme, schläft sie ebenfalls.

Ich lege mich in mein Bett und versuche zu schlafen, erfolglos. Ich halte es hier nicht lange aus. Irgendwann haue ich ab, ich weiß nur noch nicht wann. Meine Eltern konnten mich noch nie zu etwas zwingen, das werden sie auch dieses Mal nicht schaffen. 





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