KAPITEL 1

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Hoch über den Wolken. Hoch am Himmel. Sehr hoch. Die Luft ist dünn hier oben, die mächtigen Wolken sehen aus wie kleine Schäfchen auf einer der vielen Farmen im Amerika der 60er Jahre. Klein und unschuldig von hier, so unbedeutend, aber so groß und mächtig von da unten. Obwohl sie doch nur aus Dampf bestehen und immer in weite Winde verfliegen könnten. Doch sie tun es nicht. Sie bleiben. Sie sind durch nichts aus ihrer Ruhe zu bringen. Sie ziehen weiterhin ihre Runden und stapfen über das feuchte Gras am Morgen. Doch manchmal kann man durch sie hindurchsehen..

»Wachen Sie endlich auf, Monsieur!«

Plötzlich schrie mich eine Frau beherrschend an.

»Ich habe gesagt, Sie sollen endlich aufstehen! Sie reden im Schlaf und außerdem sabbern sie auch noch auf ihre Jeans! Pah, was ein Pflegel Sie sind!«

»Ich bin ja schon wach, nur hören Sie bitte auf mich so anzuschreien!«, versuchte ich die ältere Dame, die unüberhörbar nicht Französin war, stammelnd zu beruhigen.

Abgesehen davon, dass ihre Vorwürfe natürlich nicht korrekt waren, trug sie einen beigen Mantel und einen Echtpelz Schal und sah relativ vermögend aus. Ich schätzte sie auf Mitte 50. Ich hätte noch eine unfreundliche Anmerkung aufgrund ihres Echtpelz Schals machen können, aber diesmal beließ ich es dabei. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie im Flugzeug neben mir saß. Anscheinend hatte sie sich erst während des Fluges neben mich gesetzt. Warum nur?

Ich war wieder da. Leider. Hinaus aus meinen Gedanken und der heilen Welt in meinem Kopf. Bereit, um mich wieder meinem Geschäft und den Problemen des Alltags zu stellen. Doch so ungewöhnlich geweckt zu werden, war selbst für mich nicht alltäglich. 

»Möchten Sie ein Getränk haben, Monsieur?«

»Gerne, einen Kaffee bitte. Mit Milch und Zucker.«

Während die überaus charmante Flugbegleiterin mir meinen Kaffee in den üblichen billigen Plastikbecher einschenkte, wurde mir langsam wieder wacher und klarer im Kopf. Meine Gedanken liefen wieder an und sortierten sich. Mir fiel plötzlich wieder ein, warum ich in diesem Sitz saß und vor allem auch, wozu!


Ich war auf dem Weg zu einem Tatort. Meinem Tatort.


Tatorte sind selbst für mich nach den mittlerweile über 15 Jahren, in denen ich schon als Kommissar tätig bin, immer noch ein abscheulicher und grauenerweckender Ort, an dem vor nicht allzu langer Zeit genauso schreckliche Dinge passiert sind. Das dachte ich zumindest. Ich öffnete also das Gepäckfach oberhalb meines schmalen Economy Class Sitzes und nahm meinen Laptop heraus. Ich begann die Akte zu studieren. In dem Bericht wurde vermerkt, dass am Abend des 24.06.2015 gegen 19.30 Uhr ein Anruf im Commissariat von Rennes einging. Der ältere Herr, Claude sein Name, beklagte sich darüber, dass die Jugendlichen im naheliegenden Wald ein illegales Feuer entzündet hätten. Michael Sauvage - ein ehemaliger Kollege von mir - fuhr schnellstmöglich zum Einsatz, um die Löscharbeiten zu begleiten. Das Feuer schien nicht enden zu wollen, die nach Sauerstoff ringenden Flammen hätten beinahe auf den Rest des Waldes übergegriffen, doch wie es sich herrausstelle, waren es keine Jugendlichen. Was jedoch selbst für uns überraschend war; wir hatten seit Jahren schon mehrere Fälle von illegalen Lagerfeuern und Brandstiftung untersucht - oft deuteten die Spuren dabei auf Jugendliche aus der Umgebung hin, die einfach nur unvorsichtig waren, wie Jugendliche nunmal sind. Nach Stunden anstregender und nervenaufreibender Löscharbeiten, konnten die lodernden roten Flammen endlich gelöscht werden und Michael inspizierte diesenTatort, auch wenn dies ihm noch nicht bewusst war. 

Die frisch angerückte Spurensicherung untersuchte zusammen mit Kollegen des Commissariat die Überreste einer alten Holzhütte, welche ehemals hier stand, bevor sie nun abbrannte. Ich ahnte jetzt schon, dass alleine die Frage nach dem Warum? und Wie? uns ziemlich lange beschäftigen würde. Es wurden rund 30 Beweisstücke sichergestellt. Die Interessantesten sind wohl ein abgetrennter Finger mit einem gelbgoldenen Ring, welcher vor der ehemaligen Eingangstür der Holzhütte lag, sowie ein angesengter schwarzer Hut, welcher unweit entfernt der Hütte gefunden werde konnte. Außerdem war da noch ein Zettel, fast komplett verbrannt, doch leider war das Foto zu schlecht oder der Zettel zu verbrannt, damit ich darauf noch etwas erkennen konnte.. Schließlich war ich auch nicht mehr der Jüngste.

Auf Anweisung der Crew machte ich mich bereit für die Landung und schloss meinen Gurt. Meine Sitznachbarin schlief, während sie auf ihren Mantel sabberte.

»Touché«, flüsterte ich leise, »touché«..

Das Flugzeug setzte zur Landung in Paris an.

Kommissar EnzoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt