Kapitel 2

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"Hey, wollen wir uns nach der Schule treffen!?"

Ein Junge mit dunkelbraunen Haaren und noch dunkleren Augen stand vor mir und sah mich breit grinsend an.
Seine riesige Zahnlücke wurde sichtbar. Fynn?

Ich schrak zusammen. 

Was war das!? Ich drehte meinen Kopf nach rechts und blickte in das leere Zimmer. Bis auf das Oval war nichts und niemand hier. Es war leer, so wie vorher auch. 

Annike schlief immer noch in ihrem Bett, es war keine Zeit vergangen. 

Alles war komplett still.

"Nein, ich kann heute nicht."

Ich zuckte stark zusammen und saß nun Kerzengerade auf dem Bett. 

"Och man, warum denn wieder nicht?", wollte Fynn wissen. 

Ich fasste mir an den Kopf. War ich jetzt komplett verrückt? Warum hörte ich diese Stimmen?

Es war ja nicht einfach irgendeine Stimme. Es war seine Stimme. Nur viel jünger.

Erneut schloss ich meine Augen. Da war es wieder.

Er sah mich enttäuscht an.
"Meine Mutter hat gesagt, dass ich Hausarrest hab.", entschuldigte sich meine viel jüngere Stimme. Mein viel jüngeres ich. 

Als ich meine Augen wieder öffnete, befand ich mich immer noch in meinem Nichts.

Ich drehte mich nach rechts und schwang meine Beine über die Kante, meine Füße berührten den Boden. Mein Blick glitt wieder zu dem Oval.

Was zur Hölle war das? 

Jetzt erst leuchtete es mir ein; deswegen sollte ich die Stille meiden. 
Ich erinnerte mich an das Gespräch mit Fynn. An eines von vielen.

Ein bitteres Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich auf den Boden starrte. Meine Hände hielten sich am Rand des Kastens fest, als bräuchte mein Körper Halt. Scheiße.

Es fühlte sich richtig Scheiße an.

Mein Inneres war wieder so aufgewühlt, ich hasste dieses Gefühl im Bauch. Dieser Schmerz im Herzen.
 
Ich könnte kotzen bei diesem sentimentalen Mist. 

Genervt -und etwas zu ruckartig- stand ich auf, mir wurde kurz schwindlig und ich taumelte. Ich stolperte zu einem weiteren Kasten, nur dass er kleiner und rechteckig war. Er hatte sogar eine Lehne.
Ich warf mich auf den Stuhl und blickte in das Oval, das über einem weiteren Kasten schwebte.

Jetzt sah mein Nichts schon viel persönlicher aus, ich hatte einen großen Kasten als Bett und einen Mittelgroßen als Schreibtisch, sowie einen kleinen als Stuhl. 

Wow.

Von weiter weg betrachtet sah mein Tisch sicher wie ein Schminktisch aus, da das Fenster von der Form her einem Spiegel glich.

Annike schlief immer noch, was ein Wunder. 

Sie drehte sich um, eines der vielen Kissen fiel aus ihrem Bett. Ich legte meinen Kopf in meine Handfläche und lauschte ihren ruhigen Atemzügen. Meide die Stille.

Ja, von nun an werde ich es tun. 

Meine Vergangenheit sollte vergangen bleiben. 

Ob ich auch auf andere Menschen als nur auf sie hinabblicken kann?

Oh nein, jetzt fange ich an mir Gedanken zu machen. 

Ich habe Langeweile und nichts zu tun, natürlich denke ich jetzt nach. Ich brauchte Beschäftigung! 

Bloß nicht an Fynn denken.

Und als hätte sie meine stumme Bitte erhört, drehte das Mädchen sich nun auf den Rücken und öffnete die Augen.

Ich sah ihr einfach nur zu.

Sie seufzte leise und machte das Nachtlicht an, offensichtlich hatte sie Angst im Dunkeln. 

"Maddy, wo bist du?", fragte sie leise. 
Wer war Maddy? 

Verwundert legte sich meine Stirn in Falten, dieses Kind war wirklich dumm. Wahrscheinlich war das irgendein Kuscheltier oder eine Topfpflanze oder.. was weiß ich. Vielleicht ein Grashüpfer den sie in einem Gurkenglas gefangen hielt, jeden Tag war er kurz vorm abnippeln weil die Luftlöcher im Deckel viel zu klein waren und weil sie oft vergaß ihn zu füttern.

Moment,  was? 

Meine Gedanken waren schon immer so verwirrend gewesen, aber hier Oben, in dieser Langeweile erreichte ich ein ganz neues Level. Wow.

Die Kleine setzte sich jetzt richtig hin und sah sich um.

"Maddy?"

Stille. 

"Maddy!"

Je öfter sie den Namen aussprach desto nerviger fand ich ihn. Ich fasste mir an die Stirn und grummelte. Kann man das auch umtauschen oder so?

"Du bist jetzt schon so lange nicht mehr da gewesen! Hast du eine neue beste Freundin gefunden?", in ihren Augen lag ein enttäuschter Schimmer.
Also hätte ich ein Herz würde es jetzt schmelzen. Vor drei Jahren entschied ich allerdings keines mehr zu haben. 

Langsam dämmerte es mir, wer Maddy war. Eine imaginäre Freundin. 

Vielleicht auch einfach eine Spinne oder Mücke, die vorher immer im Zimmer war. Aber ich tippte eher auf das Erste. 

"W-weißt du, dann bin ich echt froh."

Oha, jetzt wurde sie wütend oder was?

"Vielleicht bist du mit ihr ja glücklicher. Ich freue mich für dich, wirklich.", okay. Okay. Also wenn ich jetzt ein Herz hätte, würde es in tausend Stücke brechen.

Auch ohne tat mir die Kleine schon irgendwie Leid -auch wenn ich das niemals zugeben würde natürlich- aber ich konnte ihr bei ihren Problemen auch nicht helfen.

Moment, ich war eine Art Schutzengel für sie, irgendwas ließe sich da doch machen, oder? 

Na genial, jetzt komme ich auch noch auf doofe Gedanken! 

Das Gör interessierte mich doch gar nicht, was zerbrach ich mir darüber den Kopf ihr zu helfen!

Sie lächelte traurig und legte sich wieder hin, das Licht ließ sie allerdings an. 

Ich hatte selbst entschieden zu sterben, das stimmt. Ich bekam keine zweite Chance, okay. Das wollte ich auch gar nicht.

Aber trotzdem entschied ich immer noch selbst, was ich tat und was nicht! Als ob ich für die Deppen hier arbeite!
Ich bin gestorben weil ich eben das nicht wollte. Zumindest redete ich mir das ein. 

Wieder trugen meine Füße mich zu dem Kastenbett. Ich setzte mich davor und lehnte mich mit dem Rücken an.

Der Boden war unbequem.

War ich wirklich aus diesem Grund gestorben? 

Nein, viel eher: habe ich mich wirklich aus diesem Grund umgebracht? Aus Faulheit? 
Insgeheim wusste ich die Antwort.

Nein.

Mein "Leben" nach dem TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt