Kapitel 3

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Endlich ein Geräusch. 

Die Bettdecke raschelte, als Annike sich erhob. Vor ihrer Tür bewegten sich Menschen, höchstwahrscheinlich ihre Familie.

Ich blickte in das Oval und sah dem Mädchen zu, wie es sich dicke Kuschelsocken raussuchte und dann darauf aus dem Zimmer rutschte. 

"Annike!", rief ihre Mutter erschrocken. 

Zumindest ging ich davon aus dass diese Frau ihre Mutter war. Sie sah schon etwas älter aus, bestimmt war sie Ende zwanzig, vielleicht dreißig?

Die Kleine rannte allerdings schon weiter, "Du fällst noch hin! Warte!"

Sie sprang mit ausgebreiteten Armen auf einen Mann, sicher war das ihr Vater. Er sah noch sehr verschlafen aus, konnte glücklicherweise trotzdem noch reagieren und fing seine Tochter auf.

"Morgen!"

Er lachte, "Guten Morgen mein Spatz."

Ich möchte nicht sagen, dass ich neidisch war.

Doch irgendwie tat es schon weh sie so zu sehen. Ich stand von dem Stuhl auf und wollte das Oval wegwerfen, ich wollte es wegstoßen. Wollte es zerschmettern. 

Warum musste ich mir Menschen ansehen, die lebten!? Ich wollte das nicht mehr sehen, sonst hätte ich mir ja wohl kaum das Leben genommen! 

Ich wollte nichts lieber als tot sein und meine Ruhe haben. Ich wollte weg, weglaufen von all dem. Warum konnten sie mich nicht einfach weglaufen lassen?

Verzweifelt ließ ich mich wieder fallen und stemmte die Ellbogen auf den Tisch. Ich fasste mir an den Kopf und starrte einfach nur auf die graue Platte. Scheiße.

Ich wollte diese Gedanken nicht mehr haben, warum konnten sie nicht einfach gehen? Warum konnte ich nicht einfach wie jeder andere Mensch denken?

Scheiße man.

Meine Arme gaben nach und klatschten leblos auf den Tisch, mein Kopf folgte ihnen laut knallend. 

Ich fasste mir an den Hinterkopf und machte meinen Zopf auf, mein widerspenstiges Haar fiel um mein Gesicht und ich blickte auf. 

Warum war ich so neidisch auf dieses Gör? War ich neidisch dass sie lebte und ich nicht?

Wollten diese Kerle das bezwecken? Wollten sie, dass ich es bereute und litt? Sollte das hier eine Strafe sein?

Ich bereue nichts. Und ich werde meinen Suizid nicht als Fehler ansehen! Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten.

Was sollte das hier nur. Ich schloss die Augen. Jetzt war es wieder vorbei. Das Gefühl in meinem Bauch war fortgeflogen, ich atmete tief aus.

Meine Gedanken stoben auf wie Tauben, wenn ein Kind sie aufscheuchte. Sie flogen über die Häuser hinweg und waren wieder frei. 

Als ich meine Seelenspiegel wieder öffnete war die Kleine am essen. Überall klebte Nutella in ihrem Gesicht. 

Ich lächelte bitter. 

Vielleicht war das etwas, was ich wirklich ehrlich vermissen würde. Nutella. Nun musste ich lachen.

Wie lächerlich.

"Annike, pass doch auf!", schimpfte ihre Mutter als die Kleine gegen den Tisch kam und deswegen etwas Kaffee aus den Tassen schwappte. 

"Entschuldige!"

Seufzend erhob sie sich und wischte es weg, das Mädchen sah sie entschuldigend an.

"Jetzt schau nicht so, dadurch wird es auch nicht besser."

Sie erwiderte nichts darauf und aß einfach still weiter. Währenddessen rührte das Kind etwas mit dem Löffel in ihrem Kakao rum. Fröhlich sah sie den Wölkchen zu, die von der Tasse aufstiegen. 

"Papa, warum bist du eigentlich noch hier? Du müsstest schon längst auf Arbeit sein."

"Ja, ich weiß, ich habe heute etwas verschlafen.", antwortete dieser leicht grinsend.

"Pass auf, nicht dass du noch gefeuert wirst!", rief Annike mit großen Augen. 

Wie langweilig diese dämliche Standardfamilie doch war. Sie waren viel zu normal. Keine Teenager, die mit Türen knallten; keine kreischenden, anstrengenden Kleinkinder und auch keine viel zu aggressive Katze oder irgendwas anderes Interessantes. 

Diese Familie war stinklangweilig. 

Ein verdammtes Einzelkind, das dann auch noch super nett und liebenswert war und zwei gesunde Eltern, der Vater schien Arbeit zu haben. Wie es mit der Mutter aussah wusste ich nicht, doch sie hatte sicher auch einen super coolen Job als Ärztin oder so.

Sie mussten ein relativ gutes Einkommen haben, da die Wohnung ziemlich groß war. 

Ich seufzte und drehte mich von dem Fenster zur Erde weg. Ja, ich glaube so werde ich es nennen. ,Das Fenster zur Erde' klingt irgendwie cool.

Voll das Engel-Ding.

Warum taten sie uns so etwas an? Moment, uns? Die Anderen interessierten mich gar nicht. Sie waren mir egal. Aber warum musste ich jetzt hier Oben hocken?

Wer hatte sich das ausgedacht? 

Hier Oben hatte ich genau dieselben Probleme wie da Unten, nur dass man sich hier nicht nochmal umbringen konnte.

Toll, und jetzt? 

Ich hörte, wie sie sich weiterhin unterhielten. Vorsichtig blickte ich mich um, in meinem Nichts hatte sich nichts geändert. Es sah alles, ja wie sah es aus..? Nach Nichts halt. 

Außer der Drei grauen Möbelstücke -oder eher Klötzen- stand hier nichts rum. Zur Beschäftigung blieb mir echt nichts anderes übrig als dem Gör zuzuglotzen wie es lebte. 

Oder ich sah weiterhin in die Vergangenheit. 

Ich brauchte unbedingt Beschäftigung, sowas durfte auf keinen Fall nochmal passieren. 

Mein "Leben" nach dem TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt