One Cut More- Rewilz

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Flashback
Ohne Beaufsichtigung darf ich hier nichts mehr machen. Zu oft bin ich in Versuchung gekommen den Scheiß hier zu beenden.
"Felix, du wirst heute jemand neues in dein Zimmer bekommen. Sei nicht so unfreundlich", lächelte mir einer der Betreuer zu, welcher ohne anklopfen ins Zimmer gekommen war. Zu dem Zeitpunkt saß ich gelangweilt an meinem Schreibtisch und kritzelte einfach herum. Ein kurzes Nicken reichte ihm, um zu verschwinden. Ein knapper Handgriff und meine Sachen waren zusammen gepackt. "Okay Felix. Es ist nur ein depressiver Junge. Genau wie du. Du kennst ihn nicht. Keine Vorurteile. Er hat dir noch nichts getan", redete ich mir immer wieder ein, ehe es klopfte und ich mich auf mein Bett setzte. Die Tür wurde aufgeschoben und ein Junge, der wahrscheinlich etwa ein Jahr älter und einen halben Kopf größer war als ich, betrat den Raum, gefolgt von einen der Ärzte. Einen meiner Ärzte. Kein Wunder, wir waren auf derselben Station. Ich Idiot.
"Felix? Das ist Sebastian, er ist 17 Jahre alt und hat im großen und ganzen die selben Erkrankungen und Probleme wie du, nur dass sie aus anderen Situationen entstanden sind", erklärte mir Doktor Hafner. Ein kurzes Nicken meiner seits, ehe der Doktor weitersprach, "ihr beide seid um 18 Uhr beim Abendessen im großen Saal." Wir nickten. Dieser Sebastian begann seine Sachen auszuräumen, als Dr. Hafner gegangen war und ich ihm seine Hälfte des Zimmers erklärt hatte. Es sah hier aus, wie im Gefängnis. Alles weiß, ein Bett links, ein Bett rechts. Am Fußende der Betten jeweils ein Schrank und neben den Kopfenden ein kleiner Schreibtisch. So sah hier jedes Zimmer aus. Es entsprach ungefähr 20-25 Quadratmetern.
Sebastian trug einen Schwarzen Hoodie, eine schwarze Skinny Jeans, wo unregelmäßig verteilt ab und zu Löchern waren, schwarze Converse und eine schwarze Beanie, wo dunkelblonde Haare heraus hingen.
Kaum war er fertig setzte er sich auf sein Bett und ging an sein Handy. Ich tat es ihm gleich, nur, dass ich auf meinem Bett saß. "Wieso bist du hier?", fragte er aus dem nichts, mit einer dunklen, heiseren, recht rauen Stimme, als ich kurz zu ihm gesehen hatte. Man konnte hören, dass es nicht seine Stimme war. Er hatte bloß lange nichts gesagt, was ihn für mich recht sympathisch machte. Das bedeutete, dass ich keine Laber-, geschweige denn, Tratschtante im Zimmer hatte.
"Und?", fragte er wieder und ich schüttelte kurz meinen Kopf, ehe ich leise krächzte, "sorry." Ein fragender Blick seinerseits ließ mich leise sprechen, "bin seit zwei Jahren hier, weil ich keine Freunde hab oder jemals hatte. Außerdem wurde ich täglich verprügelt und mehrfach sexuell benutzt. Ach, bevor ich es vergesse, in der Schule. wurde ich gemobbt, obwohl ich wirklich nie jemanden etwas angetan hatte oder überhaupt etwas gesagt hatte." Mit der Zeit wurde ich immer lauter, sodass ich am Ende eine normale Gesprächslautstärke hatte. Anfangs sah ich unsicher zu ihm, was aber schnell verschwand, da meine emotionslose Seite zum Vorschein kam. Anders gesagt, mir ging in diesem Moment alles wieder am Arsch vorbei, dennoch fragte ich aus Höflichkeit, wieso er hier sei. "Dieselben Gründe, abgesehen davon, dass ich sexuell benutzt wäre. Das stimmt nicht überein. Stattdessen hasst mich jeder, weil ich schwul bin. Kann doch auch nichts dafür", lachte er sarkastisch und ließ sich ins Bett fallen, sodass er mit dem Kopf an die Wand stieß, da er seine Beine immernoch vom Bett baumeln ließ. "Ah, fuck", knirschte er zischend mit den Zähnen und setzte sich direkt wieder auf. "Geht's?", fragte ich nach, obwohl es mich in diesem Moment einen feuchten Dreck juckte. "Frag nicht, wenn es nicht ernst gemeint ist", knurrte er und ich musste schlucken. Schnell setzte ich mich im Schneidersitz aufs Bett und lehnte mich an die kalte Wand, sodass ich eine Gänsehaut bekam. "Wie alt bist du überhaupt? Meintest du nicht, du wärst seit zwei Jahren hier?"
Ich nickte, "hab mich mit 14 einweisen lassen. Meine Eltern wollten mich eh loswerden. Also von daher, passte das. Allerdings bin ich erst seit einem Jahr auf dieser Station. Vorher war ich noch auf einer, wo man mich nicht 24/7 beobachtet hatte."
Sein Gesichtsausdruck wandelte sich von verwirrt in interessiert. Es machte mir schon etwas Angst wie er nun vor mir saß. Zu mir gebeugt, Arme bzw. die Ellenbogen auf seinen Knien abgestützt und die Hände zusammen gefaltet. "Erzähl mir mehr", lächelte er dann.
Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, "du interessierst dich echt dafür?" Er nickte bloß, sodass ich ihn was fragte, "was genau will der Herr denn wissen?" Er zuckte mit den Schultern, "zum Beispiel, wieso du auf diese Station verlegt wurdest." Ich fuhr mir durchs Haar, "nachdem ich keine Klingen oder ähnliches mehr hatte, hab ich ein Glas zerschmettert und hab mir meine Pulsader aufgeschnitten. Dann wurde ich halt verlegt, da es mein 5. Versuch war. Und du? Wurdest du direkt hier her verlegt?" Er nickte bloß, ehe ich nachfragte, wieso, "Eltern bedroht und mein Psychologe hatte ihnen die Anzahl meiner Suizidversuche erläutert. Naja; jetzt bin ich auch mal hier." Ich lachte leicht und kurz auf, "du kannst dich nicht darauf vorbereiten, ohne Klinge zu leben." Er seufzte und sah dann deutlich gespielt entsetzt auf, "das darf doch nicht wahr sein!" Ich musste lachen, was ihn zum Grinsen brachte, "bei dir kann man nicht mal so tun, als wenn man es ernst meint. Du Lappen man." Ich grinste breit, "du bist ein Waschlappen. Wischst deine eigenen Tränen immer auf." Er lachte auf, ich mochte sein Lachen. "Wir sind Idioten", lachten wir zeitgleich, sodass ich vor lachen fast vom Bett flogen. Egal, wie scheiße es einem ging, egal, was für Gründe es gab, egal, in welcher Situation man ist; irgendwann kommt der Zeitpunkt, da ist sogar ein einfacher Punkt witzig. Und diesen Zeitpunkt hatten wir gerade anscheinend beide.
Als wir uns beruhigt hatten, sah ich zu ihm und er blickte zu mir. Wir musterten uns und versuchten uns krampfhaft das Lachen zu verkneifen. Ich denke mal, dass jeder die Situation kennt, wo man einfach mit einem Blickkontakt merkt, dass man verloren hat, wenn man zuerst lacht; wegguckt; blinzelt; oder sowas halt. Solche Wettbewerbe waren damals in der Grundschule ein Muss bei uns. Naja, auch wenn ich das nur sehr selten hatte, kannte ich es. Plötzlich fing Sebastian an, lauthals loszulachen, sodass ich panisch zusammen zuckte und mich erst einmal von dem Schock erholen musste. Er hatte mich so dermaßen erschrocken, dass das echt ungewöhnlich war. Sowas hatte ich lange nicht mehr. "Du hast mich... grad angestarrt.. als wenn.. als wenn ich deine.. deine Erlösung wär..", lachte er außer Atem und ich bekam errötete Wangen, weshalb ich dies schnell mit einem Lachen überspielte, "echt jetzt?" Der Moment, wo alles witzig war, war eindeutig vorbei. Ich hatte das ja nicht einmal mitbekommen. Was erlaubte der sich einfach, mein Gesichtausdruck auszulachen?! Diese Tatsache ließ mich von hier auf jetzt Schmollen und er blickte mich verdutzt an, "dieser Plottwist. Und ja. Genau so hast du mich angeschaut, Kleiner." Mein Schmollen verschwand augenblicklich und ich wurde erneut rot, dieses Mal eine Oktave tiefern. Ich musste mich nicht rechtfertigen, nur weil ich ihn so angesehen hatte und er mich, mich Felix Hardy, der nur einen halben Kopf kleiner war, 'Kleiner' nannte. Allerdings wurde er auch rot, ich hoffte innerlich darauf, dass es ihm ungewollt rausgerutscht ist, so, wie das frühzeitige 'Ich liebe dich' beim ersten Mal. "Ich bin nicht klein", schmollte ich und drehte mich auf dem Bett um, sodass mein Rücken zu ihm zeigte. Ich hörte ein leises Geräusch, spürte einen Druck auf meinem Kopf und Finger, die hinterher durch mein Haar strichen. "Aber kleiner als ich", grinste Sebastian, der sich neben mich gesetzt hatte. Er hatte einen Arm um mich gelegt und meinen Kopf auf seinen Schoß gezogen, sodass ich nun lag und er durch mein Haar strich. Diese Situation war für mich ungewohnt und unbekannt. Es war neu und anfangs sehr unangenehm, doch dies verblasste schnell. "Du hast, trotz der matten Farbe und des Aufenthalts hier, verdammt weiche Haare", lächelte er mich von oben an. Meine neugierigen Augen musterten sein Gesicht und erblickten eine rote Fläche-Nein, zwei, es waren zwei. Eine Links; eine Rechts. Zwischen ihnen war eine gebogene Linie mit hellrosanen Lippen verziert. Im Gesamtbild waren seine geröteten Wangen und seine lächelnden Lippen echt schön. Alles was hier gerade passierte, war verwirrend und schön. Angenehm und komisch. Einfach neu; und das, obwohl ich Sebastian erst seit heute kannte. "Deine Wangen sind so süß, wenn sie rot sind", hauchte er grinsend. Ich drehte mich auf die Seite und vergrub mein Gesicht in Sebastians Bauch, was ihn etwas zum auflachen brachte. Er war beinahe so dünn wie ich. "Deine auch", nuschelte ich und schloss meine Augen. "Felix? Wann warst du das letzte mal glücklich und hast deine Probleme vergessen?", fragte er irgendwann leise und ließ mich somit zusammenzucken. "Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal glücklich und frei war, wann ich das letzte Mal dieses Geborgenheits-Gefühl hatte. Ich bin eine Gefühlslose Schale", nuschelte ich gegen seinen Bauch. "Das heißt, dass du das Lachen vorhin vorgetäuschst hast?", fragte er und ich sah verwirrt zu ihm auf, "nein, ich glaubt nicht, dennoch war es so ungewohnt. Ich lache wirklich selten, meist, wenn ich mich mit auslache." Sanft strich er mir weiterhin durchs Haar, ehe ich ihm die Beanie ins Gesicht zog. Empört quiekte er. "ey!"

Die letzten Wochen verliefen so wie in den ersten Tagen; wir hatten unsere Therapien, gingen gemeinsam essen, gingen gemeinsam zu den Gruppentherapien, kuschelten abends und ich schlief immer in seinen Armen ein, wachte morgens aber alleine auf.

Es war mittlerweile ein Monat her, dass Sebastian hier aufgetaucht war und mein Leben auf dem Kopf gestellt hatte. Er war so, wie noch nie jemand zu mir. Er war so nett, so liebevoll, wie ein Bruder. Nur, irgendwie war da mehr. Ich wusste nicht genau was, falls es Liebe war, wüsste ich es nicht. Ich hatte noch nie so einen starken Kampf mit meinen Gefühl wie momentan. Ich wusste nicht, wie ich mich zu verhalten hatte, was ich zu ihm sagen sollte, was ich tun sollte, wenn er nichts sagte, um seine Stimme zu hören. Ich wusste nicht, was er wirklich mochte, sodass ich ihn nicht interessieren könnte! In seinen Augen  war ich doch total langweilig, ignorant, vergesslich, verpeilt, hässlich und scheiße. Wesentlich hatten wir da was gemeinsam. Außerdem mag er es zu kuscheln, das wusste ich. Auch wenn ich die ganze Zeit das Gefühl hatte, er würde nur was mit mir machen, um dann abends kuscheln zu können.
"Felix? Kommst du?", lachte Sebastian und reichte mir seine Hand. Ich hatte ihn, während meines ganzen inneren Monologes, angestarrt. Schnell packte ich seine Hand und ließ mich aufziehen. Zusammen gingen wir aus unserem Zimmer und los zur Gruppentherapie. "Felix?", fragte er dann leise, als wir um die erste Kurve gingen. Mein Blick fiel direkt auf ihn und er schien es zu bemerken, da er weitersprach, "wieso bist du in letzter Zeit so leise? Das war davor doch auch nicht so." Direkt sah ich auf den Boden, "der ist heute ja besonders interessant", dachte ich mir, als ich ein 10ct Stück sah. "Felix?", hackte er nach und ich sah dann doch langsam auf. "Ich.. also.. ähm", meine Rettung war, dass wir dank meines langen Schweigens, beim Raum angekommen waren.  Ich schwieg wieder und wollte reingehen, doch er hielt mich auf, "nach der Stunde.. bitte.." Ich nickte nur und wir gingen zusammen hinein.

Nach der Stunde gingen alle anderen raus, genau wie Sebastian. Doch ich blieb solange drin, bis ich rausgeschickt wurde, in der Hoffnung, Sebastian wäre schon weg. Doch als ich ihn erblickte, zog sich alles in mir zusammen und ich ging schweigend los. "Felix..", kam es leise von ihm und er kam mir hinterher. "Nein", nuschelte ich leise und ging schnell voran. Doch er hatte vorgedacht, packte mich an meiner Hüfte und drehte mich zu sich, "Felix Hardy. Du erklärst mir jetzt sofort was los ist!" Ich zuckte zusammen und lehnte mich an ihn, da ich Tränen in den Augen bekam. Er strich mir durchs Haar und zog mich zu sich. "Felix, hey, was ist denn los? Sprich doch bitte mit mir", redete er auf mich ein.
Erst laut, unwissend und dominant, dann leise, besorgt und einfühlsam. Ich verstand ihn nicht. Er war kompliziert, unberechenbar und genau deshalb interessant.

Als ich mehrere Minuten nur über ihn nachgedacht hatte und die Tränen wie Wasserfälle liefen und nicht stoppen wollten, hob er mich hoch und drückte mich an sich, ehe er zu unserem Zimmer ging. Dort legte er sich mit mir in sein Bett, da lagen wir bis jetzt nur einmal zusammen drin. Da bin ich morgens auch in seinen Armen wach geworden. An diesen Abend hatte er mich beruhigt, da ich erfahren hatte, das mein Opa gestorben war. "Hey Felix, wein nicht noch mehr, bitte", hauchte er und bekam selbst langsam Tränen.

Zehn Minuten später hatte ich mich endlich beruhigt und hatte starke Bauchkrämpfe, obwohl Sebastian ihn mir die ganze Zeit gekrault hatte, um mich zu beruhigen. "So, Felix. Jetzt sag mir doch endlich bitte, was genau los ist", hauchte er leise und wischte sich Tränen weg. "Ich kann nicht, ich würde alles verlieren, was ich mir aufgebaut habe. Tu mir das nicht an, zwing mich nicht dazu. Deine Reaktion könnte in mir eine Welt zerbrechen", schluchzte ich. "Ich zwing dich nicht, ich bitte dich. Felix, deine Tränen geben mir das Gefühl zu Ertrinken. Bitte beruhig dich doch wieder, ich halt das nicht aus", hauchte er und wischte erst sich und dann mir die Tränen weg.

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Abgebrochen

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