Chapter 11 - Handschellen

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Ich wollte protestieren, besann mich im letzten Moment aber noch. Mit versteinerter Miene sah ich Jasper an.
Jeder Mensch hat eine Schwachstelle, man muss sie nur finden. Daniel, zum Beispiel, geht nichts über sein Ego.

Jaspers Schwachpunkt hatte ich gerade gefunden. Er war ein junger, auszubildendener Cop mit stark eingeschränkten Moralvorstellungen.

»Was hast du da draußen gemacht? Das ist abgesperrtes Gebiet.«, wollte er wissen.

»Nur kleine Motorrad-Tour.«, gab ich ohne mit der Wimper zu zucken zurück.
»Ganz schön taff.«
Das klang ja fast schon angeklagend wie er das sagte!

»Ich vermute mal, dass du mit Brüdern aufgewachsen bist.«
Der ist ja Sherlock und Watson auf einmal!

Ich antwortete nicht.
»Wie viele Brüder? Zwei?«

Haha, das wäre ja zauberhaft.

»Nun gut, du musst nicht antworten. Aber wie ist es mit deinen Eltern? Wie können wir sie kontaktieren?«
»Ich bin bereits volljährig, meine Eltern müssen nicht benachrichtigt werden.« Ich lächelte müde. Wie oft ich diesen Satz schon benutzt hatte.

Jetzt lehnte sich Jasper auf der anderen Seite des Tisches ebenfalls auf seinem Stuh nach hinten. Er verschränkte die Arme und starrte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich ahmte seine Haltung nach und schaute genauso undurchdringlich zurück.
Schöne polizeiliche Befragung.

Ich ließ meinen Blick über seine hässliche graue Uniform gleiten, die ihn allerdings nicht weniger attraktiv machte. Wie ich schon bei unserem ersten Zusammentreffen feststellen musste, sah Jasper ziemlich gut aus mit einem Hauch von braungebrannten Surfer-Boy. Aber der muskulöse Oberkörper, der in dem enganliegenden Hemd steckte, beeindruckte mich kein bisschen. Ich lebte jetzt seit zwei Jahren mit einer Horde Jungs zusammen, die regelmäßig trainierten und die ich auch mehr oder weniger nackt sah.
Ja gut, bis auf Toni, der saß lieber in seinem Zimmer vor dem Computer.

Das Ganze hier zog sich mittlerweile ziemlich in die Länge und dieses stumme Gestarre zerrte langsam an meinen Nerven. Also sprang ich mit einem genervten Stöhnen auf und stützte mich mit den Händen auf den Tisch.

»Wären wir dann hier fertig, Sir?« Ich presste das Sir provozierend hervor und pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Jasper seufzte.
Dann stand er langsam auf, schlug noch langsamer den Ordner zu, drehte sich um und klopfte zwei mal gegen die Tür. Diese wurde von außen geöffnet und ein älterer Cop trat in den Raum.
Er klopfte Jasper leicht auf die Schulter, nickte, flüsterte etwas und sagte dann etwas lauter zu ihm: »Der Chef wird sie morgen noch einmal verhören. Über Nacht in die Zelle.«

Der Jüngere gab mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er die Anweisung ausführen würde, woraufhin der andere wieder verschwand.
Das Detail mit der Zelle hatte ich gar nicht richtig aufgenommen, viel mehr interessierte mich der erste Teil des Satzes: Der Chef wird sie morgen noch einmal verhören.

Der Chef? Der Polizeichef?

Dann hätte ich ein riesiges Problem. Denn der Leiter dieses Departments war kein geringerer als mein Vater! So war es zumindest vor zwei Jahren.

Ich ließ mir meine Panik nicht anmerken, als Jasper auf mich zukam, um mir erneut Handschellen anzulegen. Diesmal auf dem Rücken.

Wenn mein Vater mich sehen würde, würde er mich wieder mit nach Hause nehmen! Zwei Jahre sind nicht genug, um seine Tochter zu vergessen. Verdammt, dann wäre ich echt am Arsch.

»Pfoten weg!«, zischte ich, als Jasper mich am Arm packte, um mich aus dem Raum zu führen. »Ich kann alleine laufen, Officer.«

Er ließ mich los, ging aber dennoch dicht hinter mir. So dicht, dass ich mit dem Rücken immer wieder an ihn stieß. Wir fuhren mit einen Fahrstuhl eine Etage tiefer und liefen dann einen langen, schwach beleuchteten Flur entlang.
»Gott, ist das hier eine Strafanstalt oder eine Polizeistation?«, fragte ich stirnrunzelnd, als wir den grauen Gang passierten.

»Keine Sorge, ist nur die Gewahrsamszelle.«

Wir traten gemeinsam durch eine weitere Tür. Dahinter saßen einige Beamte an ihren Schreibtisch. Jasper führte mich durch den Raum. Ich fühlte mich sichtlich unwohl bei so vielen Polizisten und aus Angst vor meinem Vater hielt ich meinen Kopf gesenkt.
Nach einer weiteren Tür standen wir in einem von Gitterstäben aufgeteilten Raum. Jasper griff nach meinem Oberarm, schob mich den Gang entlang und grüßte einen Kollegen der wachend vor den Zellen saß. Bestimmt drängte er mich in eine Richtung.

»Hey! Du sollst mich in meine Zelle bringen, nicht vergewaltigen.«, brummte ich und wandte mich aus seinem Griff.

»Ich mache nur meine Arbeit.« Als ich seine monotone Stimme hörte, rollte ich mit den Augen. »Aber die Handschellen wären schon ganz passend, oder?«, sagte er dann und musste sich ein Lächeln verkneifen.
Sehr witzig.

Wir hielten vor einer kleinen Zelle, die Jasper aufschloss und mir dann deutete einzutreten.
»Hier fühlt man sich doch gleich wie zu Hause.«

Er ignorierte meinen Kommentar und schloss die Tür hinter mir wieder.

»Deine Hände«
»Was?«, fragte ich und kam mir dabei vor wie der größte Trottel.
»Deine Hände«, wiederholte Jasper und deutete auf eine kleine Öffnung in den Gitterstäben. Mit dem Rücken zu ihm stellte ich mich dort hin und Jasper schloss die Handschellen auf.
Erleichtert rieb ich mir die Handgelenke.

...

Crash Girl - Die Vergangenheit holt Dich einWo Geschichten leben. Entdecke jetzt