Postpunk

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Frei atmete sie auf. Nur noch von fern sah sie ein paar Flammen in den Himmel schlagen. Hinter ihr in der kalten November Nacht hörte sie weit entfernt die einsame Sirene einer Feuerwehr. Es tat gut einfach geradeaus vorwärts zu gehen, zum ersten Mal seit Wochen war sie völlig klar, nicht mehr betrunken, hatte keine Pillen genommen. Kein Stern, kein Mond waren am Himmel. Die Dunkelheit verschluckte sie, machte sie unsichtbar. So unsichtbar wie sie in den vergangenen Wochen war, als sie gleichen Klamotten trug, die gleiche Frisur, die gleiche Musik hörte wie alle andern Punks. Jetzt war sie ein Teil der Dunkelheit, der Schwärze der Nacht.

Friederike wollte kein Teil mehr sein von Irgendetwas. Kein Teil einer Punk-Gruppe, kein Teil der Schwärze, kein Teil der Nacht. Entschlossen zog sie alles aus, die schwarze Hose, den schwarzen String, das schwarze Shirt und den schwarzen BH. Nichts sollte mehr sein wie vorher. Nackt und bloß stand sie da, mit ihrem mageren, bleichen weißen Körper trotzig gegen Dunkelheit und den Nieselregen ankämpfend. Scharfe Steine und Scherben schnitten in ihre Füße, und eiskalt blies der Wind. Sie ging weiter, ihre Beine bewegten sich fast automatisch. Friederike wollte weg aus der Dunkelheit, sie wollte zu einem Licht finden, zu sich selbst.

Ihre nackten Füße waren eiskalt und bluteten aus mehreren Wunden und ihr nackter Körper wurde langsam blau von der Kälte, aber das alles spürte und interessierte Friederike nicht mehr. Vielleicht hätte sie sich traurig wegen Jay, oder sich erleichtert wegen ihrer Entscheidung fühlen sollen, aber so sehr sie auch in sich hinein horchte, sie spürte einfach absolut gar nichts.

Als sie weit genug aus der Stadt hinaus gelaufen war endete der Zaun. Sie kletterte den steilen Hang hinauf in das Schotterbett und ging oben weiter. Es dauerte eine Weile bis sie ihren Schritt Rhythmus auf den dicken Schwellen gefunden hatte. Jetzt wo sie wirklich frei und neu geboren war, würde sie nicht mehr weglaufen. Heute würde sie ihrem Schicksal entgegen laufen.

Es war dunkel, schlechtes Wetter und schlechte Sicht. Als der Zugführer sie schließlich auf den Schienen bemerkte, war es viel zu spät um noch zu bremsen. Sie sah durch die sehr schnell näher kommende Scheibe direkt in seine vor Schrecken weit aufgerissen Augen.

Sie blieb in der Mitte zwischen den Schienen stehen,steckte beide Arme von sich, legte den Kopf in den Nacken und lachte in den Himmel. Vor ihr wurde die Stille der Nacht zerrissen, Funken stoben, als Metall auf Metall kreischte und ein Kollos aus Stahl völlig chancenlos versuchte, doch noch vor ihr zum Stillstand zu kommen. Friederike schloss die Augen und merkte wie sie von einer großen Zufriedenheit erfüllt wurde, während ihr Licht immer näher kam.

Post-Punk Szenario (düster und gewalttätig)Where stories live. Discover now