Kapitel 5

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Ein kräftiger Schwall Wasser ergoss sich über meinem Gesicht, die Tropfen rannen wie Tränen an meiner Gesichtsseite hinab und sammelten sich in einer Pfütze neben meinem Kopf. Nach einem Moment des Entsetzens schlug ich meine Augen auf. Für einen Moment sah ich die Welt ganz scharf und ich erhaschte einen Blick auf die Decke, die aus schweren Holzbalken zu bestehen schien, und auf die an daran herabhängenden schlichten Lampe, von der sich das Licht einer Kerze in den Raum hinab ergoss. Dann verschwamm alles vor meinen Augen: Die Decke, von der ich eben noch die feinsten Strukturen habe erkennen können, zerfloss zu einer einzigen braunen Fläche und der zwielichtige Schein der Kerze war nur noch ein leicht orange glühender Kreis. Plötzlich schob sich vom Rand meines wenn auch verschwommenen Blickfelds etwas viel Größeres vor meine Augen und zwang mich es näher zu betrachten, was ich jedoch sofort wieder aufgab, da mich der Schwindel sogleich wieder in die Kissen trieb und ich musste mich darauf konzentrieren nicht wieder das Bewusstsein zu verlieren. Denn das Innere meines Kopfes glich nun mehr den Schmieden des Hephaistos, in denen wohl weniger Hämmer schlugen als sie es jetzt in meinem Kopf taten.

„Na junger Mann, wieder auf den Beinen? Nun ja wohl eher nicht! Meine Güte, die Jugend hält heutzutage ja auch gar nichts mehr aus, nicht einmal mehr einen leichten Schlag meiner Selbstabwehranlage für unerwünschte Besuche. Wo doch eigentlich ein leichter Schlag auf den Hinterkopf das Denkvermögen erhöhen soll, aber nein, stattdessen darf man dann geschlagene zwei Tage auf eine Pensionsmöglichkeit hoffen, wenn man den Bewusstlosen spielt! Ts, Ts. Sowas von unmöglich."

Ich hatte dem unbekannten Sprecher nur mit halbem Ohr zugehört, aber die Angabe von zwei Tagen ließ meine Alarmglocken schrillen und ich richtete mich ruckartig auf. Das hätte ich allerdings besser bleiben lassen sollen, aber bevor ich wieder zurücksinken konnte wurde ich von zwei starken Händen gehalten.

„Na na, mein lieber, kein Grund sich gleich wieder schlafen zu legen. Ich denke achtundvierzig Stunden Schlaf reichen für eine Person"

Da war es wieder, dieses Wort, das ein Warnschild hochhielt und bemerkt werden wollte. Ich kramte in meinem Gedächtnis nach etwas, voran ich mich festhalten konnte und was dieses Gefühl von reiner Panik in mir auslöste. Vorsichtig schaute ich mich um und starrte mit einem Mal in das Gesicht eines alten Mannes. Sein weißes Haar fiel ihm bis auf die knochigen Schultern. Er war nicht sehr groß und etwas hager, sein Gesicht faltenzerfurcht, aber in mitten dieser Falten strahlten mich die freundlichsten Augen an, die ich je gesehen hatte. Trotz des offensichtlichen Alters glitzerte der Schalk in diesen lindgrünen Augen und ein schelmisches Lächeln umspielte seine Lippen.

„Wer, beim Zeus, sind Sie? Und wo bin ich hier?"

„Jetzt beruhig dich erst einmal und erklär mir dann mal, was du überhaupt an meinem Haus zu suchen hattest.". Vielleicht waren es diese sanften Worte die meine Antwort nicht so scharf und wütend klingen ließen, wie ich es ursprünglich beabsichtigt hatte: „Der einzige, der hier etwas erklären muss sind Sie und zwar warum Sie so...". Ich überlegte einen Moment um das richtige Wort zu finden. „...Fremdenfeindlich sind. Ich meine, ich würde unsere Gäste jetzt nicht gleich niederschlagen lassen, wenn sie gerade auf der Suche nach Hilfe sind."

Mit einem Mal kamen die ganzen Erinnerungen wieder. Ich war umhergestreift um einer Göttin, die ich eigentlich mehr fürchten sollte als den Tod, zu helfen, die von meinem bloßen Anblick in Ohnmacht gefallen war. Das war jetzt wahrscheinlich nicht die präziseste Beschreibung, aber wenigstens traf sie halbwegs den Sinn. Aber mit diesen Erinnerungen kehrte auch die Angst um Ephialtis und die Panik wieder und nun auch der offensichtliche Grund für diese Panik: Die Zeit- sie war mir davongelaufen, war durch meine Finger geronnen und hatte sie unverwundbar gemacht für jegliche andere Gefühle, die mein Herz zerrissen.

„Wo ist sie? Bitte sagen sie mir, dass sie noch am Leben ist, ich flehe sie an!" Für einen Moment stand die blanke Verwirrung in dem Gesicht des alten Mannes, dann schien er zu verstehen: „Sie liegt nebenan. Du brauchst mir nichts zu erklären. Ich glaube ich weiß das Nötigste, Morpheus."

Das brachte mich völlig aus dem Konzept. „Woher bitte kennen sie meinen Namen? Moment! Das ist nicht wichtig! Ich muss zu Ephialtis."

„Ich werde es dir auf dem Weg zu ihr erklären, aber dafür musst du erst aus den Federn." Er schmunzelte und das trieb mich zur Weißglut. Wusste er denn überhaupt, wie ernst diese Situation war und dass seine kleinen und vor allem unlustigen Späßchen hier überhaupt nicht angebracht waren?

Etwas schwerfällig schälte ich mich aus den rauen Baumwolldecken und stand schließlich mit der Hilfe des Mannes wieder auf meinen Füßen.  Dabei fiel mir ein, dass ich nicht einmal den Namen des alten Mannes kannte, doch bevor ich ihn danach fragen konnte, begann er mit seiner versprochenen Erklärung. Aber ich war mir sicher, dass er mir noch vielmehr als das zu erklären hatte.

„Morpheus, du bist der einzige Gott der sich Nachts in einem Paradoxon befindet. Ein Gott der Träume, der seine eigenen nicht kontrollieren kann. Ich weiß es klingt sehr verrückt, deswegen ist es jetzt auch schwierig dir das näher zu erläutern. Aber auch in den letzten Tagen hast du dich in einem einzigen Paradoxon bewegt. Du fragst dich jetzt wahrscheinlich, wie das sein kann, da es dir selbstverständlich vorkommen mag, aber das ist es keineswegs. Du hast dich für die Rettung des Lebens einer Göttin eingesetzt, die dich tot sehen will und es wäre nur verständlich gewesen sie ihrem Schicksal zu überlassen und dich von deiner dunklen Seite loszusagen."

Diese Worte ließ er ihre Wirkung entfalten. Ich wusste zwar, dass die Göttin einen flammenden Zorn auf mich hegte, aus welchem Grund auch immer, aber das es so weit gehen würde, dass sie sich meinen Tod herbei wünschte, hätte ich nicht einmal in meinen kühnsten Träumen gewagt zu denken. Kaum hatte ich diesen Satz gedacht, wurde mir bewusst, dass schon wieder ein Paradoxon meine Gedanken beseelte. Es war zum Verzweifeln und neben dieser Verzweiflung existierte noch ein ganz anderes Gefühl in mir, aber es war mir wohl untersagt diese Emotion zu entschlüsseln. „Wer glauben Sie zu sein mir all diese Dinge sagen zu dürfen? Ich bin ein Gott!"

„Tja, da muss ich dich wohl enttäuschen, ich bin nämlich auch ein Gott, wenn auch nicht schon immer. Die Menschen nannten mich Asklepios."

Schlaf der Götter || abgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt