Von nagender Verzweiflung und bitterer Angst

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Der Fluch der Meerjungfrau
Die Gier und ihre verheerenden Folgen
Kapitel Sechs
≈ Vᴏɴ ɴᴀɢᴇɴᴅᴇʀ Vᴇʀᴢᴡᴇɪғʟᴜɴɢ ᴜɴᴅ ʙɪᴛᴛᴇʀᴇʀ Aɴɢsᴛ ≈

Mit dem Verschwinden des Zimmermanns breiteten sich die Schatten aus und zogen über die Dielen des Decks. Brachten Dunkelheit mit sich und tauchten die Umgebung in finstere Nacht. Nur das Klatschen der Wellen vernahm ich, die sich rhythmisch gegen die Schiffswände drängten. Kleine Lämpchen unter mir flackerten plötzlich auf. Offenbar hatte Franky das Becken mit winzigen Lichtern ausgestattet, die nun für eine diffuse Beleuchtung sorgten. Sie waren nicht sonderlich grell, dennoch konnte ich den Boden des Bassins ausmachen. Ich fragte mich, ob die Fische nicht lieber im Dunkeln blieben, und würde versuchen, vielleicht ein wenig zu schlafen, wenn es mir denn gelänge. Auch kam mir die Temperatur wieder in den Sinn. Für mich, als Mensch, war es ein angenehmes Gefühl und auch, wenn ich vor dieser Katastrophe oft schwimmen gegangen war, und nicht selten einen Unterschied innerhalb des Wassers bemerkte, was die Gradzahlen anbetraf, so schien ich nun, im Körper einer Meerjungfrau, keine warmen Strömungen mehr zu benötigen. Ich wusste nicht, was meine neuen Mitbewohner von mir dachten, oder von mir hielten, doch auch ihnen schien der Wechsel der Temperatur bewusst zu sein und ich wollte nicht, dass sie eines Tages leblos an der Oberfläche trieben. Franky würde, so entschied ich zum Wohle aller im Becken untergebrachten Lebewesen, alles so belassen, wie es zuvor der Fall gewesen war. Mit Dunkelheit und kühler Umgebung.
Dumpfe Schritte gelangten an meine Ohren. Doch waren sie noch viel zu weit von mir entfernt. Trotzdem vernahm ich sie, als stünde dieser jemand nur wenige Meter vor mir. Sanji drehte also seine Runde. Es galt, bei der Nachtwache, nicht nur im Krähennest zu hocken und dem Versuch zu erliegen, nicht die Augen zu schließen. Auch das Ablaufen des Schiffes, vom Bug bis zum Heck, gehörte dazu.
Ich vermochte nicht zu sagen, ob Sanji meine Nähe absichtlich mied, immerhin schlummerte unser Arzt bestimmt schon seelenruhig in seiner Kajüte und dem Smutje bei seinem Blutverlust behilflich sein, konnte ich nicht. Im Gegenteil. Ich würde wohl noch mehr Leid anrichten, als vermindern. Deshalb dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis die Schritte dichter kamen. Allmählich zog der Lichtkegel seine Kreise und das Poltern seiner schweren, dunklen Schuhe rückte näher.
Warum ausgerechnet er Wache hielt, entzog sich meinem Wissen. Ich wusste noch, dass Lysop an der Reihe gewesen wäre auf das Schiff aufzupassen, doch ich vermutete, dass dieser sich wohl wieder davor drückte. Meist geschah dies, wenn wir eine Herbstinsel oder gar eine Winterinsel ansteuerten und er wieder einmal irgendeine seiner erfundenen Krankheiten als Begründung vorschob. Doch seit Chopper bei uns an Bord war, musste er sich jedes mal aufs Neue etwas anderes einfallen lassen.
»Ah!«, entkam es mir, als mich der Schein der schlackernden Laterne traf und sich vor meinen Augen für einen Moment nur noch bunte Punkte und seltsame Gebilde auftaten. Also schirmte ich meinen Blick ab.
»Tut mir leid!«, vernahm ich Sanjis Stimme, die jedoch noch ein paar wenige Schritte von mir entfernt war. Allmählich kam seine hohe Gestalt auf mich zu. Groß, dunkel, sich jedoch von der Finsternis um uns herum abhebend. Das Glimmen der Zigarette in seinem Mundwinkel verriet mir, dass er nicht mehr lange brauchen würde, um vor der Luke des Tanks zum Stehen zu kommen.
»Ist alles in Ordnung?«, verlangte der Smutje zu wissen. Ich nickte, bejahte jedoch seine Frage. Um den Koch nicht noch an Blutverlust umkommen zu lassen, entschloss ich mich dazu, oberhalb der Wasseroberfläche zu bleiben. Folglich lugte nur mein bekrontes Haupt aus dem salzigen Nass, als Sanji die Laterne auf das Metallgatter abstellte und sich in eine hockende Position begab.
»Wie geht es dir?«, fragte ich vorsichtig und bemühte mich, nicht mehr von mir preiszugeben. Leichte Wellen schlugen gegen meine Wangen und ich mühte mich, den Mund geschlossen zu halten, denn ich war bis zur Nasenspitze wieder abgetaucht. Dem Smutje schien meine Aktion nicht entgangen zu sein. Argwöhnisch zog er die gekringelte Augenbraue empor. Sein Blick jedoch verriet mir, dass er sich wohl ein wenig amüsierte, immerhin hatten wir beide begriffen, dass ich, sobald ich zum Sprechen ansetzte, bis zum Kinn aus dem erwärmten, feuchten Element würde emporkommen müssen.
»Nami«, setzte Sanji an und brachte mich dazu, aufzuhorchen. »Was soll das? Sei nicht albern!«
Ich begriff nicht, was er mit seiner Frage bezweckte, also zog ich ein fragendes Gesicht. Widerwillig ließ ich mich die wenigen Zentimeter nach oben tragen, sodass ich nun bis zum Hals aus dem Wasser ragte. »Ich will nur nicht, dass ich die anderen aufwecken muss, weil du Blut verlierst.«, entkam es mir zögernd und beinahe trotzig, doch der Smutje schüttelte das flachsblonde Haupt. Unfreiwillig schlug ich mit der Schwanzflosse, sodass jene ein platschendes Geräusch von sich gab, als sie auf der Oberfläche aufkam. Im Schein der Laterne bemerkte ich den neugierigen, sehnsüchtig-schmachtenden Blick Sanjis und zwang mich, diese Dummheit nicht noch einmal zu begehen.
»Wann haben wir Vollmond?«, verlangte ich zu wissen, und das nicht nur, um den Smutje von meiner Wenigkeit abzulenken, nein, auch, weil ich den runden Trabanten nicht erspähen konnte. So schnell, wie ein Gewehrschuss, schoss Sanjis Kopf herum. Er erhob sich, hastete auf die Reling zu und blickte zum Sternen besetzten Himmel hinauf. Fast hatte ich Angst, er könne sich seinen Hals verrenken, so, wie er diesen streckte und reckte, nur um meiner Bitte nachzukommen.
»Ah!«, rief er freudig klingend aus. Offenbar war es ihm gelungen, das Gestirn zu erblicken. »Hm«, ließ der Koch verlauten, ehe ich ein Rascheln vernahm und seine Stimme wieder näher kam, »in drei oder vier Tagen.«
»Oh je«, entkam es nicht nur meinem Mund, auch mein ganzer Körper schien mit dem Ausruf des Erschreckens in einem Zittern gefangen. Gefühle, von solch unterschiedlicher Natur und Stärke, schienen in meinem Inneren miteinander zu ringen. Meine menschliche Seite kämpfte, rannte gegen die Zeit an, die mir durch die Finger glitt, während der meerjungenfrauenhafte Teil beinahe einen Freudentanz aufzuführen schien.
»Nami?« Besorgnis und Angst verklangen in meinem Namen, der von Sanjis Lippen gekommen war. Ein Platschen gelangte an meine Ohren und ein Schwall Wasser schwappte über den Rand des Beckens, ehe ich zwei starke Arme ausmachte, die mich umklammerten.
»Aber Sanji!«, schrie ich auf und versuchte, den Schiffskoch von mir zu schieben. Sein Griff war nicht einengend, aber fest, sodass ich mich in einer für mich ausweglosen Lage sah. »Sanji«, wiederholte ich spürte die Wärme seines Körpers, trotz der durchweichten Kleidung, die uns trennte. »Sanji, bitte! Du holst dir noch den Tod.«
Noch immer war ich so überrascht und überrumpelt von seiner Tat, dass ich nichts weiter zu tun vermochte, als mich und ihn oberhalb des Wassers treiben zu lassen.
»Wir finden einen Weg, dich von all dem zu befreien!«, murmelte er an meinem Hals, während vereinzelte, nasse Strähnen seines goldblonden Haares mein Gesicht streiften. Mir war zum Heulen zu mute! Ich wollte keine Meerjungfrau sein! Als er mir näher kam, und sich seine warme Haut an meiner Wange spürte, konnte ich nicht verhindern, dass mir meine Misere in heißen Tränen in die Augen schoss.
Ein einziges Mal erst hatte ich entschlossen und laut nach Hilfe verlangt. Damals, als mein Dorf Kokos unter der Tyrannei Arlongs beinahe Zugrunde gerichtet wurde. Ich bat Ruffy, uns zu befreien, mich zu befreien. Mir die Last zu nehmen, die mich eine Dekade lang in Ketten hielt, mir mein Zuhause nahm, meine Familie, meine Mutter, mein Lebensglück und meinen Traum.
»Hilf mir!«, flüsterte ich und hoffe inständig, dass Sanji nicht die bittenden Silben vernommen hatte. Doch der Smutje legte plötzlich beide Hände um mein Gesicht, hielt mich ein paar Zentimeter zu sich auf Abstand, nur, um mich anzusehen. Ich wollte nicht, dass er mich so sah. Nicht als Meerjungfrau, nicht verletzlich, nicht klein und hilflos. Und doch zeigte ich ihm all jenes, legte meine Verzweiflung offen, bot sie ihm dar. Seine Daumen strichen über meine Wangen, die brannten und benetzt von salzigen Perlen waren. Seine Finger fuhren zu beiden Seiten meines Halses entlang. Warm, geschmeidig, stark, mit kleinen Schwielen, und Narben.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 23, 2017 ⏰

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