Bücher und Schalter

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"Finn, ich schwör dir, wenn ich dich mit der Nase in einem Buch erwische..."

Meine wütende Stimme hallte durch die hohen Räume der modernen Villa. Nicht klug rumzuschreien wenn man gerade vor einer Erscheinung wegrannte, aber ich war stinksauer. Schwer atmend war ich soeben dem Geist der Weihnacht entkommen und weit und breit war nicht mal der Hauch einer Spur meines Teams.

Wenn nur die Villa nicht ganz so groß und ganz so düster wär, hätte ich vielleicht eine Chance die anderen zu finden. So rannte ich frustriert durch die Räume, vorbei an nackten Betonwänden, ätzend-schicken Designermöbeln und unter einer absurden Kunstinstallation an der Decke hindurch. Mein Blick fiel zufällig auf eines der riesigen Fenster, die die gesamte Hinterseite des Hauses ausmachten und ich blieb für eine Sekunde unwillkürlich stehen.

Nur wenige Meter von der Hauswand entfernt breitete sich ein riesiger See in die Nacht aus und obwohl ich abgehetzt war und mir der Schweiß den Rücken runterlief, musste ich zugeben, dass der Anblick etwas Verwunschenes hatte. Als gäbe es auf der Welt in diesem Moment nichts anderes als die ewig düsteren Wellen des Sees. In der Ferne sah ich undeutlich wie sich die kahlen Bäume eines kleinen Waldes in den dunklen Himmel reckten. Headquarter hatte uns in den teuersten Teil der Stadt geschickt, doch die anderen Villen um uns herum waren gut versteckt und man konnte leicht vergessen, dass wir hier nicht die einzigen waren.

Auf der anderen Seite des Hauses standen mindestens fünf Polizeiwagen. Das Blau ihrer Sirenen tauchte die Bäume in ein schwaches, fast unheimliches Licht. Doch es waren nicht die Geisterbäume, die mich gestoppt hatten. Und auch nicht das hypnotisierende Schwarz des Sees da draußen. Es war der Schnee, der erste in diesem Jahr. Dicke Flocken wirbelten wild und seltsam einladend über das Wasser.

Warum mussten sich diese dämlichen Einbrecher gerade heute aussuchen, um die Villa auszunehmen? Ben, Finn und ich sollten jetzt eigentlich mit einem warmen Tee in unserer Küche sitzen und dabei zusehen wie unser Dachfenster eingeschneit wurde.

Ich fluchte vor mich hin, während ich mich von dem Ausblick losriss, weiterrannte und die riesige, gläserne Treppe im Eingangsbereich hochjagte.

"Wozu hat man eigentlich ein Team wenn man doch alles alleine machen muss? Wenn ich euch beide in die Finger bekomme, schwöre ich..."

Ich ließ den Satz unbeendet in der Luft hängen, sprang die letzten Stufen hoch und stand am Ende eines kleinen Flurs.

"Du musst deine Drohungen schon beenden, sonst machen sie null Sinn."

Ohne Vorwarnung trat Ben aus einem kleinen Zimmer und stellte sich mir grinsend in den Weg. Vor Schreck versuchte ich instinktiv ihn wegzuschubsen, doch er sprang behände zurück und wich mir aus. Seine grünen Augen funkelten amüsiert und links und rechts hatten sich zwei Grübchen in seine Wangen gegraben.

Ben trug wie immer seine alte Lederjacke, die K. mehr als einmal mit dem Befehl er solle sich "gefälligst eine richtige Uniform" anziehen, konfisziert hatte. Magischerweise tauchte die Jacke in der Regel höchstens eine Woche später wieder auf. Die Wenigsten konnten Ben einen Wunsch abschlagen.

Ich hatte meine schwere Winterjacke im Foyer gelassen, aber abgesehen davon trugen wir beide die Uniform des Headquarters, eine schwarze Hose und ein schwarzes T-Shirt.

Im Gegensatz zu mir sah Ben allerdings ziemlich entspannt aus. Er wirkte jünger als seine sechzehn Jahre und nur die Pistole, die er lässig in der Hand hielt passte nicht so richtig zu seinem jungenhaften Aussehen.

Der Schein trog übrigens. Ben war weit entfernt davon, ein harmloser Teenager zu sein.

In diesem Moment hatte ich keine Lust ihm zu zeigen wie erleichtert ich war ihn zu sehen.

Die Villa am SeeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt